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NEU-SCHILLING (Sosnowka, Nowaja Sosnowka), heute existiert nicht mehr, deutsche Kolonie am linken Wolga-Ufer

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung

NEU-SCHILLING (Sosnowka, Nowaja Sosnowka), heute existiert nicht mehr, deutsche Kolonie am linken Wolga-Ufer, am Ufer des Flusses Soljonaja Kuba. Es lag 572 Werst von Samara, 137 Werst von Saratow, 80 Werst von der Ujesd-Stadt Nowousensk, 38 Werst südöstlich von Krasnyj Kut und 24 Werst vom Wolost-Zentrum dem Dorf Eckheim (heute Ussatowo), entfernt. Gehörte von 1871 bis Oktober 1918 zur Wolost (Amtsbezirk) Kresty (Wolost Nischne-Jeruslan) des Ujesds Nowousensk, Gouvernement Samara.

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolga-Deutschen war das Dorf Neu-Schilling bis 1941 das Verwaltungszentrum des Dorfrates Neu-Schilling, Kanton Krasnyj Kut. Seit dem 1. Januar 1935, nach der Ausgliederung des Eckheimer Kantons aus dem Kanton Krasnyj Kut und bis zur Auflösung der ASSR der Wolga-Deutschen im Jahr 1941 gehörte Neu-Schilling zum Kanton Eckheim der ASSR der WD. 1926 gehörten zum Dorfrat Neu-Schilling das Dorf Neu-Schilling sowie die Vorwerke Neu-Schilling, Jablonowka, Sarbala, Tschischi und Dubowoj.

Die deutsche Kolonie Neu-Schilling wurde 1855 als eine Tochterkolonie gegründet. Die Ursache dafür war der Mangel an Grund und Boden für die Kolonisten in den Mutterkolonien des rechten Wolga-Ufers. Ihre Gründer waren die Kolonisten, die früher in der Mutterkolonie Schilling (heute Dorf Sosnowka, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow) lebten.

Zeitgleich mit Neu-Schilling entstanden am linken Wolga-Ufer mehrere weitere Kolonien. Zur Vermeidung von Verwechslungen wurde für die Kolonie des linken Ufers, im Unterschied der am rechten Wolga-Ufer gelegenen Mutterkolonie das Präfix „Neu-“ verwendet, obwohl der Name „Schilling“ 1859 (nach der Mutterkolonie) an eine weitere am linken Ufer gelegene Tochterkolonie (heute Dorf Konstantinowka, Rayon Krasnyj Kut, Gebiet Saratow) vergeben wurde. Später trug auch ein 52 Werst südöstlich von Krasnyj Kut gelegenes Vorwerk mit der Einwohnerzahl von 200 Personen (1926) den Namen „Neu-Schilling“.

Den Namen Sosnowka, basierend auf dem Namen der Ausgangskolonie, erhielt Neu-Schilling nach 1915, als sich landesweit deutschfeindliche Propaganda entfaltete. Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolga-Deutschen in 1918 erhielten die Dörfer des Wolga-Gebiets wieder ihre deutschen Namen.

Die Bewohner von Neu-Schilling befassten sich überwiegend mit Getreideanbau und Mehlherstellung, bauten Weizen, Roggen, Hafer und Gerste an. Laut den Angaben des Statistikamtes des Gouvernements Samara zählte das Dorf 1910 113 Haushalte und verfügte über eine Windmühle. In den Jahren der Sowjetmacht gab es dort eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft, einen genossenschaftlichen Verkaufsladen. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert.

Schule und Ausbildung der Kinder. Im Gründungsjahr des Dorfes wurde eine Kirchenschule eröffnet. Darüber hinaus wurde im Dorf nach 1870 eine Dorf- bzw. Landschule eröffnet, wo Russischunterricht erteilt wurde. Sie hatte dreijährige Ausbildung und funktionierte als eine Einklassenschule, wurde von max. 50 Schülern besucht und hatte nur einen Lehrer. Im Unterschied von der Kirchenschule zeichnete sich die Dorf- bzw. Landschule durch ein vertieftes Lehrprogramm. Darin wurde der Religionsunterricht sowie Lesen, Schreiben, Arithmetik, Singen unterrichtet. Die Lehrer vermittelten den Schülern elementare Kenntnisse in der Naturkunde, Geographie, Geschichte, im Unterrichtsprozess wurden auf breiter Basis Anschauungsmittel angewandt.

1900 wandte sich an den Probst der Wolga-Wiesenseite, Johannes Erbes, ein Inspektor von Volksschulen, wies darauf hin, dass in Neu-Schilling für alle Kinder lediglich eine Lehrkraft zur Verfügung stand, und empfahl, die Aufwendungen für den Russischunterricht zu erhöhen und in der Schule die Position eines zweiten Russischlehrers einzuführen. Laut statistischen Angaben über den Stand der Schulen in deutschen Kolonien, gesammelt vom Probst des linken Ufergebiets, Johannes Erbes, wurde die Kirchenschule von Neu-Schilling 1906 von 68 Jungen, 64 Mädchen besucht und von einem Lehrer (F. Dell) unterrichtet. Die Schulen wurden von der Gemeinde finanziert. Im den Jahren der Sowjetmacht wurden die beiden Schulen geschlossen, und im Dorf wurde eine Grundschule eröffnet.

Konfessionelle Bindung der Einwohner und Kirche. Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischen Glaubens. 1865–1882 gehörte die Gemeinde Neu-Schilling zum Kirchenspiel Eckheim (heute das Dorf Ussatowo, Rayon Krasnyj Kut, Gebiet Saratow), die am 25. Oktober 1865 entstand. Jedoch war das Kirchenspiel sehr groß, so dass die Betreuung aller dazu gehörenden Gemeinden dem Pastor schwerfiel. Vor diesem Hintergrund wurde am 25. November 1882 im Zuge der Neuordnung der Probst-Bezirke des Wolga-Gebiets das Kirchenspiel Brunnental gebildet. Darin gingen die von Eckheim abgetrennten lutherischen Siedlungen wie Neu-Gussenbach, Brunnental (heute das Dorf Kriwojar, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow), Gnadenfeld (heute das Dorf Kirowo, Rayon Krasnyj Kut, Gebiet Saratow), Neu-Beideck (existiert heute nicht mehr), Blagodarowka (existiert heute nicht mehr), Dobrino (existiert heute nicht mehr) ein. Nach der Bildung des selbständigen Kirchenspiels Brunnental gehörten zum Kirchenspiel Eckheim die Kolonien Neu-Schilling, Langenfeld, Neu-Bauer, Rosenfeld, Friedenfeld, Eckheim, Ehrenfeld sowie die lutherische Gemeinde von Krasnyj Kut. 1905 zählte das lutherische Kirchenspiel Eckheim, zu der die Gemeinde Neu-Schilling gehörte, 10 733 Mitglieder.

Das Dorf hatte lange Zeit kein gesondertes Kirchengebäude und der Gottesdienst wurde im Schul- und Bethaus durchgeführt, das im Gründungsjahr der Kolonie errichtet wurde. Eine Holzkirche wurde im Dorf 1887 erbaut und am 3. Mai 1887 geweiht. Die Kirche hatte den Status einer Außenstelle und war für 300 Plätze ausgelegt. Dies war ein kleinerer Bau, dabei recht elegant und gut proportioniert, verfügte über die für das Wolga-Gebiet typischen Merkmale des russischen Klassizismus: Dies war ein zweistöckiges längliches Kirchengebäude mit einer säulengestützten inneren Vorhalle und einem mehrstufigen Glockenturm.

1918–1919 schloss sich die Gemeinde Neu-Schilling der Freien Evangelisch-lutherischen Kirche der Kongregationsordnung an, einer Kirchenorganisation, die in der UdSSR 1927–1935 existierte, auf der Basis der von offizieller Kirche abgegangenen Gemeinden entstand und die Kooperation mit der Sowjetmacht anstrebte (ähnlich der Erneuerungsbewegung in der Russischen Orthodoxen Kirche). Die Gründung der Freien Kirche wurde auf der 1. Generalsynode der Anhänger der „lebendigen Kirche“ verkündet, die vom Ex-Küster Ja. I. Fritzler für den 19.–21. Juli 1927 im Dorf Fischer, Kanton Marxstadt, der ASSR der WD einberufen wurde.

Die Bolschewiken waren nicht nur um die Spaltung der offiziellen Kirchenstrukturen bemüht, sondern sie kontrollierten die Gläubigen und Mitglieder der Kirchenräte. Nach Angaben sowjetischer Behörden, wurde die Gemeinde 1930 vom Küster August Becker geleitet, dem Kirchenrat gehörten Ja. K. Nein, E. K. Nein, W. Ja. Maul, P. P. Brum, Ja. Je. Kaufmann und P. P. Luft an. Die Zahl der Gläubigen ging Tag für Tag zurück, die Tätigkeit der Gemeinde stand unter ununterbrochener Kontrolle der Behörden. Im Januar 1931 erhielt das Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen geheime Angaben von der regionalen Kommission für die Behandlung religiöser Fragen, denen zufolge die Kirchengemeinde 553 Gläubige zählte, darunter gab es 21 Personen, denen die politischen Rechte genommen worden waren. Im August 1934 schlug das Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees vor, die Frage nach baldmöglichster Schließung der Kirche zu prüfen. Die lutherische Kirche in Neu-Schilling wurde aufgrund offizieller Verordnung des Präsidiums des Zentralen Exekutivkomitees und des Obersten Sowjets der ASSR der Wolga-Deutschen vom 2. Juni 1936 geschlossen, weil sich 400 der insgesamt in der Kirchengemeinde verbliebenen Mitglieder für ihre Auflösung aussprachen.

Liste von Pastoren des Kirchenspiel Eckheim, die die Gemeinde Neu-Schilling betreuten

1867–1868 – Friedrich Heinrich Wilhelm Keller, 1869–1877 – Wilhelm Stärkel, 1877–1887 – die Pfarrei hatte keinen Pastor, 1887–1931 Johannes Allendorf.

Bevölkerungszahl. 1889 lebten in Neu-Schilling 491 Menschen. Laut Angaben der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reiches von 1897 zählte Neu-Schilling 665 Menschen, davon 649 Deutschstämmige. 1905 hatte das Dorf 864 Menschen, 1910 waren es 1020 Menschen. Laut Angaben der Gesamtrussischen Volkszählung von 1920 lebten in Neu-Schilling 1484 Personen. 1921 kamen im Dorf 66 Personen zur Welt und 50 Personen sind gestorben. Nach Angaben der Gebietsverwaltung für Statistik des Autonomen Gebiets der Wolga-Deutschen  lebten in Neu-Schilling zum 1. Januar 1922 nur 1124 Menschen. Den Angaben der Gesamtrussischen Volkszählung von 1926 zufolge zählte das Dorf 166 Haushalte (davon 162 deutsche) mit 984 Bewohnern (davon 504 Männer und 480 Frauen), einschließlich 974 Deutsche (davon 496 Männer und 478 Frauen). 1931 lebten in Neu-Schilling 1287 Personen, davon 1275 Deutsche.

Das Dorf heute. Heute existiert das Dorf nicht mehr. Die während der Kriegsjahre ankommenden neuen Siedler hatten Anpassungs- und Alltagsprobleme, ferner verursachte die in den 1960er Jahren durchgeführte staatliche Kampagne für die Auflösung der Dörfer „ohne Perspektive“ einen Rückgang in der Gesamtzahl der ländlichen Bevölkerung und die Auflösung der zahlreichen früheren deutschen Siedlungen, u. a. die von Neu-Schilling. 

INHALT

Archive

ГАСО. Ф. 637. Оп. 19. Д. 143–147; ГИАНП. Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 68, 81; Д. 1138; Оп. 3. Д. 206; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 94. Л. 212–213; Д. 289. Л. 38; Д. 299. Л. 20.

Literatur

Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII–ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Список населенных мест Самарской губернии. Самара, 1910; Лиценбергер О.А. Евангелическо-лютеранская церковь и Советское государство (1917–1938). – М., 1999; Personalstatus der evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformatorischen Kirche in Russland. – Petrograd, 1914; Stumpp К. Verzeichnis der evangelischen Pastoren in den einzelnen deutschen und gemischten Kirchspielen in Russland bzw. der Sowjetunion, ohne Baltikum und Polen // Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen. Bearbeitung J. Schnurr. – Stuttgart, 1978. Evangelischer Teil.

Autoren: Lizenberger O.A.

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