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NEU-STRAUB (Nowaja Skatowka, Neu-Skatowka, Skatowka Nowaja, Skatowka, Nowy Kolonok, Neu-Saratowka)

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
In das Dorf Skatowka (Nowoskatowka, früher Neu-Straub) führende Straße. Foto Je. Moschkow, 2012.
Früheres Schulgebäude im Dorf Neu-Straub. Foto Je. Moschkow, 2012.
Früheres Schulgebäude im Dorf Neu-Straub. Foto Je. Moschkow, 2012.
Typisches deutsches Haus im Dorf Skatowka. Foto Je. Moschkow, 2012.

NEU-STRAUB (Nowaja Skatowka, Neu-Skatowka, Skatowka Nowaja, Skatowka, Nowy Kolonok, Neu-Saratowka), heute Dorf Nowoskatowka (Rayon Tatischtschewo, Gebiet Saratow); im waldigen und hügeligen Teil des rechtsufrigen Wolgagebiets, am Fluss Skatowka (Sokurta), 42 Werst nordwestlich von Saratow gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk Jagodnaja Poljana (Bezirk Saratow, Gouvernement Saratow).

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war Neu-Straub bis 1941 Verwaltungszentrum des im Rayon Krasnaja Poljana (Region Untere Wolga) gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 nur das Dorf selbst gehörte. Am 1. April 1932 wurde der Rayon Jagodnaja Poljana aufgrund der Beschlussfassung des Zentralexekutivkomitees der RSFSR „Über die Überführung des Rayons Jagodnaja Poljana aus der Region Untere Wolga in die ASSR der Wolgadeutschen“ zum 13. Kanton der ASSR der Wolgadeutschen, zu dem die drei deutschen Dörfer Jagodnaja Poljana (Beerenfeld) Skatowka (Neu-Straub) und Pobotschnoje sowie fünf weitere kleinere Ortschaften gehörten. Der Kanton bildete eine außerhalb der Grenzen der ASSR der Wolgadeutschen, 50 km nordwestlich von Saratow gelegene Exklave und hatte eine Fläche von 38.703 Hektar. Bereits drei Jahre nach seiner Eingliederung in die ASSR der Wolgadeutschen wurde der Kanton Jagodnaja Poljana wieder aufgelöst und an das Gebiet Saratow angeschlossen. Bis 1941 gehörte das Territorium zu den Rayonen Wjasowka, Basarny Karabulak bzw. Nowyje Burasy.

Neu-Straub wurde 1802 als letzte deutsche Kronkolonie im Wolgagebiet gegründet. Gründer der Siedlung waren 96 Kolonisten aus der linksufrigen Kolonie Straub/Skatowka (Kreis Tarlyk, Bezirk Nowousensk, Gouvernement Samara; heute Dorf Skatowka, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow), deren erste Siedler wiederum aus Hessen und Preußen stammten.

Die Übersiedlung der Kolonisten aus Straub nach Neu-Straub war vor allem durch den in der Mutterkolonie herrschenden Landmangel motiviert. Im Zuge der 5. Revision wiesen die in Straub ansässigen Kolonisten 1798 darauf hin, dass ihnen neben landwirtschaftlichen Nutzflächen auch ausreichend Wasser für den Eigenbedarf und die Bewässerung der Felder fehle, woraufhin ihnen das Fürsorgekontor in der Nähe der rechtsufrigen Kolonien Jagodnaja Poljana und Pobotschnoje am Sokurskij Umjot gelegene Landstücke anbot. Nachdem Abgesandte der Kolonisten die zugeteilten Ländereien besichtigt hatten, kam es innerhalb der Gemeinschaft der Kolonie Straub zu einem Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Übersiedlung, in dessen Verlauf der Vorsteher der Kolonie Rudolf den Übersiedlungswilligen den Verkauf ihrer Häuser verbot und sie zu zwingen versuchte, Abgaben für den Bau eines für den Schulmeister bestimmten Hauses zu leisten. Ungeachtet der Tatsache, dass Rudolf allen, die sich ihm widersetzten, Peitschenhiebe androhte, bat Friedrich Geits als Vertreter der Kolonisten das Fürsorgekontor 1799 um die Genehmigung der Übersiedlung und Bereitstellung entsprechender Ländereien. Im Jahr 1800 wandten sich die übersiedlungswilligen Kolonisten zudem mit einem entsprechenden Gesuch an das Amt für Staatswirtschaft. Nachdem schließlich sowohl das Amt als auch das Kontor ihre Zustimmung erteilt hatten, ließen sich im Frühjahr 1802 28 Familien nach mehrjährigem Warten an den ihnen schon früher zugeteilten Orten nieder und gründeten die Kolonie Neu-Straub. Im August 1802 verpflichtete das Kontor den Vorsteher der Kolonie Rudolf, den Übersiedlern einen Teil der beim Bau der Kirche, des Schulhauses und des Getreidespeichers angefallenen Kosten zurückzuerstatten, damit diese an ihrem neuen Siedlungsort entsprechende öffentliche Bauten errichten konnten.

Mit der Gründung von Neu-Straub kam der Prozess der Einrichtung ausländischer Kolonien im Wolgagebiet zu seinem Abschluss. Zu diesem Zeitpunkt gab es über 100 Mutterkolonien, die sich auf die zehn Kreise Katharinenstadt, Kamenka, Krasny Jar, Norka, Paninskoje, Sosnowka, Tarlyk, Tonkoschurowka, Ust-Kulalinka und Jagodnaja Poljana verteilten.

Beide Namen (Neu-Straub und Neu-Skatowka) leiteten sich von der Mutterkolonie ab, deren deutscher Name auf ihren ersten Vorsteher Johann Heinrich Straub zurückging, während sich der russische Name Skatowka (abgeleitet vom russischen Wort „skat“ – Hang, Böschung) aus den landschaftlichen Gegebenheiten am Standort herleiten ließ, da die Kolonie in einer von zahlreichen Erosionsschluchten zerklüfteten Gegend lag. Den weniger gebräuchlichen Namen Nowy Kolonok erhielt die Siedlung in Analogie zu den nahegelegenen deutschen Kolonien Jagodnaja Poljana und Pobotschnoje, die mit zweitem Namen Werchni Kolonok (Stary Kolonok) bzw. Sredni Kolonok hießen. Der Name Neu-Straub wurde später auch einer südöstlich von Pokrowsk im Amtsbezirk Tarlyk (Bezirk Nowousensk, Gouvernement Samara) gelegenen lutherischen Gehöftsiedlung gegeben, die im Jahr 1926 775 Einwohner hatte.

Erster Vorsteher von Neu-Straub war der Kolonist Rothermel. Die Brüder Rothermel bauten in der Kolonie auch die erste Mühle, die sie 1829 an den Kolonisten Esslinger verkauften. An ihrem neuen Siedlungsort betrieben die Kolonisten weiterhin Ackerbau und waren auf den Anbau von Weizen und Roggen spezialisiert. Im Unterschied zu vielen anderen deutschen Kolonien, in denen es an Waldflächen mangelte, verfügte Neu-Straub über vergleichsweise viel Wald, der sich auch zum Schlag von Baumaterial eignete. Während in den linksufrigen Kolonien auf eine Familie zwei bis fünf Desjatinen forstwirtschaftlich nutzbare Waldfläche kamen, waren es in Neu-Straub 14,8 Desjatinen. Nichtsdestotrotz waren die Kolonisten beim Bau ihrer Häuser jedes Mal verpflichtet, beim Fürsorgekontor eine Genehmigung zum Holzschlag einzuholen. So ist im Verzeichnis der verlorenen Akten des Saratower Kontors für Ausländische Siedler des Staatsarchivs des Gebiets Saratow eine auf das Jahr 1894 datierte „Akte über die den Kolonisten der Kolonie Nowaja Skatowka Enz und Decker erteilte Genehmigung, 60 Bäume zu schlagen“ aufgeführt. Der Holzschlag durfte ausschließlich mit Genehmigung des Fürsorgekontors erfolgen. Angesichts der in der Steppenregion herrschenden Bedingungen führte der Mangel sowohl an Bau- als auch an Brennholz dazu, dass die Kolonisten häufig gegen dieses Verbot verstießen. In Artikel 53 der am 16. September 1820 vom Zaren bestätigten „Instruktion über die innere Ordnung und Verwaltung der Wolgakolonien“ hieß es: „In den Siedlungen, die reichlich mit Wald ausgestattet sind, ist jede überschüssige Nutzung zu unterbinden und so zu beschränken, dass die Kolonisten diesen über den für ihr Haus nötigen Bedarf hinaus nicht zum Verkauf an andere Orte nutzen und daraus keine Einnahmen für sich erzielen“.

Große Bedeutung für die erfolgreiche Entwicklung der Landwirtschaft hatten in Neu-Straub die im Vergleich zum linksufrigen Wolgagebiet günstigeren geographischen, natürlichen und klimatischen Bedingungen. Nichtsdestotrotz gingen ertragreiche Jahre im Wolgagebiet immer auch mit Jahren der Dürre und des Hungers einher. In den Jahren 1831-32 führte das Fürsorgekontor im Auftrag des Departements für Staatswirtschaft und öffentliche Bauten des Innenministeriums eine Untersuchung der sozial-ökonomischen Lage der Kolonie Straub durch und kam nach Prüfung der persönlichen Beschwerden der Kolonisten zu dem Schluss, dass der Zustand der Kolonie befriedigend sei.

Die Bewirtschaftung des Landes erfolgte nach dem Gemeinschaftsprinzip. Viele Kolonisten zogen es vor, nicht nur eine, sondern zwei bis drei Parzellen zu bewirtschaften. Infolge des rapiden Bevölkerungswachstums sahen sich die Bewohner des Dorfes zunehmend mit dem Problem des Landmangels konfrontiert. Im Jahr 1859 lebten 95 Familien im Dorf, die über insgesamt 1.584 Desjatinen Land verfügten. Bis 1910 stieg die Zahl der Familien auf 390, während zugleich nur zusätzliche 1.667 Desjatinen Land zur Verfügung standen. Darüber hinaus kam es zu zahlreichen Landfragen betreffenden Rechtsstreitigkeiten mit den Bewohnern der Nachbardörfer. So prüften die Saratower Gouvernements-Führung und das Fürsorgekontor in den Jahren 1861-70 z.B. gegenüber der jeweils anderen Seite bestehende Gebietsansprüche der in Neu-Straub ansässigen Kolonisten und der Bauern der russischen Dörfer Roschdestwenskoje und Wjasowka. Nach Stand zum Jahr 1862 gab es im Dorf 97 Höfe, drei Fabriken und eine Mühle. 1911 war die Zahl der Höfe auf 250 gestiegen. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es im Dorf eine Sarpinka-Kooperative und eine Verbrauchergesellschaft, die im Jahr 1910 beschloss, im Dorf einen eigenen Laden zu bauen.

Nach der Etablierung der Sowjetmacht sah sich die Bevölkerung mit radikal veränderten Lebensbedingungen konfrontiert. So wies der Dorfsowjet zusammen mit dem Bauernkomitee auf „einzelne Brandherde erhöhter Sterblichkeit im Bezirk“ sowie eine desaströse Lage im Dorf und im gesamten Amtsbezirks Jagodnaja Poljana hin. In einem aus dem Jahr 1926 stammenden Dokument hieß es: „Im gesamten Bezirk ließen sich im Vergleich zum Vorjahr ein rapider Anstieg der Sterblichkeit und sinkende Bevölkerungszahlen verzeichnen. Diese Schwankung fällt angesichts der in den letzten Jahren im Bezirk zu verzeichnenden Verbesserung der sanitären Bedingungen zunehmend auf und stellt eine Gefahr für die zukünftige normale Existenz des Amtsbezirks dar… Die Sterberate ist bis zum heutigen Tag fast um ein Viertel gestiegen... Mit Blick auf die insbesondere in der arbeitsfreien Winterzeit ausschließlich aus Kartoffeln bestehende Ernährung weisen einzelne Personen darauf hin, dass bei der Verpflegung Ausnahmen für kleine Kinder gemacht werden, denen am Tag ein kleines Stück Brot gegeben wird. Kartoffeln spielen für die Ernährungsgewohnheiten der im Amtsbezirk ansässigen deutschen Bevölkerung eine dominierende Rolle und werden in Form von 19 verschiedenen Gerichten zu sich genommen.“ In den Jahren der Hungernöte der Jahre 1921-22 und der frühen 1930er Jahre hatte das Dorf erhebliche Opfer zu beklagen. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das den Namen Nowoskatowka erhielt.

Schule und Erziehungswesen. Die erste Schule entstand in Neu-Straub praktisch unmittelbar nach der Gründung der Kolonie, da die Kinder der aus Straub kommenden Kolonisten bereits in der alten Kolonie bei dem Lehrer Batz die Schule besucht hatten, und die Eltern, die sich in Straub an der Finanzierung des Schulbaus beteiligt hatten, einen Teil der dafür verwendeten Mittel zurückerhielten, um auch an ihrem neuen Siedlungsort ein Schulgebäude errichten zu können. Durch die Tradition der deutschen Kolonistenschulen standen die Kolonisten geradezu in der Pflicht, der schulischen Unterweisung ihrer Kinder große Bedeutung beizumessen. So hatte der Schulbau auch an ihrem neuen Wohnort Priorität und das Schul- und Bethaus, in dem bis zum im Jahr 1829 erfolgten Bau der ersten Kirche auch die Gottesdienste stattfanden, war das erste öffentliche Gebäude überhaupt, das in der neuen Kolonie entstand. Im Jahr 1805 erlaubte das Fürsorgekontor dem aus der Kolonie Staraja Skatowka stammenden Lehrer Metzler, in Neu-Skatowka (Neu-Straub) als Schulmeister tätig zu sein, zu dessen Pflichten es neben der Unterweisung der Kinder gehörte, dem Pastor als Küster bei den Gottesdiensten zu assistieren. Die Namen der Schullehrer sind größtenteils nicht überliefert. Bekannt ist nur, dass Konrad Rüger in den 1880er und 1890er Jahren Küster und Schulmeister war.

Im Jahr 1901 fasste die Kirchengemeinde den Beschluss, auf eigene Kosten ein neues Schul- und Bethaus zu bauen, dessen aparte Architektur dem Dorf eine typisch deutsche Atmosphäre verlieh. Bei der in den Jahren 1901-06 errichteten neuen Schule handelte es sich um einen eleganten Backsteinbau, dessen Haupt- und Seitenfassaden reich mit architektonischem Dekor geschmückt waren. Die im oberen Teil abgerundeten Fenster des Gebäudes waren von eleganten Backsteingiebeln gekrönt. Den repräsentativen Charakter des Gebäudes unterstrich auch der in Form eines vorgelagerten Säulengangs gestaltete und von Dreiecksgiebeln gekrönte Haupteingang, über dem eine Uhr angebracht war. Im Winter fanden im Schulgebäude auch die Betversammlungen der Gemeindemitglieder statt.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Schule von über 300 Kindern besucht. Nach den Zahlen der Volkszählung von 1920 waren im Amtsbezirk Jagodnaja Poljana 30,9% der männlichen und 29,8% der weiblichen Bevölkerung alphabetisiert. In den Jahren der Sowjetmacht wurde die Kirchenschule geschlossen und durch eine Grundschule sowie einen Punkt zur Bekämpfung des Analphabetentums ersetzt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche. Die Bewohner des Dorfes waren evangelisch-lutherischer Konfession. Die evangelisch-lutherische Gemeinde der Kolonie Neu-Straub gehörte zum Pfarrsprengel Jagodnaja Poljana, als dessen Gründungsjahr unterschiedliche Quellen wahlweise 1785 oder 1804 angeben. Im Verzeichnis der Akten des Saratower Kontors für ausländische Siedler wiederum ist eine „Akte über den Anschluss der Kolonien Jagodnaja Poljana und Pobotschnaja an den Pfarrsprengel“ aufgeführt, die auf das Jahr 1799 verweist. Zudem ist belegt, dass die Kolonie Neu-Straub im Jahr 1802 bereits dem Pfarrsprengel angehörte. Im Jahr 1905 lebten im Pfarrsprengel Jagodnaja Poljana 15.692 Gemeindemitglieder.

Eine erste von den Kolonisten auf eigene Kosten errichtete Kirche wurde im Jahr 1829 gebaut. Dabei handelte es sich um einen eher schlichten Holzbau, der den Status einer Filialkirche hatte und von örtlichen Handwerkern ohne offiziell eingereichten Bauplan und Kostenvoranschlag errichtet wurde. Bis Anfang der 1830er Jahre prüfte und bestätigte das Fürsorgekontor nach eigenen Angaben „keine Pläne [und] keine Kostenvoranschläge…und überließ dies den Gemeinschaften der Kolonisten selbst“. Das Kirchengestühl bot Platz für 700 Gemeindemitglieder.

1889 wurde am Standort der alten Kirche eine neue Holzkirche errichtet, die deutlich größer war als der Vorgängerbau und den für die deutschen Kolonien typischen Architekturstil aufwies. Neben der Kirche befanden sich ein hölzerner Glockenstuhl, das Schul- und Bethaus sowie das Küsterhaus. Die Kirche war von einem Holzzaun eingefriedet.

Den nach Neu-Straub übergesiedelten Kolonisten fehlte in den ersten Jahren des Bestehens der Siedlung jegliches geordnete kirchliche Gemeindeleben. Während in der zum Pfarrsprengel Warenburg gehörigen Gemeinde Straub seit 1770 regelmäßig Gottesdienste stattgefunden und in der Zeit seines Bestehens bereits zwei Pastoren gedient hatten, musste Neu-Straub - wie auch die nahegelegenen Kolonien Jagodnaja Poljana und Pobotschnoje - lange Zeit ohne eigenen Pastor auskommen. Erst im Jahr 1804 kam der 1797 nach Russland gekommene K.G. Rambach als erster lutherischer Pastor in den Pfarrsprengel, nachdem er zuvor als Divisionsprediger in Sibirien gedient hatte.

Das Problem des Predigermangels sollte im Wolgagebiet noch lange Zeit ungelöst bleiben. So mussten die insgesamt 74 im Wolgagebiet gelegenen protestantischen Kolonien – wie Probst Johann Huber in einem seiner Rechenschaftsberichte schrieb – auch noch im Jahr 1817 mit gerade einmal fünfzehn Pastoren auskommen. Um den in den Kolonien bestehenden Mangel an Geistlichen wenigstens irgendwie zu kompensieren, entsandte das Departement für Geistliche Angelegenheiten der ausländischen Konfessionen bereits in den Ruhestand getretene frühere Lehrkräfte für lutherische Theologie in die Kolonien. So kam im Jahr 1820 der zu diesem Zeitpunkt schon sehr alte Professor für lateinische Sprache und Literatur der Universität Kasan M.G. German in den Sprengel Jagodnaja Poljana. Nach dessen Tod im Jahr 1822 blieb die Gemeinde erneut ohne Pastor, bevor sie schließlich den Tambower Divisionsprediger und Vater des in Jagodnaja Poljana geborenen späteren Probstes I.W. Allendorf (1827-1900) I.M. Allendorf einlud.

Alles andere als leicht gestaltete sich das Schicksal der Geistlichen nach 1917. Pastor Rudolf Dalton, der seit 1912 im Pfarrsprengel Jagodnaja Poljana war, schied nach der Revolution von 1917 unter dem Eindruck der ersten kirchenfeindlichen Maßnahmen der neuen Machthaber aus dem Kirchendienst aus. 1928 emigrierte Pastor Feldbach aus Russland, der in Jagodnaja Poljana und im linksufrigen Krasny Jar gleich zwei Pfarrsprengel betreut hatte. In den 1920er Jahren blieb der 15.000 Gemeindemitglieder starke Pfarrsprengel Jagodnaja Poljana fast zwei Jahre lang ohne Pastor, was zu dieser Zeit auch in anderen Gemeinden des Wolgagebiets keine Seltenheit war.

1926 kam Arthur Pfeiffer (1897–1972) unmittelbar nach Abschluss seiner Ausbildung am Leningrader lutherischen Predigerseminar in die Gemeinde. 1930 wurde er erstmals verhaftet, nach kurzer Zeit aber aus Mangel an Beweisen wieder entlassen. Im Dezember 1934 wurde er wie auch sein in Saratow als Pastor tätiger Bruder Emil erneut verhaftet. Beide Pastoren wurden der Spionage und antisowjetischen Propaganda angeklagt. Die Sonderkonferenz beim NKWD verurteilte Arthur Pfeiffer zu fünf Jahren Lagerhaft, die er in Jaja (Gebiet Nowosibirsk) verbüßte. Emil Pfeiffer wurde 1939 erschossen. In den 1950er Jahren predigte A.I. Pfeifer in den lutherischen Gemeinden Kasachstans, wo seine aus Neu-Straub deportierten früheren Gemeindemitglieder nach 1941 lebten.

Neu-Straub war der Geburtsort des lutherischen Pastors Woldemar Konrad Rüger (1891–1938), der 1928 nach Abschluss des Leningrader Priesterseminars in der St. Michaels-Gemeinde in Moskau diente. Anfang 1935 wurde Pastor Rüger unter der Beschuldigung verhaftet, für die „konterrevolutionäre Agitation“ bestimmtes Geld aus Deutschland erhalten zu haben, nachdem die Gemeinde über das deutsche Konsulat finanzielle Hilfe des Gustav-Adolf-Bunds erhalten hatte. Der Pastor wurde zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt und starb in der Verbannung im Fernen Osten.

Im Januar 1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass die Kirche in Neu-Straub noch nicht geschlossen sei und es in der Kirchengemeinde noch 200 Gläubige gebe. Das Präsidium des Zentralexekutivkomitees ordnete an, die Frage einer schnellen Schließung der Kirche zu prüfen. Die Zahl der Gläubigen ging mit jedem Tag unaufhaltsam zurück, die Tätigkeit der Gemeinde stand unter ständiger Kontrolle von Seiten der Machtorgane.

Am 17. April 1934 stellte die Kommission für Kultfragen beim Präsidium des Zentralexekutivkomitees Listen der in Neu-Straub ansässigen Gläubigen mit den Unterschriften jener Gemeindemitglieder zusammen, die sich mit einer Schließung der Dorfkirche einverstanden erklärten. 249 der insgesamt 275 Gemeindemitglieder stimmten für die Schließung der Kirche, lediglich 26 dagegen. Am 19. April 1934 beschloss das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen, die Kirche in Neu-Straub zu schließen, und empfahl, das Kirchengebäude für kulturellen Zwecke zu nutzen. Bereits im Juli 1934 berichteten die örtlichen Organe an das Zentralexekutivkomitee, dass das Kirchengebäude beschlagnahmt und zu einem Kulturhaus umgebaut worden sei und es im Kanton Jagodnaja Poljana keine einzige aktive Kirche mehr gebe.

Liste der Pastoren der Pfarrgemeinde Jagodnaja Poljana, die in der Gemeinde Neu-Straub Gottesdienst hielten: Karl Heinrich Rambach (1804-20). Martin Gottfried Hermann (1820-22). Johann Michael Allendorf (1823-26). Christian Gottlieb Flittner (1827-32). Ernst Theodor Hellman (1833-35). Ernst Wilhelm David (1836-40). Olivier Christoph Holm (1841-49). Christian Gottlieb Hegele (1850-64). Christian David Dsirne (1864-73). Eugen Friedrich Benjamin Kahn (1874-81). August Julius Schilling (1882–1906). Albert Lesta (1896). Felix Coulin (1906-08). Arthur Woitkus (1909-12). Rudolf Woldemar Dalton (1912-17). Wilhelm Feldbach (1919-24). Arthur Pfeiffer (1926-34).

Entwicklung der Bevölkerungszahlen 1802 lebten in Neu-Straub 96 ausländische Kolonisten, 1816 waren es 284, 1834 - 538, 1850 - 947, 1859 – 1.280 und 1883 – 1.601 Personen. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reiches von 1887 lebten in Neu-Straub 1.868 Personen, die allesamt Deutsche waren. Nach Stand zum Jahr 1905 hatte das Dorf 2.728 Einwohner. 1911 hatte das Dorf 3.030 Einwohner. Nach den Zahlen der Volkszählung von 1926 hatte Neu-Straub 2.587 Einwohner.

Das Dorf heute. Das heutige Dorf Nowoskatowka (Rayon Tatischtschewo, Gebiet Saratow) ist nach der Einwohnerzahl etwa dreißig Mal kleiner als das vorrevolutionäre Neu-Straub. Nach der Aussiedlung der Deutschen wurden im Dorf Ukrainer und Polen angesiedelt. Nach der Auflösung des Dorfsowjets Pobotschnoje wurde Nowoskatowka am 29. Juli 1959 auf Beschluss des Rayonsexekutivkomitees dem Dorfsowjet Jagodnaja Poljana unterstellt. 1959 hatte Nowoskatowka 387 Einwohner, deren Zahl mit jedem Jahr weiter sank. Im Jahr 1978 hatte das Dorf nur noch 150 Einwohner. Heute leben nicht einmal 100 Menschen im Dorf.

Erheblich zurückgegangen ist auch die Zahl der Häuser und Straßen. Die deutsche Schule, deren Gebäude noch immer die Zierde des Dorfes und ein beliebtes Fotomotiv ist, wird nicht mehr genutzt. Schon lange zerstört ist die lutherische Kirche. Statt des Kirchplatzes befindet sich heute eine Freifläche neben der Schule. Auf dem Friedhof lassen sich keine deutschen Grabstätten mehr finden. Aber das kleine Dorf und die relative Nähe zu Saratow lockt Stadtbewohner, Datschenbesitzer und Naturfreunde an. Um den historischen Ortskern herum wurden moderne Einzelhäuser errichtet. Auch heute noch ist die Umgebung der früheren deutschen Kolonie mit ihren bewaldeten Hügeln, den Teichen, dem kleinen Fluss und den Quellen ein sehr malerischer Flecken Landschaft, der niemanden kalt lässt.

Literatur

Клаус А. Наши колонии: опыты и материалы по истории и статистике иностранной колонизации в России. СПб., 1869. С. 408; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Списки населенных мест Саратовской губернии. Саратов, 1862; Dietrich H.-C. Sie gehen von einer Kraft zur anderen. In memoriem Artur Pfeiffer. 18.8.1897–30.10.1972 // Beiträge zur Geschichte der evangelisch-lutherischen Kirche Russlands, Band 2. Hg. v. Georg Kretschmar, Martin Luther-Verlag Erlangen, 1997; Stumpp K. Verzeichnis der ev. Pastoren in den einzelnen deutschen und gemischten Kirchspielen in Russland bzw. der Sowjetunion, ohne Baltikum und Polen // Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen. Evangelischer Teil. Bearbeitung J. Schnurr. Stuttgart, 1978; Deutsche Volkszeitung. 18. Dezember 1910. №128.

Archive

ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. Д. 34, 4071, 4437, 25226; Ф. 637. Оп. 2. Д. 3769. Оп. 36. Д. 21; Ф. 521. Д. 2072; ГИАНП. Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 890. Л. 36.

Autoren: Lizenberger O.A.

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