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NEU-BAUER (Bauer, Soljanka), heute aufgegeben

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Standort des früheren Dorfes Soljanka
Standort des früheren Friedhofs des Dorfes Soljanka
Standort des früheren Dorfes Soljanka

NEU-BAUER (Bauer, Soljanka), heute aufgegeben; im linksufrigen Wolgagebiet am linken Ufer des Flusses Soljanka (Schidkaja Soljanka), 555 Werst von Samara, 118 Werst von Saratow, 100 Werst von der Bezirksstadt Nowousensk, 18 Werst vom Hauptort des Amtsbezirks Eckheim (heute Dorf Usatowo) und 14 Werst von Krasny Kut gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zu den Amtsbezirken Nischni Jeruslan bzw. Krestowy (Bezirk Nowousensk, Gouvernement Samara).

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war das Dorf Neu-Bauer bis 1941 Verwaltungszentrum des im Kanton Krasny Kut gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 neben dem Dorf selbst auch die 25 km von Krasny Kut entfernt gelegene Gehöftsiedlung Neu-Bauer gehörte, die zu diesem Zeitpunkt 38 Einwohner hatte. Vom 1. Januar 1935 an gehörte das Dorf Neu-Bauer bis zur im Jahr 1941 erfolgten Auflösung der ASSR der Wolgadeutschen zu dem aus dem Kanton Krasny Kut ausgegliederten Kanton Eckheim.

Die Siedlung wurde 1859 als Tochterkolonie der rechtsufrigen Kolonie Bauer gegründet. Die Gründer waren 519 Kolonisten, die zuvor in der Mutterkolonie Bauer (heute Dorf Karamyschеwka, Rayon Krasnoarmeisk, Gebiet Saratow) gelebt hatten und 1859 infolge des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Mutterkolonien des rechtsufrigen Wolgagebiets herrschenden Landmangels an ihren neuen Siedlungsort gekommen waren, wo sich ihnen schon bald Kolonisten aus Hussenbach/Linjowo Osero (heute Dorf Linjowo, Rayon Schirnowsk, Gebiet Wolgograd) anschlossen. Die Besiedlung der die spätere Kolonie umgebenden Steppen hatte bereits Mitte der 1850er Jahre begonnen. Zusammen mit Neu-Bauer wurden in jenen Jahren im linksufrigen Wolgagebiet noch einige weitere Kolonien gegründet.

Im Jahr 1860 prüfte das Fürsorgekontor die Frage der Benennung der Kolonie Neu-Bauer, die nach ihrer Mutterkolonie Bauer benannt wurde. Die Vorsilbe „Neu“ wurde sogar in offiziellen Dokumenten oft weggelassen. Der zweite Name Soljanka, den das Dorf 1915 im Zuge der infolge des Ersten Weltkriegs entfesselten antideutschen Propagandakampagne erhielt, geht auf den nahegelegenen gleichnamigen Fluss zurück. Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen erhielten die Dörfer ihre deutschen Namen zurück.

Die Bewohner Neu-Bauers waren vor allem im Ackerbau und in der Mehlproduktion tätig und bauten Weizen, Roggen, Hafer und Gerste an. Nach Angaben des Zentralen Statistik-Komitees lebten 1857 in der Kolonie 73 Familien. 209 Männer besaßen insgesamt 2.475 Desjatinen Land. Mit der Zeit sahen sich die Kolonisten allerdings auch im linksufrigen Wolgagebiet mit dem Problem des Landmangels konfrontiert. Unter den im Staatlichen Archiv des Gebiets Saratow verwahrten Akten des Saratower Fürsorgekontors für Ausländische Siedler findet sich eine auf die Jahre 1869-71 datierte „Akte über den Zuschnitt eines Landstücks an die Kolonie Neu-Bauer“. 1869 wandten sich Vertreter der Kolonie mit der Bitte an das Fürsorgekontor, ihnen zusätzliches Ackerland zuzuweisen. Nachdem der Architekt und Landvermesser des Kontors F. Lagus den Besitzstand der Kolonisten geprüft und die Ländereien vermessen hatte, wurde der Bitte stattgegeben.

Nach Angaben des Statistik-Komitees des Gouvernements Samara gab es im Jahr 1910 im Dorf 256 Höfe, drei Wind- und eine Dampfmühle sowie eine Ölmühle. In den Jahren der Sowjetmacht gab es in Neu-Bauer eine Landwirtschaftliche Kooperationsgenossenschaft. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Soljanka trägt.

Schule und Erziehungswesen. Die erste kirchliche Gemeindeschule wurde im Dorf unmittelbar nach der Ansiedlung der deutschen Kolonisten gegründet. Bei dem Schulgebäude handelte es sich um einen Holzbau. 1868 fasste die Gemeinde den Beschluss, auf eigene Kosten ein neues Schul- und Bethaus zu errichten. 1871 wurden die Bauarbeiten abgeschlossen und von der dem Architekten F. Lagus unterstellten Baukommission des Fürsorgekontors abgenommen. Nach 1870 wurde im Dorf eine Semstwo-Schule eingerichtet, in der auch Russisch unterrichtet wurde. Dort lernten maximal 50 Schüler in einem Klassenzug drei Jahre bei einem einzigen Lehrer. Die den Semstwos unterstellten Elementarschulen waren im Vergleich zu den kirchlichen Gemeindeschulen besser mit Lehrmaterial ausgestattet und boten einen umfassenderen Lehrplan. Neben Religion, Lesen und Schreiben, Rechnen und Gesang vermittelten die in den Semstwo-Schulen tätigen Lehrer den Schülern auch Elementarkenntnisse in Naturkunde, Geographie und Geschichte und nutzten bessere Lehrmittel.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesens zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 222 der fast 1.978 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten nicht alle Kinder im schulpflichtigen Alter auch wirklich eine Schule. Nach Angaben von Erbes blieben 30 Kinder dem Unterricht fern, weil sie keine Kleidung hatten oder ihren Eltern bei der Heimarbeit zur Hand gehen mussten. Im Jahr 1906 besuchten 58 Jungen und 4 Mädchen die Semstwo-Schule, in der K. Wilhelm als einziger Lehrer tätig war. In der Kirchenschule lernten 62 Jungen und 98 Mädchen bei einem einzigen Lehrer namens Gellhorn. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. In sowjetischer Zeit wurden beide Schulen geschlossen und durch eine Grundschule ersetzt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche. Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischer Konfession. Einige Dutzend Bewohner des Dorfes waren Baptisten. In den Jahren 1860-65 wurde die lutherische Gemeinde Neu-Bauer von den Pastoren der Pfarrgemeinde Warenburg (heute Priwolnoje, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow) betreut. Von 1865 an gehörte die Gemeinde Neu-Bauer zum am 25. Oktober 1865 gegründeten Pfarrsprengel Eckheim (heute Usatowo, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow). 1882 wurden die aus dem Sprengel Eckheim ausgegliederten lutherischen Siedlungen Brunnental (heute Kriwojar, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow), Hussenbach (heute Perwomaiskoje, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow), Gnadenfeld (heute Kirowo, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow), Neu-Beideck (heute aufgegeben), Blagodarowka (heute aufgegeben) und Dobrino (heute aufgegeben) zum Pfarrsprengel Brunnental zusammengeschlossen, während die Kolonien Neu-Bauer, Neu-Schilling, Langenfeld, Rosenfeld, Friedenfeld, Eckheim und Ehrenfeld sowie die lutherische Gemeinde Krasny Kut im Pfarrsprengel Eckheim blieben, in dem nach Stand zum Jahr 1905 10.733 Gemeindemitglieder lebten.

Ein eigenes Kirchengebäude gab es im Dorf nicht. Etwa zehn Jahre lang hielten die Kolonisten ihre Gottesdienste in dem relativ kleinen Schulgebäude ab, das in Neu-Bauer in den ersten Jahren des Bestehens der Kolonie entstanden war. In den Jahren 1868-71 wurde im Dorf unter Leitung des für das Fürsorgekontor tätigen Architekten F. Lagus ein neues Schul- und Bethaus errichtet, das 1871 eingeweiht wurde. 1903 wurde im Dorf ein neuer Holzbau für das Schul- und Bethaus errichtet. Neben dem lutherischen Gotteshaus gab es im Dorf auch ein baptistisches Bethaus.

Der in den Jahren 1918/19 zu verzeichnende faktische Zusammenbruch der Evangelisch-lutherischen Kirche in Russland, fehlende Kontakte zur Kirchenführung und die Massenemigration der Geistlichen führten im Verlauf der 1920er Jahre dazu, dass sich viele Gemeinden und unter anderem auch die Pfarrgemeinde Eckheim, zu der auch Neu-Bauer gehörte, der von der offiziellen Kirche abgespaltenen Freien Evangelisch-lutherischen Kongegrationskirche anschlossen, die mit der Sowjetmacht kollaborierte und in den Jahren 1927–35 bestand (eine vergleichbare Erneuerungsbewegung gab es auch in der Russisch-Orthodoxen Kirche).

Im Winter 1919 sprach sich Pastor Johann Allendorf auf dem in Balzer stattfindenden Kirchenkongress gegen eine Autonomie der Kirchenorganisation des Wolgagebiets aus, zu der diese von den Organen der Sowjetmacht gedrängt wurde.

Im Januar 1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass das Bethaus in Neu-Bauer noch nicht geschlossen sei und es in der Kirchengemeinde noch 596 Gläubige gebe, von denen 25 den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren. Das Präsidium des Zentralexekutivkomitees ordnete an, die Frage einer schnellstmöglichen Schließung des Bethauses zu prüfen und wies darauf hin, dass es in Gestalt der Adventisten noch eine weitere Gruppe von Gläubigen im Dorf gab (die aus gerade einmal vier Personen bestand). Die Zahl der Gläubigen ging mit jedem Tag unaufhaltsam zurück, das Gemeindeleben stand unter ständiger Kontrolle von Seiten der Machtorgane.

 

In einem von den Organen des NKWD zusammengestellten Bericht wurde Pastor Allendorf als „wohlhabender alter Lischenez“ beschrieben, „der eine große Landwirtschaft hat und den Maßnahmen der Sowjetmacht passiv gegenübersteht“. Wenige Jahre nach seinem Tod hörte seine frühere Pfarrgemeinde, die einst zu den größten im linksufrigen Wolgagebiet gezählt hatte, im Jahr 1931 auf zu bestehen.

Am 20. Juni 1934 wurde das Bethaus in Neu-Bauer auf Anordnung des Präsidiums des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen geschlossen, nachdem sich 379 der insgesamt 418 Gläubigen für dessen Schließung und nur 39 Gemeindemitglieder dagegen ausgesprochen hatten. Das Präsidium der ASSR der Wolgadeutschen empfahl, das Gebäude des Bethauses als Schule zu nutzen.

Liste der Pastoren. Pastor der Pfarrgemeinde Warenburg (Priwolnoje), der in der Gemeinde Neu-Bauer Gottesdienst hielt: Franz Karl Hölz (1860-65). Pastoren der Pfarrgemeinde Eckheim, die in der Gemeinde Neu-Bauer Gottesdienst hielten. Friedrich Heinrich Wilhelm Keller (1867-68). Wilhelm Stärkel (1869-77). In den Jahren 1877-87 hatte die Gemeinde keinen Pastor. Johannes Allendorf (1887-1931).

Entwicklung der Bevölkerungszahlen. 1883 lebten in Neu-Bauer 1.089 und 1889 - 1.172 Personen. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reiches von 1887 hatte Neu-Bauer 1.579 Einwohner, von denen 1.550 Deutsche waren. 1905 lebten im Dorf 1.966 und im Jahr 1910 – 2.035 Personen. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 hatte Neu-Bauer 1.578 Einwohner. 1921 gab es im Dorf 79 Geburten und 164 Sterbefälle. Nach Angaben der Gebiets-Statistikbehörde des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen lebten in Neu-Bauer nach Stand zum 1. Januar 1922 insgesamt 1.053 Personen. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1926 gab es im Dorf 217 Haushalte (davon 215 deutsche) mit einer Bevölkerungszahl von 1.012 Personen (477 Männer und 535 Frauen), von denen 1.003 Deutsche waren (471 Männer und 532 Frauen). 1931 lebten in Neu-Bauer 1.324 Personen, von denen 1.230 Deutsche waren.

Das Dorf heute. Heute existiert das Dorf nicht mehr, auch wenn es selbst auf neueren Karten noch immer als Dorf Soljanka (Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow) verzeichnet ist. Die in den 1960er Jahren durchgeführte staatliche Kampagne zur Aufgabe „perspektivloser Dörfer“ sowie die Probleme der in den Kriegsjahren gekommenen neuen Siedler, sich an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen, führten zu einem Rückgang der Einwohnerzahlen und zur Aufgabe vieler ehemaliger deutscher Siedlungen. In heutiger Zeit sind am früheren Standort des Dorfes Neu-Bauer bzw. Soljanka nur noch die Standorte der früheren Häuser, Reste der Fundamente sowie Erderhebungen und -vertiefungen klar zu erkennen. Wohn- oder Wirtschaftsbauten sind auf dem Territorium des früheren Dorfs nicht mehr erhalten. Neben dem kleinen Friedhof aus sowjetischer Zeit sind die geraden Reihen und kleinen Hügel der deutschen Gräber erkennbar.

Literatur

Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Лиценбергер О.А. Евангелическо-лютеранская церковь и Советское государство (1917–1938). – М., 1999; Список населенных мест Самарской губернии. – Самара, 1910; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Немцы России: населенные пункты и места поселения: энциклопедический словарь / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2006; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988; Personalstatus der evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformatorischen Kirche in Russland. – Petrograd, 1914; Stumpp K. Verzeichnis der ev. Pastoren in den einzelnen deutschen und gemischten Kirchspielen in Russland bzw. der Sowjetunion, ohne Baltikum und Polen // Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen. Evangelischer Teil. Bearbeitung J. Schnurr. – Stuttgart, 1978.

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Autoren: Lizenberger O.A.

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