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Boisroux , (Boaro, Bordowoje, Bordowskoje, Barodowoje, Portowoj, Borodajewka), heute Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow)

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Das Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow, ehemals Boisroux) heute. Foto Je. Moschkow. 2010
Das Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow, ehemals Boisroux) heute. Foto Je. Moschkow. 2010
Das Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow, ehemals Boisroux) heute. Foto Je. Moschkow. 2010
Das Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow, ehemals Boisroux) heute. Foto Je. Moschkow. 2010
Das Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow, ehemals Boisroux) heute. Foto Je. Moschkow. 2010

Boisroux (Boaro, Bordowoje, Bordowskoje, Barodowoje, Portowoj, Borodajewka), heute Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow). Im linksufrigen Wolgagebiet am rechten Ufer des Flusses Maly Karaman, 323 Werst von Samara, 168 Werst von der Bezirksstadt Nikolajewsk und acht Werst vom Hauptort des Amtsbezirks Katharinenstadt an der Handelsstraße von Nikolajewsk nach Saratow gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk Katharinenstadt (Bezirk Nikolajewsk, Gouvernement Samara).

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war Boisroux bis 1941 Verwaltungszentrum des im Kanton Marxstadt gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem im Jahr 1926 neben dem Dorf selbst die die Gehöftsiedlungen Metschetka, Quellgraben, Birkengraben, Südufer, Dritter Graben, Alte-Brunnen, Rohrgraben, Aufbau, Belsch, Konradi, Merker, Ferkert, Gauert, Bauer und Schmidt sowie zwei (zwei Werst von Südufer und fünf Werst von Boisroux entfernt gelegene) namenlose Gehöftsiedlungen, das Areal der Marxstädter Landwirtschaftsschule und das Forsthaus gehörten.

Die Kolonie Boisroux wurde wie auch die Nachbarkolonien Caneau und Paulskoje am 7. Juni 1767 von dem Anwerber Baron Caneau de Beauregard gegründet, der dort die zweite Gruppe der ins Wolgagebiet gekommenen Kolonisten unterbrachte, nachdem er ein Jahr zuvor bereits eine erste Gruppe in Katharinenstadt angesiedelt hatte. Die Besiedlung der genannten Gebiete erfolgte aufgrund des Einladungsmanifests Katharinas II., dessen beigefügtes „Register der freien und zur Besiedlung geeigneten Ländereien“ die „beim Fluss Irgis“ gelegenen Ländereien „mit 5.418 Desjatinen für den Heuschlag und 2.575 Desjatinen Wald“ als geeigneten Standort auswies.

Der Name Boisroux geht auf die französischen Wörter „bois“ („Wald“) und „roux“ („rotbraun“) zurück. Anders als viele andere Kolonien erhielt die Siedlung durch den die Benennung der deutschen Kolonien regelnden Erlass vom 26. Februar 1768 keinen weiteren (russischen) Namen.

Im Zuge der nach 1915 im Land entfesselten antideutschen Propagandakampagne wurde das Dorf in Borodajewka umbenannt. Die feindselige Haltung gegenüber den Deutschen ließ sich durch den 1914 ausgebrochenen Ersten Weltkrieg erklären, in dem Deutschland der Hauptkriegsgegner Russlands war. Nach der 1918 erfolgten Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen erhielten die Dörfer ihre alten (deutschen) Namen zurück.

Die Gründer der Kolonie waren 88 größtenteils aus Dessau, Sachsen, Zerbst und anderen deutschen Ländern stammende Familien. Bei den 281 ersten dauerhaft angesiedelten Kolonisten handelte es sich größtenteils um Lutheraner. Zwölf Personen waren reformiert, zwei Kolonisten katholisch. Auch die 64 Familien und vierzehn Junggesellen die zusammen mit einer Witwe und zwei Waisen bis zur 1768 erfolgten Gründung weiterer Kolonien vorübergehend in Boisroux untergebracht waren, waren mehrheitlich Lutheraner (hinzu kamen elf reformierte und ebenso viele katholische Familien). Wie in vielen anderen Kolonien wurden auch in Boisroux neben denBoisroux (Boaro, Bordowoje, Bordowskoje, Barodowoje, Portowoj, Borodajewka), heute Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow). Im linksufrigen Wolgagebiet am rechten Ufer des Flusses Maly Karaman, 323 Werst von Samara, 168 Werst von der Bezirksstadt Nikolajewsk und acht Werst vom Hauptort des Amtsbezirks Katharinenstadt an der Handelsstraße von Nikolajewsk nach Saratow gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk Katharinenstadt (Bezirk Nikolajewsk, Gouvernement Samara).

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war Boisroux bis 1941 Verwaltungszentrum des im Kanton Marxstadt gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem im Jahr 1926 neben dem Dorf selbst die die Gehöftsiedlungen Metschetka, Quellgraben, Birkengraben, Südufer, Dritter Graben, Alte-Brunnen, Rohrgraben, Aufbau, Belsch, Konradi, Merker, Ferkert, Gauert, Bauer und Schmidt sowie zwei (zwei Werst von Südufer und fünf Werst von Boisroux entfernt gelegene) namenlose Gehöftsiedlungen, das Areal der Marxstädter Landwirtschaftsschule und das Forsthaus gehörten.

Die Kolonie Boisroux wurde wie auch die Nachbarkolonien Caneau und Paulskoje am 7. Juni 1767 von dem Anwerber Baron Caneau de Beauregard gegründet, der dort die zweite Gruppe der ins Wolgagebiet gekommenen Kolonisten unterbrachte, nachdem er ein Jahr zuvor bereits eine erste Gruppe in Katharinenstadt angesiedelt hatte. Die Besiedlung der genannten Gebiete erfolgte aufgrund des Einladungsmanifests Katharinas II., dessen beigefügtes „Register der freien und zur Besiedlung geeigneten Ländereien“ die „beim Fluss Irgis“ gelegenen Ländereien „mit 5.418 Desjatinen für den Heuschlag und 2.575 Desjatinen Wald“ als geeigneten Standort auswies.

Der Name Boisroux geht auf die französischen Wörter „bois“ („Wald“) und „roux“ („rotbraun“) zurück. Anders als viele andere Kolonien erhielt die Siedlung durch den die Benennung der deutschen Kolonien regelnden Erlass vom 26. Februar 1768 keinen weiteren (russischen) Namen.

Im Zuge der nach 1915 im Land entfesselten antideutschen Propagandakampagne wurde das Dorf in Borodajewka umbenannt. Die feindselige Haltung gegenüber den Deutschen ließ sich durch den 1914 ausgebrochenen Ersten Weltkrieg erklären, in dem Deutschland der Hauptkriegsgegner Russlands war. Nach der 1918 erfolgten Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen erhielten die Dörfer ihre alten (deutschen) Namen zurück.

Die Gründer der Kolonie waren 88 größtenteils aus Dessau, Sachsen, Zerbst und anderen deutschen Ländern stammende Familien. Bei den 281 ersten dauerhaft angesiedelten Kolonisten handelte es sich größtenteils um Lutheraner. Zwölf Personen waren reformiert, zwei Kolonisten katholisch. Auch die 64 Familien und vierzehn Junggesellen die zusammen mit einer Witwe und zwei Waisen bis zur 1768 erfolgten Gründung weiterer Kolonien vorübergehend in Boisroux untergebracht waren, waren mehrheitlich Lutheraner (hinzu kamen elf reformierte und ebenso viele katholische Familien). Wie in vielen anderen Kolonien wurden auch in Boisroux neben den Protestanten einige wenige Katholiken angesiedelt. Zum ersten Schulzen der Kolonie wurde Johann Gottfried Koch gewählt, ein 38-jähriger preußischer Sergeant aus Dessau.

Unter den ersten 88 Kolonisten waren sieben Müller, jeweils drei Brotbäcker, Weber, Schuster und Zimmermänner, jeweils zwei Schneider, Schmiede und Tischler sowie ein Jäger, ein Seilmacher, ein Maurer, ein Manufakturarbeiter und einige Vertreter eher seltener Berufe wie Kanonenmacher, Arzt, Pfeffermacher und sogar ein Sergeant, ein Husar und ein Soldat. Die übrigen ersten Übersiedler waren Ackerbauern und entsprachen somit hinsichtlich ihrer in der der alten Heimat ausgeübten Beschäftigung in vollem Maße dem Hauptziel der Anwerbung der Kolonisten, die in den Grenzregionen Russlands gelegenen Steppengebiete landwirtschaftlich zu erschließen.

Die auf dem linken Ufer der Wolga gelegenen Siedlungen verfügten über deutlich weniger Land als die anderen Regionen des Gouvernements Saratow. Jeder Kolonist erhielt vom Fürsorgekontor in Saratow 15 Rubel, zwei Pferde und eine Kuh. Nach den Erinnerungen des in Boisroux ansässigen Kolonisten Stahlbaum wurde die Kolonie in den Jahren 1769-75 mehrfach von Missernten heimgesucht, was sich darauf zurückführen ließ, dass sich die Ausgabe des Saatguts bis Ende Mai hinzog, als es für die Aussaat schon zu spät war. Das Mehl, das der Staat den Kolonisten zur Abwendung einer Hungersnot aushändigte, war „schon völlig grün und schimmelig, so dass man es mit Axt oder Hammer aufschlagen musste“.

In den Jahren 1774-76 sah sich Boisroux Angriffen von Seiten der Kirgis-Kaisaken ausgesetzt, turksprachigen Nomadenstämmen, die ihre angestammte Ordnung bewahrt hatten und aus der Steppe heraus immer wieder mit Plünderungen und Brandschatzungen einhergehende Überfälle auf die linksufrigen Wolgasiedlungen unternahmen, Siedler gefangen nahmen und alle töteten, die Widerstand zu leisten wagten. 1776 schlossen sich in der Kolonie Philippsfeld etwa 150 aus verschiedenen Siedlungen kommende Männer zusammen, um die Verfolgung der Kirgis-Kaisaken aufzunehmen, die einmal mehr die Siedlungen überfallen, Bewohner entführt und große Beute gemacht hatten. Die Gruppe wurde aufgerieben und vernichtet. Ihre Anführer Ludwig Balthasar Wernborner (*1741, †1776), einer der ersten evangelisch-lutherischen Geistlichen in Russland, und Sigismund Erfurt wurden von den Nomaden brutal umgebracht. Der verstümmelte Leichnam des Pastors wurde mit herausgerissener Zunge in der Steppe gefunden.

Die Kolonisten stellten Selbstschutzeinheiten auf, wandten sich hilfesuchend an die Zarin Katharina II. und organisierten den Loskauf von Gefangenen, deren Zahl nach Berechnungen von J. Dietz bei etwa 2.500 Personen lag. Die russische Regierung, die sich der verheerenden Folgen der Überfälle bewusst war, zog im Jahr 1766 Gräben, Wälle und Befestigungsanlagen um die Kolonien und stellte reguläre Truppeneinheiten ab, um die Steppengrenzen zu sichern. Unter diesen schwierigen Bedingungen mussten die Kolonisten die Steppenregionen Russlands erschließen.

Eine wichtige Rolle spielte für die von den Kolonisten betriebene Landwirtschaft Ende des 18. Jahrhunderts neben dem Anbau von Kartoffeln der von der Fürsorgekanzlei für Ausländer aktiv geförderte Tabakanbau. Allein im Jahr 1780 ernteten die Kolonisten in Boisroux 2.879 Pud Tabak. Der Tabakanbau stellte eine der Haupteinnahmequellen der Kolonisten dar, da sie die Tabakblätter angesichts der in Russland nur schwach entwickelten Tabakproduktion über Zwischenhändler erfolgreich in Moskau, Petersburg, Astrachan und in der Ukraine verkaufen konnten. Mit der Zeit sahen sich die Kolonisten allerdings zunehmend mit Absatzschwierigkeiten konfrontiert, da die Kaufleute ihre Monopolstellung nutzten, um die Preise zu drücken, woraufhin sie dazu übergingen, nur noch für den regionalen Markt zu produzieren oder den Tabakanbau ganz einzustellen.

Nach den Daten der Revision von 1834 waren den Kolonisten Landstücke in der Größe von 15 Desjatinen pro Kopf zugeteilt. Nach den Daten der im Jahr 1857 durchgeführten 10. Revision besaßen die zu diesem Zeitpunkt in der Kolonie ansässigen, insgesamt 1.085 männlichen Kolonisten Landstücke in der Größe von etwa 5,1 Desjatinen pro Kopf. Angesichts des in den Mutterkolonien herrschenden Landmangels wurden Tochterkolonien gegründet. 1848 gründete ein Teil der Bewohner der Kolonie zusammen mit Kolonisten aus Paulskoje und Orlowo die im Amtsbezirk Nischni Karaman (Bezirk Nowousensk, Gouvernement Samara) gelegenen Tochterkolonien Neu-Boisroux (heute aufgegeben) und Lilienfeld (Nowo-Orlowskoje, heute aufgegeben), wodurch sich das Problem des Landmangels allerdings nicht dauerhaft lösen ließ, so dass es immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten um Fragen des Landbesitzes kam. So mussten z.B. in den Jahren 1867-71 zwischen den Kolonien Boisroux, Ernestinendorf und Katharinenstadt umstrittene Grenzziehungen durch das Fürsorgekontor und die Gouvernementsverwaltung Samara geprüft werden.

Unter den von den Bewohnern Boisrouxs ausgeübten Gewerben nahm das Stroh- und Korbflechten eine besondere Rolle ein, das sich mit der Zeit zu einem lukrativen Erwerbszweig entwickelte. So waren Ende des 19. Jahrhunderts Dutzende Frauen in Heimarbeit mit der Herstellung von Körben, Hüten und anderen aus Stroh gefertigten kunsthandwerklichen Erzeugnissen beschäftigt, die in großen Mengen von geschäftstüchtigen Zwischenhändlern aufgekauft und in den großen Städten verkauft wurden. Nach den Daten des Zentralen Statistik-Komitees gab es in der Kolonie 1859 180 Höfe. Nach Angaben des Gouvernements-Statistik-Komitees Samara gab es im Jahr 1910 zwei Dampfmühlen, eine Schaffellfabrik, eine Großmühle und eine Molkerei.

In den Jahren der Sowjetmacht wurden im Dorf zwei landwirtschaftliche Artel-Genossenschaften eingerichtet. Es gab eine landwirtschaftliche Kooperativgenossenschaft, einen Genossenschaftsladen sowie die Kolchosen „Thälmann“, „Kirow“ und „Tschapajew“. 1928 wurden die Bauern nach ihrem [Land-]Besitz in dreizehn Gruppen unterteilt, unter denen das Land neu verteilt wurde. Die wohlhabenden Bauern erhielten in einer Entfernung von 30 Kilometern vom Dorf Land, die pferdelosen [Arm-]Bauern in unmittelbarer Nähe des Dorfes. Eine solche Landverteilung zwang die Bauern, jenseits des Dorfes neue Gehöftsiedlungen zu gründen. 1935 wurde das Dorf elektrifiziert, wofür die Kolchosführung 20.000 Rubel investierte. In Boisroux wurde eine weit über die Grenzen des Dorfes hinaus bekannte Theatergruppe eingerichtet, die 23 Stücke aufführte. Im Dorf gab es eine Bibliothek, eine Lesehütte und ein Kinderheim für geistig behinderte Kinder. Im September 1941 wurden die Deutschen aus Boisroux deportiert, das seit 1942 den Namen Borodajewka trägt.

Schule und Erziehungswesen. Die Kirchenschule entstand noch im Jahr der Gründung der Kolonie. Bis zum im Jahr 1795 erfolgten Bau der ersten Kirche fanden Gottesdienste und Schulunterricht im gleichen Gebäude des Schul- und Bethauses statt. Nach Angaben des Zentralen Statistik-Komitees gab es 1859 in der Kolonie eine kirchliche und eine dem Ministerium unterstellte Schule. Eine große Rolle spielte für die Hebung des Bildungsniveaus der Dorfbewohner die in den 1880er Jahren eingerichtete Semstwo-Schule, an der die Kinder Russisch, Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen lernten. An der Schule, die von insgesamt 50 Kindern besucht wurde und zwei Lehrer hatte, lernten die Schüler vier Jahre in zwei Zügen.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten lebten im Dorf im Jahr 1906 1.171 Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten nicht alle Kinder im schulpflichtigen Alter auch wirklich eine Schule. 394 Kinder blieben dem Unterricht fern, da ihre Eltern arm und auf die tägliche Mithilfe ihrer Kinder in Handwerk oder Gewerbe angewiesen waren. Im Jahr 1906 besuchten 270 Jungen und 375 Mädchen die Kirchenschule, an der drei Lehrer tätig waren. In der Semstwo-Schule lernten 119 Jungen und 13 Mädchen bei zwei Lehrern. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. 1917 gab es im Dorf drei Schulen: neben der kirchlichen Gemeindeschule noch zwei Semstwo-Schulen, was für die deutschen Kolonien eine große Seltenheit war. Nach 1917 wurden alle vor der Revolution bestehenden Schulen geschlossen und zu einer Grundschule zusammengelegt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischer Konfession. Die Gemeinde Boisroux gehörte bis 1905 zum Pfarrsprengel Nord-Katharinenstadt und wurde anschließend mit den jeweils nur 1-2 Kilometern entfernten Gemeinden Caneau (Andrejewka), Ernestinendorf (Beresowka) und Philippsfeld (Filippowka) zu einem am 29. Oktober 1905 gegründeten eigenen Pfarrsprengel zusammengeschlossen. In den ersten Jahren des Bestehens der Kolonie fanden die Gottesdienste im Schul- und Bethaus statt, das den Status einer Filialkirche hatte. Wann genau dieses gebaut wurde, ist nicht bekannt, aber es wurde in den ersten Monaten nach der Gründung der Siedlung auf Staatskosten errichtet. Der eher kleine und für eine vorübergehende Nutzung errichtete Bau reichte schon bald nicht mehr aus, so dass die Kolonisten beschlossen, auf eigene Kosten ein separates Gotteshaus zu errichten. Die Kirche in Boisroux war eines der ersten lutherischen Gotteshäuser in den deutschen Wolgakolonien, deren Bau nicht auf Staatskosten, sondern aus eigenen Mitteln der Kolonisten erfolgte. Der 1795 von örtlichen Handwerkern ohne offiziell eingereichten Bauplan und Kostenvoranschlag errichtete kleine Holzbau hatte den Status einer Filialkirche. Der Bau der folgenden Kirche bedurfte schon einer Genehmigung des Fürsorgekontors, bei dem Baupläne und Kostenvoranschlag zur vorhergehenden Abstimmung eingereicht werden mussten. Das Sammeln der für den Bau benötigten Spenden dauerte mehrere Jahre. Am 11. September 1832 fand in Boisroux die feierliche Grundsteinlegung des neuen Kirchengebäudes statt, auf der die Pastoren der Nachbargemeinden und geladene weltliche Gäste zugegen waren. Die Zeremonie wurde von Gotthilf Karl Friedrich Walberg, dem Pastor des Pfarrsprengels Katharinenstadt geleitet. Das am 31. Oktober 1837 geweihte neue Kirchengebäude war groß genug für fast alle Bewohner der Kolonie. Das geschnitzte Eichengestühl bot Platz für 1.100 Gläubige. Die Wände waren glatt verputzt und wiesen ein dezentes Dekor auf. Der dreistufige Glockenturm wurde von einem Walmdach mit halbkugelförmiger Kuppel gekrönt. Die neue Kirche in Boisroux war eine von drei Steinkirchen, die es in den 1830er Jahren in den Kolonien gab (neben der lutherischen Kirche in Schaffhausen und der katholischen Kirche in Mariental). Auch wenn die Kirche in Boisroux von nicht eigens dafür ausgebildeten örtlichen Handwerkern gebaut wurde, war sie doch ein herausragendes Beispiel der deutschen Kolonistenarchitektur. Zeitgenossen nannten die Kirche „erhaben“. Ihre elegante von einem massiven Kreuz gekrönte Silhouette war für jeden, der sich von der Steppe her dem Dorf näherte, schon von weit her zu sehen. Neben der Kirche wurde ein hölzerner Glockenstuhl errichtet. Unweit der Kirche befanden sich das Pfarrhaus, die kirchliche Gemeindeschule und eine Leichenhalle. 1904 stellte das Moskauer evangelisch-lutherische Konsistorium 2.000 Rubel zu Verfügung, um im Dorf ein neues steinernes Pfarrhaus zu bauen. In der Kolonie gab es ein Bethaus.

Eine Besonderheit des Pfarrsprengels Boisroux bestand darin, dass die Bewohner der Kolonie Philippsfeld Reformierte und die Bewohner der übrigen drei Dörfer Lutheraner waren. Ungeachtet dessen, dass es im Wolgagebiet eigene rein reformierte Gemeinden und Siedlungen gab, gehörte das von lutherischen Kolonien umgebene Philippsfeld von Anfang an zum evangelisch-lutherischen Pfarrsprengel Nord-Katharinenstadt. Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Unterschiede zwischen den Philippsfelder Reformierten und den in den benachbarten Dörfern lebenden Lutheranern praktisch nicht mehr zu bemerken.

Der letzte im Pfarrsprengel tätige Pastor Johannes Blum, der 1913 in die Gemeinde gekommen war, emigrierte 1918 aus Sorge vor Repressionen nach Deutschland. 1926 schloss sich die verwaiste Gemeinde Boisroux wie auch vierzehn weitere im Wolgagebiet gelegene lutherische Gemeinden der von der offiziellen Kirche abgespaltenen Freien Evangelisch-lutherischen Kongegrationskirche an, die mit der Sowjetmacht kollaborierte und in den Jahren 1927-35 bestand (eine vergleichbare Erneuerungsbewegung gab es auch in der Russisch-Orthodoxen Kirche). Die Gründung der Freien Kirche wurde auf der von dem früheren Küster Jakob Fritzler am 19.-21. Juli 1927 im Dorf Fischer (heute Krasnaja Poljana, damals Kanton Marxstadt, ASSR der Wolgadeutschen) einberufenen 1. Generalsynode der „Lebendigen Kirche“ verkündet.

1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass die Kirche im Dorf schon geschlossen sei und es in Boisroux noch 1.615 Gläubige gebe, von denen 22 den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren. Die Gläubigen kamen zu den Gottesdiensten im Bethaus zusammen. Am 1. Juni 1934 informierte die Kommission für Kultfragen beim Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen das Präsidium der ASSR, dass das Bethaus in Boisroux von den Gläubigen noch genutzt werde, doch schon wenig später wurde auch dieses geschlossen. Anfang der 1930er Jahre wurde das Kirchengebäude abgerissen, um das Baumaterial zu nutzen.

Liste der Pastoren. Pastoren der Pfarrgemeinde Nord-Katharinenstadt, die in der Gemeinde Boisroux Gottesdienst hielten: Johann Georg Herwig (1768-69). In den Jahren 1769-79 hatte die Gemeinde keinen Pastor. Hartmann von Moos (1779-1803). Johann Samuel Huber (1807-20). Immanuel Grünauer (1820-23). Abraham Haag (1827-48). Heinrich Thomas (1851-60). Friedrich Wilhelm Dsirne (1860-72). Isaak Theophil Keller (1873–1903). Pastoren der Pfarrgemeinde Boisroux: Gotthold Eduard Hahn (1906-12). Johannes Nikolaus Blum (1913-18).

Entwicklung der Bevölkerungszahlen. 1767 lebten in Boisroux 281 ausländische Kolonisten, 1773- 309, 1788 - 270, 1798 - 351, 1816 – 620 und 1834 – 1.205 Personen. 1850 hatte Boisroux 1.672, 1859 - 2.233, 1883 - 3.208 und 1889 - 3.795 Einwohner. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reiches von 1887 lebten in Boisroux 4.207 Personen, von denen 4.203 Deutsche waren. Nach Stand zum Jahr 1905 lebten im Dorf 5.077 und 1910 - 6.123 Personen. Der Pfarrsprengel Boisroux war relativ klein: 1905 hatten die vier Gemeinden des Sprengels 10.799 Mitglieder. Nach den Zahlen der Allrussischen Volkszählung von 1920 lebten im Dorf 5.143 Personen. 1921 gab es 255 Geburten und 1.054 Sterbefälle. Nach den Daten der Statistik-Verwaltung des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen hatte Boisroux zum 1. Januar 1922 gerade einmal 3.119 Einwohner und 1923 - 3.088 Einwohner. Nach den Daten der Volkszählung von 1926 gab es im Dorf 523 Haushalte (davon 522 deutsche) mit einer Bevölkerung von 3.064 Personen (1.454 Männer und 1.610 Frauen), davon 2.461 Deutsche (1.451 Männer und 1.610 Frauen). 1931 lebten im Dorf 4.244 Personen, von denen 4.242 Deutsche waren.

Das Dorf heute.

Heute Dorf Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow). Heute ist Borodajewka schon nicht mehr so dicht besiedelt, wie es Boisroux vor der Revolution war. Statt der drei Schulen, die es im Dorf vor 1917 gegeben hatte, gibt es nur noch eine einzige Schule. Nach Stand zum Jahr 2010 hatte die allgemeinbildende Schule des Dorfes Borodajewka (Rayon Marx, Gebiet Saratow) 67 Schüler und zwölf Lehrer. Nichtsdestotrotz lässt sich in der heutigen Ortschaft noch immer der frühere Hauptort des Pfarrsprengels erkennen, der bevölkerungsreicher und wohlhabender als die ebenfalls zum Pfarrsprengel Boisroux gehörenden deutschen Nachbargemeinden Caneau (heute Andrejewka), Philippsfeld (heute Filippowka) und Ernestinendorf (heute Beresowka) war. Borodajewka hat den früheren blockartigen Grundriss erhalten, nur die deutschen Straßennamen wurden in der Sowjetzeit im Sinne des Zeitgeistes umbenannt. Im heutigen Borodajewka kann man noch immer die typischen deutschen Kolonisten-Holzhäuser sehen. Architektonisch wertvoll sind einige im Ortskern gelegene Backsteinbauten - das Pfarrhaus, das Schul- und Bethaus sowie die in der Nachbarstraße gelegene, Ende des 19. - Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete Schule. Das Gebäude der Holzkirche ist heute nicht mehr erhalten.

Literatur

Герман А.А. Немецкая автономия на Волге. 1918–1941. Часть II. Автономная республика. 1924–1941. – Саратов, 1992–1994; Дитц Я. История поволжских немцев-колонистов. – М., 1997; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Лиценбергер О.А. Евангелическо-лютеранская церковь и Советское государство (1917–1938). М., 1999; Список населенных мест Российской Империи по сведениям 1859 года. XXXVI. Самарская губерния. СПб., 1864; Список населенных мест Самарской губернии. – Самара, 1910; Плеве И.Р. Немецкие колонии на Волге во второй половине ХVIII века. – М., 1998; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988; Einwanderung in das Wolgagebiet: 1764–1767 / Hrsg.: Alfred Eisfeld. Bearb.: Igor Pleve. Bd. 1. Kolonien Anton – Franzosen. Göttingen: Göttingenger Arbeitskreis, 1999; Nachrichten. 15. März 1937; 9. April 1937.

Archive

ГАСО. Ф. 180. Оп. 7. Д. 82; Ф. 637. Оп. 22. Д. 87–98а; ГИАНП. Ф. 164. Оп. 1. Д. 1–2; Ф. 221. Оп. 1. Д. 64. Л. 5; Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 890. Л. 36; Д. 1139. Л. 138; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 94. Л. 212–213; Д. 299. Л. 105.

Autoren: Lizenberger O.A.

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