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KATHARINENTAL (Jekaterinental, Jekaterinowka, Jamy, Staryje Jamy), heute Dorf Jamskoje (Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow)

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Dorf Jamskoje. Apsis der lutherischen Kirche (1907). Heute Kulturhaus. Foto Je. Moschkow, 2010
Dorf Jamskoje. Typisches deutsches Haus mit Walmdach und Gaubenfenstern. Foto Je. Moschkow, 2010
Dorf Jamskoje. Evangelisch-lutherische Kirche (1907). Heute Kulturhaus. Foto Je. Moschkow, 2010
Dorf Jamskoje. Evangelisch-lutherische Kirche (1907 г.). Heute Kulturhaus. Foto Je. Moschkow, 2010

KATHARINENTAL (Jekaterinental, Jekaterinowka, Jamy, Staryje Jamy), heute Dorf Jamskoje (Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow); in der Steppenregion des linksufrigen Wolgagebiets am linken Ufer des Flusses Jama (linker Zufluss des Jeruslan), 18 Werst östlich von Krasny Kut an der Poststraße von Saratow nach Nowousensk gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk Werchni Jeruslan (Bezirk Nowousensk, Gouvernement Samara). Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war Katharinental bis 1941 Verwaltungszentrum des gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 nur das Dorf selbst gehörte.

Die Kolonie wurde 1860 von Kolonisten gegründet, die zuvor in der rechtsufrigen Mutterkolonie Neu-Straub (heute Dorf Tarlyk, Rayon Engels, Gebiet Saratow) gelebt hatten und vor allem wegen des dort herrschenden Landmangels in die Tochterkolonie übergesiedelt waren. Die Besiedlung Katharinentals begann im Jahr 1857, als auf dem Gebiet der künftigen Kolonie 64 Familien lebten, die über 3.360 Desjatinen Land verfügten. Zeitgleich mit Katharinental wurden im linksufrigen Wolgagebiet noch einige weitere Kolonien gegründet.

Im Jahr 1860 prüfte das Fürsorgekontor die Frage der „Benennung der Kolonie Katharinental“. Ihren Namen erhielt die Kolonie zu Ehren der Zarin Katharina II. Der russische Name Jamy geht auf den nahegelegenen gleichnamigen Fluss zurück.

Die Kolonisten waren vor allem im Ackerbau tätig und auf den Anbau von Weizen spezialisiert, der auf einer etwa drei Mal so großen Fläche wie Roggen angebaut wurde. Große Bedeutung für die Entwicklung der Landwirtschaft hatten die natürlich-klimatischen Gegebenheiten. Der um die Siedlung gelegene Boden war sandig und salzig, was die Vegetation einschränkte. In den Jahren der Sowjetmacht wurde im Dorf eine landwirtschaftliche Kooperationsgenossenschaft gegründet. Es gab eine Maschinen-Traktoren-Genossenschaft. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Jamskoje trägt.

 

Schule und Erziehungswesen. In der praktisch zeitgleich mit der Kolonie selbst gegründeten Kirchenschule lernten die Kinder im Alter von 7-15 Jahren. Bis zum im Jahr 1907 erfolgten Bau der ersten Kirche fanden Gottesdienste und Schulunterricht im Schul- und Bethaus statt, dessen erstes Gebäude 1860 erbaut und 1887 durch einen Neubau ersetzt wurde. Ende des 19. Jahrhunderts wurde im Dorf eine Semstwo-Schule eröffnet.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesens zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 240 der insgesamt 1.400 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten nicht alle Kinder im entsprechenden Alter auch wirklich eine Schule. 30 Kinder blieben dem Unterricht fern, weil ihre Eltern arm waren und erklärten, ihre Kinder erst ein Jahr später nach Erreichen des 8. Lebensjahres zur Schule geben zu wollen. Im Jahr 1906 besuchten 36 Jungen und vier Mädchen die Semstwo-Schule, an der nur ein Lehrer tätig war. An der Kirchenschule lernten 83 Jungen und 97 Mädchen bei ebenfalls nur einem Lehrer. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. In den Jahren der Sowjetmacht wurden beide Schulen geschlossen und durch eine Grundschule ersetzt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche. Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischer Konfession. Die evangelisch-lutherische deutsche Gemeinde der Kolonie Katharinental gehörte von 1864 an zum seit dem 22. Juli 1864 bestehenden Pfarrsprengel Schöndorf (heute Dorf Repnoje, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow). Als dieser im Jahr 1905 in die beiden Pfarrsprengel Schöntal (heute Dorf Dolina, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow) und Hoffental (heute Dorf Schdanowka, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow) geteilt wurde, kam das Dorf Katharinental zu letzterem. Der Pfarrsprengel Hoffental, dessen Gründung am 13. Mai 1905 bestätigt wurde, war deutsch-estnisch gemischt und umfasste neben den deutschen Siedlungen Hoffental, Rosental, Katharinental und Straßendorf auch die estnischen Dörfer Lifljanka, Baltijka, Estonka und Gorezkaja. Nach Stand zum Jahr 1905 lebten im Pfarrsprengel Hoffental 8.000 Gemeindemitglieder, von denen 588 reformiert waren.

Die erste Kirche wurde in Katharinental im Jahr 1907 gebaut, nachdem die Gottesdienste zuvor im Schul- und Bethaus abgehalten worden waren. Bei der Auswahl der Pläne für diese aus rotem Backstein errichtete mächtige Kirche entschieden sich die Bewohner von Katharinental für den in den deutschen Kolonien vorherrschenden traditionellen Stil, der einen zweistöckigen Saal vorsah. Eine architektonische Besonderheit der Katharinentaler Kirche bestand darin, dass sie im Unterschied zu den in anderen lutherischen Kolonien errichteten Gotteshäusern keine Säulen an Haupt- und Seitenfassaden aufwies und eine polygonale Apsis hatte. Die Hauptfassade des Gebäudes war links und rechts der Vorhalle mit einige Meter hohen Kreuzen geschmückt.

Im prächtig dekorierten Kircheninneren wurden die Galerien des zweiten Stocks von massiven Holzsäulen gestützt, deren klassische korinthische Kapitelle glockenartige, von stilisierten Akanthos-Blättern geschmückte Details aufwiesen. Im unteren Saal standen für die älteren Gemeindemitglieder bestimmte geschnitzte Holzbänke. Die zweite Ebene, auf der sich das Gestühl für die Jugend befand, war über zwei kleine Holztreppen zu erreichen. Über dem dem Altar gegenüber gelegenen Haupteingang befand sich eine Orgelloge. Neben der Kirche, die den Status einer Filialkirche hatte, befand sich das 1887 errichtete Schul- und Bethaus.

Mit der Etablierung der Sowjetmacht wurden im Land zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, die den Einfluss der Kirche auf Staat und Gesellschaft beseitigen und in letzter Konsequenz der Tätigkeit aller Konfessionen ein Ende setzen sollten. Die kirchenfeindliche Politik ging mit Kirchenschließungen und gegen die Geistlichen gerichteten Repressionen einher. Pastor Hans (Johann) Büttner emigrierte aus Sorge vor einer Verhaftung 1918 zunächst nach Lettland und später nach Deutschland.

Ihren Höhepunkt erreichte die religionsfeindliche Politik nach der Verabschiedung der Beschlussfassung des Zentralen Exekutivkomitees und des Rats der Volkskommissare „Über religiöse Vereinigungen“, durch die die Tätigkeit der religiösen Gemeinden 1929 massiv eingeschränkt wurde. Kirchenschließungen wurden zu einem Massenphänomen. An vielen Orten wurden die Kirchen zu Lagerhäusern oder Garagen umfunktioniert oder als nicht den Ansprüchen des Sozialismus genügende Architektur zum Abriss freigegeben.

1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass die Kirche in Katharinental noch nicht geschlossen sei und es in der Kirchengemeinde noch 472 Gläubige gebe, von denen fünf den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren. Das Präsidium des Zentralexekutivkomitees ordnete an, die Frage einer schnellen Schließung der Kirche zu prüfen. Die Zahl der Gläubigen ging mit jedem Tag unaufhaltsam zurück, die Tätigkeit der Gemeinde stand unter ständiger Kontrolle von Seiten der Machtorgane.

Am 19. April 1931 fasste das Präsidium des Kantonsexekutivkomitees Krasny Kut den Beschluss, den Vertrag mit dem „Kollektiv der Gläubigen im Dorf Katharinental“ wegen Nichtzahlung der Grundsteuer zu kündigen und deren Besitz zu konfiszieren. Die Machtorgane forderten die religiöse Gemeinschaft auf, die in den vergangenen fünf Jahren aufgelaufenen Grundsteuerzahlungen innerhalb einer Frist von einer Woche nachzuzahlen, um anschließend über die Kirche verfügen zu können. Da die Gemeinde die entsprechende Summe nicht aufbringen konnten (als Steuer waren jährlich 8 % des Gebäudewerts angesetzt), wandten sich die verbliebenen Gemeindemitglieder mit einer Beschwerde an die Kommission für Kultfragen und baten darum, die Kirche auch weiter nutzen zu dürfen. Auch wenn die Gemeindemitglieder ihr Gotteshaus schon nicht mehr nutzen konnten, zog sich der Prozess der offiziellen Schließung der Kirche noch über mehrere Jahre hin.

Am 15. Januar 1934 legte die Kommission für Kultfragen beim Präsidium des Zentralexekutivkomitees Unterschriftenlisten der Katharinentaler Gläubigen vor, die sich mit der Schließung der Kirche einverstanden erklärten. Von den insgesamt 388 Gemeindemitgliedern sprachen sich 355 für die Auflösung der Kirche und nur 33 offen für deren Erhalt aus. Am 20. Januar 1934 fasste das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen den Beschluss, die Kirche im Dorf Katharinental zu schließen, und empfahl, das Kirchengebäude für kulturelle Zwecke zu nutzen.

Liste der Pastoren. Pastor der Pfarrgemeinde Schöndorf, der in der Gemeinde Katharinental Gottesdienst hielten: Nikolai Reinhold Sprekelsen (1865-1904). Pastoren der Pfarrgemeinde Hoffental, die in der Gemeinde Katharinental Gottesdienst hielten: Johannes Stenzel (1905). Johann Georg Schwartz (1906-12). Hans Büttner (1913-18).

Entwicklung der Bevölkerungszahlen.1883 lebten in Katharinental 693 Personen, 1889 waren es 749 Personen. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reiches von 1887 lebten in Katharinental 907 Personen, von denen 903 Deutsche waren. Nach Stand zum Jahr 1905 lebten im Dorf  1.249 Personen. 1910 hatte das Dorf 1.358 Einwohner. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 lebten in Katharinental 1.119 Personen. 1921 gab es im Dorf 38 Geburten und 106 Sterbefälle. Nach Angaben der Gebiets-Statistikbehörde des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen hatte das Dorf zum 1. Januar 1922 804 und 1923 insgesamt 665 Einwohner. Nach den Zahlen der Volkszählung von 1926 lag die Gesamtzahl der Bevölkerung bei 851 Personen, von denen 845 Deutsche waren. 1931 lebten im Dorf 1.024 Personen, von denen 998 Deutsche waren.

Das Dorf heute. Heute gehört das Dorf Jamskoje (Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow) zur Landgemeinde Schuraljowka. Auch im heutigen Jamskoje lässt sich noch leicht der frühere deutsche Grundriss des Dorfes erkennen. Bei der Einfahrt ins Dorf fällt sofort ein deutsches Holzhaus mit symmetrisch angeordneten Gaubenfenstern auf dem Walmdach auf. Walmdächer, bei denen das Dach aus jeweils zwei trapezförmigen und dreieckigen Dachflächen konstruiert wird, waren eine traditionell vor allem in Süddeutschland verbreitete Bauform, die unter den deutschen Kolonisten als günstig galt, da man das Baumaterial für den Giebel sparen konnte. Andererseits war der Bau eines solchen Daches angesichts der am Zusammenlauf von Dachschrägen und Walm benötigten Schrägrippen und der erforderlichen Konstruktion komplizierter Dachsparren arbeitsaufwendiger.

Die Dachgauben ihrer Wohnhäuser nutzten die Kolonisten zur Belüftung und Belichtung ihrer Häuser sowie als architektonisches Schmuckelement. In der früheren deutschen Heimat der Kolonisten waren Dachgauben so verbreitet, dass ihr Bau durch zahlreiche Normen und Vorschriften geregelt war und es eine Vielzahl verschiedener Namen („Zwergenhäuschen“ bzw. „Zwerchhaus“, „Dachhaus“, „Lukarne“ u.a.) gab. Im vorliegenden Fall hat das Haus Satteldachgauben. Auch heute noch lassen sich sowohl in Jamskoje als auch in anderen früheren deutschen Siedlungen zahlreiche „Zwergenhäuschen“ finden.

Schon von der Landstraße aus fällt einem das im Ortskern gelegene Gebäude der 1907 errichteten früheren Kirche ins Auge, das heute als Kulturhaus genutzt wird. Auch wenn das Gebäude schon über hundert Jahre als ist und keinen Glockenturm mehr hat, hat die frühere Kirche nichts von ihrer Attraktivität und Erhabenheit eingebüßt: die hohen Stufen des Haupteingangs, die rechteckige Vorhalle, die polygonale Apsis, der strenge und zugleich elegante Fassadenschmuck, die massiven Fenstergiebel der ersten Etage. Der neben der Kirche gelegene Holzbau der früheren deutschen Schule wurde bei einem Brand zerstört. An seinem früheren Standort befindet sich heute eine verwahrloste Freifläche. Im Dorf gibt es eine Allgemeinbildende Mittelschule und eine Post. Das heutige Dorf Jamskoje hat etwa 720 Einwohner.

Literatur

Герман А.А. Немецкая автономия на Волге. 1918–1941. Часть II. Автономная республика. 1924–1941. – Саратов, 1992–1994; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988.

Archive

 ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. Д. 340; Ф. 637. Оп. 19. Д. 161; ГИАНП. Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 890. Л. 36; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 299. Л. 62.

Autoren: Lizenberger O.A.

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