RU

neue
illustrierte elektronische

HUCK (Gukk, Splawnucha), heute Dorf Splawnucha (Rayon Krasnoarmeisk, Gebiet Saratow)

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Dorf Splawnucha. Heute nicht mehr genutztes früheres Schulgebäude. Foto Je. Moschkow, 2010
Dorf Splawnucha. Teil der Fassade des früheren Schulgebäudes. Foto Je. Moschkow, 2010
Dorf Splawnucha. Früheres Schulgebäude und Schulmeisterhaus. Foto Je. Moschkow, 2010
Dorf Splawnucha. Heute zerstörtes früheres Schulgebäude.

HUCK (Gukk, Splawnucha), heute Dorf Splawnucha (Rayon Krasnoarmeisk, Gebiet Saratow); im rechtsufrigen Wolgagebiet, in der Nähe der Mündung des Flusses Jelchowka in den Fluss Splawnucha, 76 Werst von Saratow, 110 Werst von der Bezirksstadt Kamyschin und 10 Werst vom Hauptort des Amtsbezirks Norka, rechtsseitig der Poststraße von Saratow nach Astrachan gelegene deutsche Kolonie, die von 1871 bis Oktober 1918 zum Amtsbezirk Norka/Splawnucha (Bezirk Kamyschin, Gouvernement Saratow) gehörte.

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war Huck bis zur im Jahr 1941 erfolgten Auflösung der ASSR der Wolgadeutschen Verwaltungszentrum des im Kanton Balzer (Goly Karamysch) gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 nur das Dorf selbst gehörte.

Die Kolonie wurde am 1. Juli 1767 als Kronkolonie gegründet. Aufgrund des die Benennung der deutschen Kolonien regelnden Erlasses vom 26. Februar 1768 erhielt die Siedlung den russischen Namen Splawnucha, der sich auf den nahegelegenen gleichnamigen Fluss zurückführen lässt. Der deutsche Name der Kolonie geht auf deren ersten Vorsteher Johannes Huck zurück, einen aus Isenburg stammenden 33-jährigen Zunfthandwerker, der zusammen mit seiner Frau und drei Kindern in die Kolonie gekommen war.

Die Gründer der Kolonie waren 79 größtenteils aus Isenburg und der Kurpfalz stammende Familien (306 Personen), die im Unterschied zu den meisten anderen deutschen Siedlungen fast alle aus der gleichen Region Deutschlands stammten. Diese in den deutschen Wolgakolonien nur selten anzutreffende gemeinsame regionale Herkunft trug maßgeblich dazu bei, den Zusammenhalt unter den Kolonisten zu stärken, Konflikte zwischen einzelnen Kolonisten auf ein Minimum zu reduzieren und in der Folge schnelle Erfolge beim Aufbau der Landwirtschaft zu erzielen. Nichtsdestotrotz kam es auch hier zuweilen zu persönlichen Konflikten zwischen einzelnen Personen. So wandten sich die Bewohner der Kolonie Huck im Jahr 1779 mit einer gegen den Vorsteher Schuckmann gerichteten Beschwerde an das Fürsorgekontor und erklärten, sich diesem nicht unterordnen zu wollen. Aber das Kontor wandte sich gegen die eigenmächtige Entscheidung der Bewohner und verbot unter Verweis auf fehlende Alternativkandidaten neue Wahlen.

Der Historiker Jakob Dietz, der die mangelnde Berücksichtigung der zwischen den Kolonisten bestehenden konfessionellen und regionalen Unterschiede in seiner Beschreibung des Ansiedlungsprozesses als einen Fehler bezeichnete, sprach im Zusammenhang mit der Besiedlung Hucks von einer „glücklichen Ausnahme“ und einem „glänzenden Beweis“ für die Notwendigkeit, die Verteilung und Ansiedlung der Kolonisten durchdacht anzugehen. Auch der berühmte russisch-deutsche Naturforscher, Geograph und Entdeckungsreisende Peter Simon Pallas, der im Jahr 1773 die Wolgakolonien bereiste, wies darauf hin, dass Norka und Splawnucha im Vergleich zu anderen Kolonien ökonomisch deutlich besser gestellt waren, über Getreidespeicher verfügten und sogar den Verkauf von Getreide an andere Siedlungen organisierten.

Der Wohlstand der Kolonie wurde zerstört, als Splawnucha wie auch zahlreiche andere deutsche Siedlungen im Jahr 1774 von den Truppen Pugatschows heimgesucht und geplündert wurde.

Bei den 79 ersten Kolonistenfamilien handelte es sich größtenteils um Reformierte. Vier Familien mit insgesamt elf Angehörigen (Andreas Stelmann samt Ehefrau, Johann Heinrich Kehlhart samt Ehefrau und zwei Kindern, Georg Eberhard Sack samt Ehefrau und Sohn sowie Christoph Schwabauer samt Ehefrau) waren Lutheraner. Wie in vielen anderen Kolonien waren auch in Huck einige wenige Katholiken unter den ersten Kolonisten, die während des Schiffstransfers bzw. bei der Verteilung auf die Kolonien unter Angehörige anderer Konfessionen geraten waren. Eine der in Huck angesiedelten Familien (Philipp Rau mit Ehefrau) war katholisch.

Die ersten Kolonisten erhielten vom Fürsorgekontor in Saratow jeweils 25 Rubel, zwei Pferde, Zaumzeug sowie in einigen Fällen zusätzlich eine Kuh. Die ersten Übersiedler waren mehrheitlich Ackerbauern und entsprachen somit hinsichtlich ihrer in der der alten Heimat ausgeübten Beschäftigung in vollem Maße dem Hauptziel der Anwerbung der Kolonisten, die in den Grenzregionen Russlands gelegenen Steppengebiete landwirtschaftlich zu erschließen. Neben den Ackerbauern waren unter den ersten Kolonisten auch acht Zunfthandwerker, ein Maurer, ein Schuhmacher und sogar ein Vertreter des unter den Kolonisten sehr seltenen Lehrerberufs.

Das um die Kolonie gelegene Land wies größtenteils Schwarzerdeböden auf, was Huck von den meisten anderen deutschen Siedlungen abhob, wo es vor allem salzige Lehm- und Sandböden sowie eine stark zerklüftete Landschaft gab. Nach den Daten der Revision von 1834 waren den Kolonisten Landstücke in der Größe von 15 Desjatinen pro Kopf zugeteilt. Nach den Daten der im Jahr 1857 durchgeführten 10. Revision besaßen die zu diesem Zeitpunkt in der Kolonie ansässigen männlichen Kolonisten Landstücke in der Größe von etwa 2,9 Desjatinen pro Kopf. Angesichts des schnellen Bevölkerungswachstums und des damit einhergehenden Landmangels versuchten die Kolonisten immer wieder, Tochtersiedlungen zu gründen oder sich jenseits der Grenzen ihrer Dörfer niederzulassen. So richteten die Kolonisten Eiler, Bohl, Roth und Stärkel 1860 nach einem Besuch des im Kaukasus gelegenen Gebiets Kuban das Gesuch an das Fürsorgekontor, ihnen die Übersiedlung in die Nähe der Stadt Jeisk zu gestatten. Das Kontor erteilte den Bittstellern eine Absage, versprach aber zugleich, den Kolonisten zusätzliche Landstücke zur Verfügung zu stellen. 1861 wurden eigenmächtige Umsiedlungen durch einen Erlass des Kontors mit Vagabundentum gleichgesetzt und streng bestraft. Später zwangen die zahlreichen Bitten der Kolonisten das Kontor dazu, seine Entscheidung zu revidieren und 1865 eine Übersiedlung in den Kaukasus zu gestatten.

Im Jahr 1874 beschloss die Dorfversammlung, die Ordnung des Landbesitzes zu ändern, so dass die Landstücke nicht mehr aufgrund der Zahl der bei den Revisionen ermittelten „Seelen“ sondern aufgrund der Zahl der männlichen Ackerbauern verteilt wurden. Auf diese Weise konnten Handwerker und andere Dorfbewohner, die keine Landzuteilungen brauchten, ihre Landstücke verpachten. Das System der Landteilung folgte dem Prinzip der Dreifelderwirtschaft. Für den Eigenbedarf unterhielten die Kolonisten Obstgärten und bauten Kartoffeln, Kohl und Gurken an.

Bereits 1810 eröffneten die Bewohner der Herrnhutter Kolonie Sarepta, die weder genug eigene Arbeitskräfte noch die Möglichkeit zum Bezug von Rohmaterial aus dem Ausland hatten, in der zehn Kilometer von Huck entfernt gelegenen Kolonie Norka eine Weberei, woraufhin deren Bewohner das Sarpinka-Gewerbe auch nach Huck brachten, wo es in den 1880er Jahren eine eigenständige Sarpinka-Produktion gab. Nach Stand zum Jahr 1894 waren 184 Dorfbewohner in diesem Bereich tätig.

Unter den deutschen Kolonisten erzählte man sich, dass ein in Huck (Splawnucha) ansässiger Kolonist namens Bohl die sogenannten „Dung-Briketts“ erfunden habe, ein gepresstes Gemisch aus Dung und Stroh, das in Stücke geschnitten und in der kalten Jahreszeit statt Brennholz für die Beheizung der Häuser genutzt wurde. Allerdings machte im Jahr 1803 auch der aus Ust-Solicha stammende Kolonist Riet (oder Riesch) gegenüber dem Fürsorgekontor sein Urheberrecht an der Erfindung geltend.

Nach Angaben des Zentralen Statistik-Komitees gab es 1859 in der Kolonie 332 Höfe, drei Ölmühlen und 22 Mühlen. Nach den Daten der Semstwo-Zählung von 1886 gab es in Huck 440 Wohnhäuser (153 Stein- und 286 Holzhäuser sowie ein Lehmziegelhaus). 1894 gab es in Huck bereits 387 Höfe, vier Backsteinhäuser, 150 Natursteinhäuser und 299 Holzhäuser. Vier Häuser waren mit Blech, 106 mit Holzbohlen und 339 mit Stroh gedeckt.

1886 gab es im Dorf 78 Gewerbebetriebe (unter anderem 30 Tischlereien, 19 Windmühlen, 18 Schmieden, sechs Gerbereien, sechs Radmacherwerkstätten, drei Ölmühlen, eine Färberei, eine Sarpinka-Weberei und eine Schneiderei), fünf Schenken, vier Läden (drei Spirituosen- und einen Krämerladen). Etwa 600 Siedler waren in Handwerk und Gewerbe tätig: 1887 lebten in Huck 119 Tischler, 72 Weber, 55 Schuhmacher, 47 Zimmermänner, 35 Schmiede, 34 Radmacher, 31 Müller, 12 Schneider, neun Gerber, ein Färber und ein Metzger. Einen besonderen Stellenwert hatte die Herstellung von Windsichten (Maschinen, mit denen das Korn nach dem Dreschen von Spreu und Spelzen getrennt wird), die sich mit der Zeit zu einem einträglichen Gewerbe entwickelte. Ende des 19. Jahrhunderts waren Dutzende Familien auf ihren eigenen Höfen mit diesem Handwerk beschäftigt. Im Dorf gab es eine von einem Hilfsarzt betreute Medizinische Versorgungs- und Geburtshilfe-Station. Im Dezember 1910 fasste die Dorfversammlung den Beschluss, in Huck eine Wasserleitung zu verlegen, deren Kosten zu 25% von der Dorfgemeinschaft und zu 75% vom Staat getragen werden sollten.

In den 1920er Jahren gab es in Huck eine Lesehütte, einen Genossenschaftsladen und eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft. 1931 wurde eine Maschinen-Traktoren-Station eingerichtet, die nach Stand zum 1. Januar 1933 über 30 Traktoren und einen Lastwagen verfügte. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Splawnucha trägt.

Schule und Erziehungswesen. Die erste kirchliche Gemeindeschule entstand im Dorf praktisch zeitgleich mit dessen Gründung im Jahr 1767. Zusammen mit den ersten Kolonisten kam am 17. August 1767 in Person des aus Isenburg stammenden 38-jährige Jakob Alt auch der erste Lehrer in die Kolonie, was in den deutschen Siedlungen eher selten der Fall war. Unter seiner Leitung wurde in Huck ein erstes Schulgebäude errichtet, so dass die Kinder im Alter von 7-15 Jahren Lesen und Schreiben lernen konnten.

Der Unterricht fand in zwei Schichten statt. Die Kinder saßen auf langen engen Bänken ohne Tische und mussten die Bücher vor sich in der Luft halten. Der Unterricht wurde vom Lehrer und seinem Gehilfen gehalten, der den Kindern das Alphabet beibrachte. Die Kinder lernten Lesen, Schreiben und die vier Grundrechenarten und mussten den Katechismus, Kirchenlieder und das Evangelium auswendig lernen. Zur Bestrafung der Kinder und Aufrechterhaltung der Disziplin durfte der Lehrer die Schüler mit Stock oder Lineal auf die Handflächen schlagen. Die Schulmeister hatten das Recht, die Schüler nach eigenem Ermessen zu bestrafen, Proteste der Eltern blieben folgenlos. So reichte der Kolonist Nikolaus Ulrich 1820 eine gegen den Schulmeister Leichner gerichtete Beschwerde ein, nachdem sein Sohn hart bestraft worden war. Am 10. November 1820 berief Pastor Cattaneo im Schulhaus eine Dorfversammlung ein und zwang den Kolonisten, sich schriftlich zu entschuldigen, während er das Vorgehen des Lehrers für rechtmäßig erklärte.

1865 wurde in Huck eine von den Semstwo-Organen organisierte russische „Genossenschafts“-Schule eröffnet. Nach Stand zum Jahr 1886 waren 2.967 der insgesamt 5.191 Bewohner Hucks alphabetisiert (1.457 Männer und 1.519 Frauen). Von Ende des 19. Jahrhunderts an gab es im Dorf eine weitere private Schule. Alle drei in Huck bestehenden Schulen waren vergleichsweise groß, da dort über Tausend Kinder gleichzeitig lernen mussten. Eines der drei Schulgebäude, das im Jahr 1897 errichtet wurde und bis heute erhalten ist, war dreistöckig. Geräumig war auch der einstöckige Backsteinbau der anderen Schule, der heute leider zerstört ist.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesens zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 940 der fast 9.151 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten in Huck nicht alle Kinder im entsprechenden Alter auch wirklich eine Schule. 40 Kinder blieben dem Unterricht fern, weil ihre Eltern arm oder auf ihre tägliche Hilfe in Handwerk oder Gewerbe angewiesen waren. Im Jahr 1906 besuchten 438 Jungen und 466 Mädchen die Kirchenschule, an der fünf Lehrer tätig waren. An der privaten Schule lernten 35 Jungen und ein Mädchen bei einem einzigen Lehrer.

In den Jahren der Sowjetmacht wurden alle drei Schulen geschlossen und durch eine Grundschule ersetzt. Mitte der 1930er Jahre wurde die Schule eine Siebenklassen-, 1960 eine Achtklassen- und 1970 eine Mittelschule. Bis 1987 lernten die Kinder im alten Gebäude der deutschen Schule.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche. Eine Besonderheit Hucks bestand darin, dass die Kolonisten mehrheitlich reformiert waren. Neben der offiziellen Kirche waren in Huck wie auch in anderen Dörfern des Amtsbezirks Norka (Kreis Kamyschin, Gouvernement Saratow) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige konfessionelle Minderheiten wie z.B. die Anhänger der sogenannten „Tanzbrüder“ aktiv. 1875 gab es in Huck zudem eine aus 51 Personen bestehende Gruppe der Sekte der „Brüder und Schwestern“, deren Anhänger in den Polizeiberichten unter der dem Deutschen entlehnten Bezeichnung „Ausgänger“ (im Sinne von „aus der Kirche Ausgetretene“) firmierten. 1879 gab es im Dorf zwölf Baptisten. Selbst im Jahr 1931 lebten in Huck noch fünf Personen, die der Gemeinde der Betbrüder angehörten.

Die Gemeinde Huck gehörte zum lutherisch-reformierten Pfarrsprengel Norka, an dessen Gründung Johann Herwig (1714–1782) unmittelbar beteiligt war, der bereits 1767 mit den ersten Kolonisten nach Russland gekommen war und zu den ersten in den Saratower Kolonien tätigen evangelischen Geistlichen gehörte. Neben Huck und Norka gehörte auch die Gemeinde Neu-Messer (Lysanderdorf) zum Pfarrsprengel, weswegen dieser vielfach auch unter dem Namen Norka/Huck/Neu-Messer firmierte.

In der ersten Zeit feierten die Kolonisten ihre Gottesdienste im Schul- und Bethaus, dessen genaues Entstehungsjahr nicht bekannt ist. Eine erste auf Kosten der Kolonisten errichtete Holzkirche wurde in Huck 1795 gebaut. Dabei handelte es sich um eine der wenigen ersten Kirchen, die nicht auf Staatskosten errichtet wurden und sich auch äußerlich von den meisten der in den Kolonien gebauten Bethäuser unterschieden. Sie hatte den Status einer Filialkirche und diente den Bewohnern der Kolonie bis in die 1840er Jahre, als eine neue Kirche errichtet wurde.

Das genaue Entstehungsjahr dieser Kirche ist nicht bekannt. Es handelte sich um einen mit Holzbohlen gedeckten Holzbau, der ein herausragendes Beispiel der Kolonistenarchitektur darstellte. Zeitgenossen nannten die Kirche „erhaben“. Ihre elegante von einem massiven Kreuz gekrönte Silhouette war für jeden, der sich von der Steppe her dem Dorf näherte, schon von weit her zu sehen. Mit der Zeit wurde aber auch diese Kirche für die schnell wachsende Kirchengemeinde zu klein.

Der Bau einer weiteren Kirche wurde in Huck erst 1898 in Angriff genommen. Am 20. August 1900 wurde die Kirche nach zwei Jahren Bauzeit geweiht. Auch bei dieser Kirche handelte sich um einen Holzbau, der allerdings deutlich geräumiger war als der Vorgängerbau. Das geschnitzte hölzerne Kirchengestühl bot Platz für 1.500 Betende. Neben der Kirche, wo sich auch das Küsterhaus mitsamt einem Anbau befand, stand ein hölzerner Glockenstuhl. 1897 wurde im Dorf ein Backsteinbau errichtet, der als Bethaus genutzt wurde.

Der erste Pastor des Pfarrsprengels Johann Herwig (1714–1782) suchte von Norka aus immer wieder auch andere deutsche Wolgakolonien auf, um in den unter Pastorenmangel leidenden lutherischen und reformierten Gemeinden Gottesdienste abzuhalten und kirchliche Zeremonien durchzuführen. (Anfang der 1780er Jahre gab es in allen Wolgakolonien nicht einmal zehn protestantische Geistliche).

Nach Herwigs Tod wandte sich die Gemeinde auf der Suche nach einem Nachfolger an den aus der Schweiz stammenden reformierten Pastor und Arzt Johann Baptiste Cattaneo (1746–1831), der im August 1784 zusammen mit seiner Frau und sechs Kindern nach Norka kam und schon bald zu einer der Führungsfiguren der sich im Aufbau befindenden Kirchenorganisation des Wolgagebiets wurde. Wie schon sein Vorgänger wurde auch Cattaneo oft in andere Gemeinden gerufen, um Gottesdienste und kirchliche Zeremonien abzuhalten. Für seine Russland geleisteten treuen Dienste durfte er nicht nur seinen in Russland geborenen Sohn Lukas Cattaneo (1787–1828) auf Kosten der Zarenfamilie zum Studium an die Universität Dorpat schicken, sondern wurde auch mit einer mit dem Monogramm Zar Alexanders I. verzierten goldenen Tabaksdose ausgezeichnet.

1817 überließ Cattaneo im Alter von 51 Jahren seinem Sohn Lukas die Pflichten des Pastors und konzentrierte sich selbst auf seine Arbeit als Arzt und Chirurg, die ihn nicht nur in den deutschen Kolonien, sondern auch bei den kalmückischen Nomaden berühmt machte. Allein bis 1819 führte Cattaneo 16 Arm- und Beinamputationen, 277 Operationen von Krebs- und anderen Geschwüren sowie über 8.000 Pockenimpfungen durch. Für seine Verdienste als Arzt wurde er mit dem Wladimir-Orden am Band ausgezeichnet. Dank seiner vielfältigen Kenntnisse leistete er den Kolonisten auch im Imkerwesen, in der Pflanzenkunde und in der Landwirtschaft große Dienste.

Als Lukas Cattaneo 1821 auf Weisung des Konsistoriums in den rechtsufrigen Pfarrsprengel Beideck (Talowka) versetzt wurde, kehrte sein mittlerweile 75-jähriger Vater Johann Baptiste noch einmal in den Dienst der Gemeinde zurück. In seinen Aufzeichnungen „Reise durch Deutschland und Russland“ hielt J.B. Cattaneo seine in Russland und den deutschen Wolgasiedlungen gemachten Eindrücke fest.

Bis 1832 nahm der Pfarrsprengel Norka/Huck/Neu-Messer wie auch die beiden anderen zu jener Zeit an der Wolga bestehenden reformierten Pfarrgemeinden Ust-Solicha (Messer) und Balzer (Goly Karamysch) eine Sonderstellung ein. Nach der im Jahr 1832 erfolgten Bestätigung des Statuts der Evangelisch-lutherischen Kirche Russlands billigte das Generalkonsistorium die Einrichtung zweier Probsteien im Wolgagebiet, so dass die reformierten Pfarrgemeinden nach 1832 einem einzigen Konsistorium unterstellt und endgültig mit den Lutheranern vereint waren.

Mit der Etablierung der Sowjetmacht verwaisten viele der Tausende Mitglieder starken lutherischen Gemeinden und blieben jahrelang ohne Pastor: Im Jahr 1924 kamen im Wolgagebiet durchschnittlich 4.000 Lutheraner auf einen einzigen Prediger. So blieben die 23.000 im Pfarrsprengel Norka/Huck/Neu-Messer lebenden Gemeindemitglieder neun Jahre lang ohne Pastor, was zu dieser Zeit keine Ausnahme war.

Die lutherische Kirche im Wolgagebiet stand unter der Leitung des sogenannten „Exekutivkomitees der evangelisch-lutherischen Kirche der deutschen Wolgakolonien“, unter dessen Mitgliedern zahlreiche lutherische Pastoren waren, die nur unter Druck dieser von den Sowjetorganen aufgezwungenen Organisation beigetreten waren. Dem Exekutivkomitee stand der Probst des rechten Wolgaufers und Pastor der Pfarrgemeinde Norka Friedrich Wacker (1886 – nach 1938) vor, der Anfang der 1920er Jahre als Koordinator des Nationalen Lutherischen Rats aktiv an der Hungerhilfe beteiligt war und 1925 zum Direktor des im September des gleichen Jahres gegründeten Leningrader Predigerseminars berufen wurde.

Am 15. Oktober 1930 wurde Pastor Wacker verhaftet und für drei Jahre in das in der Nähe von Bratsk in Ostsibirien gelegene Lager Dubino verbannt. 1933 wurde er auf Gesuch des deutschen Außenministeriums entlassen, durfte aber nicht mehr als Prediger tätig sein.

Huck ist der Geburtsort des lutherischen Pastors Konstantin Rusch (1894–1941), der 1928 das Leningrader Predigerseminar abschloss und von 1929 an in der Herrnhuter Kolonie Sarepta diente. Nach einem erfolglosen Emigrationsversuch wurde er 1930 verhaftet, der antisowjetischen Tätigkeit angeklagt und auf die Solowezki-Inseln verbannt, wo er 1941 erschossen wurde.

Der letzte Pastor der Pfarrgemeinde Norka/Huck Emil Iwanowitsch Pfeiffer (1891–1939), der in den Jahren 1925-33 in Norka, Huck und Neu-Messer diente, ging im Frühjahr 1932 nach Saratow, kam aber weiterhin von Zeit zu Zeit in die Gemeinden des Pfarrsprengels Norka, um dort Gottesdienste abzuhalten. 1934 wurde er verhaftet und auf Beschluss der Sonderkonferenz beim NKWD wegen angeblicher antisowjetischer Tätigkeit zur Verbannung verurteilt. Nach einer neuerlichen Verhaftung wurde der Pastor vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR nach Artikel 58–1 des Strafgesetzbuchs der RSFSR verurteilt und erschossen. Am 5. September 1991 wurde Emil Pfeiffer rehabilitiert.

1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass die Kirche noch nicht geschlossen sei und es in der Kirchengemeinde noch 3.199 Gläubige gebe, von denen sechs den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren.

Am 28. August 1934 informierte die Kommission für Kultfragen beim Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen das Präsidium der ASSR der Wolgadeutschen, dass das Bethaus im Dorf Huck zu einer Schule umfunktioniert sei, der Holzbau der Kirche aber auch weiterhin von den Gläubigen genutzt werde, so dass deren Schließung eigens geprüft werden müsse.

Die lutherische Kirche in Huck gehörte zu den letzten Kirchen im Wolgagebiet, die offiziell geschlossen wurden. Im Jahr 1938 gab es nur noch neun solche Kirchen, die zwar schon nicht mehr genutzt wurden, offiziell aber noch offen waren. Die endgültige Schließung der Kirche in Huck wurde durch die offizielle Beschlussfassung des Präsidiums des Zentralexekutivkomitees und des Obersten Sowjets vom 11. März besiegelt, nachdem sich 941 der insgesamt 1.204 Gemeindemitglieder für ihre Schließung ausgesprochen hatten.

Liste der Pastoren der Pfarrgemeinde Norka/Huck/Neu-Messer

Johann Georg Herwig (1769-82), Johann Baptista Cattaneo (1784-1831), Hilfspastor Lukas Cattaneo (1817-21), Lukas Cattaneo (1828), Friedrich Bo(e)rner (1831-41), Christoph Heinrich Bonwetsch (1845-76), Hilfspastor Gottlieb Nathanael Bonwetsch (1875-77), Wilhelm Stärkel (1877-1908), Hilfspastor Woldemar Sibbul (1897–1901), David Weigum (1910-13), Friedrich Wacker (1913-25), Emil Pfeifer (1929-34).

Entwicklung der Einwohnerzahlen. Ende des 18. Jahrhunderts vereinte der Pfarrsprengel Norka/Huck/Neu-Messer etwa 2.000 Gemeindemitglieder, die in diesen drei Kolonien lebten, sowie 600 Reformierte und Lutheraner aus den nahegelegenen kleineren Siedlungen. 1767 lebten in der Kolonie Huck 306 ausländische Kolonisten, 1773 waren es 380, 1788 - 570, 1798 - 643, 1816 - 1.209, 1834 - 2.120, 1850 - 3.491, 1859 – 4.328 und 1886 - 5.191 Personen. In den 1880er Jahren wanderten mehrere Dutzend Familien aus Huck nach Amerika aus. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reichs von 1897 lebten in Norka 5.134 Personen, von denen 5.109 Deutsche waren. Nach Stand zum Jahr 1905 hatte das Dorf 7.200 und 1911 9.866 Einwohner. Anfang des 20. Jahrhunderts war Norka/ Huck nach der Einwohnerzahl der zweitgrößte Pfarrsprengel der Evangelisch-lutherischen Kirche Russlands (nach Frank). 1906 hatte der Sprengel 23.179 Einwohner, von denen 22.794 Reformierte und 385 Lutheraner waren. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 lebten in Huck 6.348 Personen. 1921 gab es im Dorf 254 Geburten und 520 Sterbefälle. Nach Angaben der Gebiets-Statistikbehörde des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen hatte Huck zum 1. Januar 1922 4.938 Einwohner. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1926 lag die Gesamtbevölkerungszahl im Dorf bei 5.031 Personen (2.447 Männer und 2584 Frauen), von denen 5.014 Deutsche waren (2.431 Männer und 2.583 Frauen). Es gab 745 Haushalte, davon 733 deutsche. 1931 lebten im Dorf 5.200 Personen, von denen 5.188 Deutsche waren.

 

Das Dorf heute. Heute Dorf Splawnucha (Rayon Krasnoarmeisk, Gebiet Saratow). Die im Jahr 1900 errichtete lutherische Kirche ist nicht mehr erhalten, aber auf der heute nach W.I. Lenin benannten Hauptstraße des Ortes wurde am 8. Oktober 2004 die orthodoxe Sergei Rodoneschski-Kirche geweiht. 2005 wurde im Ortskern ein einstöckiges, vor über 120 Jahres ursprünglich von Deutschen errichtetes Holzhaus angekauft und zu einem Gotteshaus umgebaut. 2007 wurde zudem auf Initiative der Gemeindemitglieder der Bau einer kleinen Backsteinkirche in Angriff genommen, an die auch die Kindergruppe „Kleiner Quell“ angeschlossen ist, die Handarbeits- und Bastelkurse organisiert. Es werden auch Kleider- und Sachspenden gesammelt, die für Bedürftige und die Häftlinge der im Dorf Kamenski gelegenen Besserungsanstalt bestimmt sind. Splawnucha ist eines der wenigen früheren deutschen Dörfer, in denen es dank der gemeinsamen Anstrengungen von Bewohnern, Geistlichen, Mäzenen und Bauarbeitern gelungen ist, ein christliches Gotteshaus wiederzuerrichten. Hinter der Kirche liegt das dreistöckige Gebäude des 1897 erbauten alten deutschen Schul- und Bethauses, das heute leider verfällt. Die im Erdgeschoss liegenden Fenster sind allesamt eingeschlagen, in den früheren Klassenzimmern stapeln sich alte Möbel. Aber selbst in seinem heutigen Zustand vermag dieses größte Gebäude des Dorfes noch immer durch seine harmonische Architektur und schiere Größe zu beeindrucken. Das ideale Mauerwerk, der für die deutsche Architektur typische Backsteinschmuck und die halbrunden Fenstergiebel sind ein wahrer Augenschmaus. Von den heutigen Bewohnern des Dorfes weiß leider niemand mehr, wofür die beiden auf der Fassade erhaltenen Buchstaben „N“ und „M“ stehen. Auf den Mauern der Schule lassen sich unter den in den Stein geritzten Daten und Namen neben russischen auch einige deutschsprachige Inschriften wie z.B. „Huck“, „Neu“ oder „Kempel“ (Name eines Schülers) finden.

Das elegante Schulgebäude und die gegenüber liegenden leerstehenden deutschen Holzhäuser scheinen einer anderen Welt anzugehören und stehen in scharfem Kontrast zu den in der Nachbarstraße errichteten, mittlerweile verwahrlosten Bauten der Sowjetzeit. Der einstöckige Holzbau der zweiten deutschen Schule ist schon lange zerstört. Die heutigen Bewohner von Splawnucha brauchen nicht so viele Schulgebäude. 1987 wurde ein zweistöckiger Fertigbau als Schulgebäude errichtet. Nach Stand zum Jahr 2010 lernten in der Allgemeinbildenden Mittelschule Nr. 2 des Dorfes Splawnucha 86 Kinder bei 15 Lehrern.

Literatur

Дитц Я. История поволжских немцев-колонистов. – М., 1997; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Минх А.Н. Историко-географический словарь Саратовской губернии: Южные уезды: Камышинский и Царицынский. Т. 1. Вып. 3. Лит. Л–Ф. Печатан под наблюдением С.А. Щеглова. Саратов: Тип. Губ. земства, – 1901. Приложение к Трудам Саратовской Ученой Архивной Комиссии; Мютель Э. Посвятившие жизнь служению Богу // Наша церковь. Орган евангелическо-лютеранской церкви России. – 1996. – № 3–5; Паллас С. Путешествие по разным провинциям Российского государства в 3-х томах. СПб., 1773–1778; Саратовский край. 1893. Вып. I; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988; Einwanderung in das Wolgagebiet: 1764–1767 / Hrsg.: Alfred Eisfeld. Bearb.: Igor Pleve. Bd. 2. Kolonien Galka – Kutter. Göttingen: Göttinger Arbeitskreis, 2001; Kattaneo I. Die Reise durch Deutschland und Russland. Ulm, 1788 // Еrbes J. Sufferings of the first german colonists during first two decades, 1766–1786. «Journal» of AHSGR. – 1990. – № 2; Deutsche Volkszeitung. 23. Dezember 1910. №129.

Archive

ГАСО. Ф. 2. Оп. 1. Д. 8552. Л. 48, Д. 12411. Л. 96, 107; Ф. 180. Оп. 1. Д. 3707; Ф. 637. Оп. 18. Д. 134–138; ГИАНП. Ф. 260.Оп. 1. Д. 1–9; Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 103; Д. 890. Л. 45; Ф. 976. Оп. 1. Д. 45. Л. 4; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 299. Л. 75; Оп. 2. Д. 76. Л. 158–163.

Autoren: Lizenberger O.A.

ЗEINE FRAGE STELLEN