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NORKA (Staraja Norka, Weigand), heute Dorf Nekrassowo, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie im rechtsufrigen Wolgagebiet

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Evangelisch-lutherische Kirche des Dorfes Norka (1881)
Innenausstattung der Kirche des Dorfes Norka (Anfang des 20. Jahrhunderts)
Nekrassowo (ehemals Norka). Foto vom Autor, 2010.
Nekrassowo. Dorfklub und Bibliothek in der Tschapajew-Straße. Foto vom Autor, 2010.
Nekrassowo. Ruine des deutschen Schulgebäudes. Foto vom Autor, 2010.
с. Некрасово. Немецкая электростанция на ул. Чапаева. Фото автора. 2010 г.

NORKA (Staraja Norka, Weigand), heute Dorf Nekrassowo, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow, im rechtsufrigen Wolgagebiet beidseitig des Flusses Norka, 65 Werst von Saratow und 120 Werst von der Bezirksstadt Kamyschin, rechtsseitig der von Saratow nach Astrachan führenden Poststraße gelegene deutsche Kolonie. Bis 1864 war Norka Zentrum des gleichnamigen Kreises [Okrug], zu dem die im Bezirk [Ujesd] Kamyschin gelegenen Amtsbezirke [Wolost] Norka, Oleschna und Linjowo Osero mit den deutschen Kolonien Huck, Hussenbach, Dittel, Seewald, Kautz und Rothammel sowie die im Bezirk [Ujesd] Atkarsk gelegenen deutschen Kolonien Walter, Kolb und Frank gehörten. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte Norka zum Amtsbezirk Norka-Splawnucha, Bezirk Kamyschin, Gouvernement Saratow.

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war das Dorf Norka bis zur Auflösung der ASSR der Wolgadeutschen im Jahr 1941 Verwaltungszentrum des im Kanton Balzer (Goly Karamysch) gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 neben dem Dorf Norka auch das Vorwerk Grundt gehörte.

Gründer der Kolonie waren 212 Familien (insgesamt 753 Personen), die im Unterschied zu vielen anderen deutschen Siedlungen fast alle aus ein und der gleichen Region Deutschlands stammten – aus der in den heutigen Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westwalen gelegenen Grafschaft Isenburg. Diese in den deutschen Wolgakolonien nur selten anzutreffende gemeinsame regionale Herkunft trug maßgeblich dazu bei, den Zusammenhalt unter den Kolonisten zu stärken, Konflikte zwischen einzelnen Kolonisten auf ein Minimum zu reduzieren und in der Folge schnelle Erfolge beim Aufbau der Landwirtschaft zu erzielen. Der Historiker Jakob Dietz spricht im Zusammenhang mit der Besiedlung Norkas von einer „glücklichen Ausnahme“ und einem „glänzenden Beweis“ für die Notwendigkeit, die Verteilung und Ansiedlung der Kolonisten durchdacht anzugehen. Auch der berühmte russisch-deutsche Naturforscher, Geograph und Entdeckungsreisende Peter Simon Pallas, der im Jahr 1773 die Wolgakolonien bereiste, wies darauf hin, dass Norka und Splawnucha im Vergleich zu anderen Kolonien ökonomisch deutlich besser gestellt waren, über Getreidespeicher verfügten und sogar den Verkauf von Getreide an andere Siedlungen organisierten.

Die ersten 212 Kolonistenfamilien waren größtenteils Reformierte, 16 Familien (57 Personen) waren Lutheraner. Wie in vielen anderen Kolonien waren auch in Norka unter den ersten Siedlern einige wenige Katholiken, die während des Schiffstransfers bzw. bei der Verteilung auf die Kolonien unter Angehörige anderer Konfessionen geraten waren. Sechs der in Norka angesiedelten Familien (insgesamt 20 Personen) waren katholisch.

Die ersten Kolonisten erhielten vom Fürsorgekontor in Saratow jeweils 25 Rubel, ein Fuhrwerk, drei Saschen (etwa 6,4 Meter) Seil, Zuggeschirr, Bügel und Sattel, fünf Saschen (etwa 10,6 Meter) Zügelleine, zwei Pferde sowie in einigen Fällen zusätzlich eine Kuh. Die ersten Übersiedler waren mehrheitlich Ackerbauern und entsprachen somit hinsichtlich ihrer in der der alten Heimat ausgeübten Beschäftigung in vollem Maße dem Hauptziel der Anwerbung der Kolonisten, die in den Grenzregionen Russlands gelegenen Steppengebiete landwirtschaftlich zu erschließen. Neben den Ackerbauern waren unter den ersten 212 Kolonisten auch 65 Zunfthandwerker (unter dieser Bezeichnung wurden bei der Zusammenstellung der Listen der ersten Übersiedler die Angehörigen nicht landwirtschaftlicher Berufe zusammengefasst), vier Soldaten, drei Schuhmacher, zwei Weber, ein Schneider und auch ein Vertreter des unter den Kolonisten seltenen Lehrerberufs, der allerdings katholisch war und die Kinder der Lutheraner deshalb nicht unterrichten durfte.

Erster Vorsteher der Kolonie war Konrad Miller, ein aus Hessen stammender 32-jähriger Ackerbauer. Die Namen der Vorsteher der Kolonie sind größtenteils nicht überliefert. Bekannt ist lediglich, dass in den 1820er Jahren der Kolonist Nolde und in den 1830er Jahren ein gewisser Honstein Vorsteher waren. Die im Rahmen der den Kolonien gewährten Selbstverwaltung von den Kolonisten gewählten Vorsteher waren der Vollversammlung der Kolonisten gegenüber rechenschaftspflichtig, genossen im Konfliktfall aber in der Regel die Unterstützung des Fürsorgekontors. So ist z.B. ein zwischen dem Vorsteher und der Kolonistengemeinde ausgebrochener Konflikt dokumentiert, bei dem sich der den Fall von Seiten des Kontors untersuchende Kommissar Iwanow gegen die einen der Ihren unterstützenden Norkaer Kolonisten stellte, obwohl er selbst von der Schuld des Vorstehers überzeugt war.

Sieben Jahre nach ihrer Gründung wurde die Kolonie im Jahr 1774 von den aufständischen Truppen Jemeljan Pugatschows überfallen, die einige Kolonisten gewaltsam mobilisierten, brandschatzten und Pferde und Fuhrwerke an sich nahmen. Jakob Dietz beschreibt die Leidensgeschichte des in Norka ansässigen Kolonisten Johann Wilhelm Stärkel (des Urgroßvaters von Pastor Wilhelm Stärkel), den das Los dazu bestimmt hatte, sich Pugatschows Truppen zwangsweise anzuschließen. Ihm wurde befohlen, Pugatschows Kasse an einem geheimen Ort zu vergraben, woraufhin er gehängt werden sollte. Zwar konnte sich Stärkel wie durch ein Wunder zunächst retten und fliehen, wurde aber schon bald wieder von einem anderen Trupp Pugatschows gefangenen genommen, woraufhin er auf Seiten der Aufständischen gegen die von General I.I. Michelson befehligten Regierungstruppen kämpfte, verwundet wurde und ins Gefängnis von Zaryzin kam. Nachdem ihm zusammen mit anderen deutschen Kolonisten ein zweites Mal die Flucht gelungen war, kehrte er schließlich nach fünfmonatiger Abwesenheit in sein Heimatdorf Norka zurück.

In den ersten Jahren hatte die Kolonie nicht nur wegen des Überfalls der Truppen Pugatschows mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Missernte von 1775, verendendes Vieh, Nagerplagen und häufige Pferdediebstähle zwangen die Dorfbewohner sogar, sich hilfesuchend „an die Krone“ zu wenden, da sie nach eigener Aussage keine Möglichkeit hatten, Landwirtschaft zu betreiben. Nach den Daten der Revision von 1834 waren den Kolonisten Landstücke in der Größe von 15 Desjatinen pro Kopf zugeteilt. Nach den Daten der im Jahr 1857 durchgeführten 10. Revision besaßen die zu diesem Zeitpunkt in der Kolonie ansässigen männlichen Kolonisten Landstücke in der Größe von etwa 3,4 Desjatinen pro Kopf. Für den Eigenbedarf betrieben die Kolonisten Gartenwirtschaft und bauten Kartoffeln, Kohl und Gurken sowie in geringerem Umfang Kürbisse und Melonen an. 1806 fasste das Fürsorgekontor den Beschluss, in der Kolonie einen kleinen Wochenmarkt und zweimal im Jahr einen Jahrmarkt einzurichten.

Bereits 1810 eröffneten die Bewohner der Herrnhutter Kolonie Sarepta, die weder genug eigene Arbeitskräfte noch die Möglichkeit zum Bezug von Rohmaterial aus dem Ausland hatten, in Norka eine Weberei, woraufhin sich die Kolonie zu einem der Hauptstandorte der Baumwollspinnerei und Sarpinka-Herstellung im Wolgagebiet entwickelte. Mit der Zeit konzentrierte sich das Textilgewerbe in den Händen der „Sarpinka-Könige“ Schmidt, Borel und Reinek, die in Grimm, Huck, Norka und Gololobowka Webereien unterhielten. In Norka waren zudem Hunderte Kolonisten in Heimarbeit tätig, zu der ab dem siebten Lebensjahr auch Kinder herangezogen wurden. Nach Angaben für das Jahr 1894 waren insgesamt etwa 250 Personen mit der Produktion von Sarpinka-Gewebe beschäftigt. Und auch in anderen Gewerken waren die Kolonisten aktiv: So gab es in Norka im Jahr 1886 etwa 300 Kutscher, 78 Stellmacher, 39 Schmiede, 36 Weber, 28 Tischler, 25 Schuhmacher, 20 Hirten, 19 Müller, 19 Schneider, 16 Gerber, 14 Zimmermänner, 13 Filzmacher, zehn Sattler, neun Schaffellgerber, sieben Brettschneider, sechs Maurer, zwei Buchbinder und einen Schlosser.

Ende des 18. Jahrhunderts stellte der Tabakanbau eine der Haupteinnahmequellen der Kolonisten dar, da sie die Tabakblätter angesichts der in Russland nur schwach entwickelten Tabakproduktion über Zwischenhändler erfolgreich in Moskau, Petersburg, Astrachan und in der Ukraine verkaufen konnten. Während die Zentren der Tabakproduktion größtenteils im linksufrigen Wolgagebiet lagen, waren Norka und Anton praktisch die einzigen rechtsufrigen Kolonien, die in größerem Umfang Tabak anbauten. Angesichts zunehmender Absatzschwierigkeiten und eines durch die Monopolstellung der Kaufleute bedingten Preisverfalls gaben allerdings im Jahr 1780 48 in Norka ansässige Kolonistenfamilien, die zuvor Tabak angebaut hatten, den kommerziellen Tabakanbau unter Verweis auf die niedrigen Verkaufspreise auf. Mit der Zeit gingen die Kolonisten dazu über, nur noch für den eigenen lokalen Bedarf zu produzieren oder den Tabakanbau ganz einzustellen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Norka zur bevölkerungsreichsten deutschen Kolonie des rechtsufrigen Wolgagebiets. Während die ersten in der Kolonie errichteten Holzhäuser noch innerhalb weniger Wochen auf Staatskosten entstanden waren, machten sich die Kolonisten Anfang des 19. Jahrhunderts daran, planmäßig und unter sorgfältiger Auswahl des verwendeten Baumaterials Privathäuser zu errichten, die den aus der alten Heimat mitgebrachten Traditionen entsprachen. Nach Angaben des Zentralen Statistik-Komitees gab es 1859 in der Kolonie 483 Höfe, fünf Gerbereien, drei Buttereien und 21 Mühlen. 1834 wurde in der Kolonie ein von einem Hilfsarzt betreuter Medizinischer Versorgungspunkt eingerichtet. 1870 wandte sich die Gemeinschaft der Kolonie mit der Bitte an das Fürsorgekontor, im Dorf eine öffentliche Schänke einzurichten. 1784 eröffnete das Schatzamt in Norka ein Schankhaus mit „Vorhalle und Eiskeller“.

Nach den Daten der im Jahr 1886 von den Semstwo-Organen durchgeführten Volkszählung gab es in Norka 785 Wohnhäuser (444 Stein-, 336 Holz- und fünf Lehmbauten) und 54 Gewerbebetriebe (darunter jeweils sechs Windmühlen und Buttereien, fünf Gerbereien, sieben Tischlereien, elf Schuhmacherwerkstätten, fünf Schneidereien und elf Schmieden), fünf Gast- und Schankhäuser, 13 Läden (davon drei Manufakturwarenhandlungen, sechs Krämer- und vier Spirituosenläden). Um die Wende zum 20. Jahrhundert entstanden im Dorf 26 neue Gebäude und „viele entsprechende Anbauten“. Nach Angaben des Gouvernements-Statistik-Komitees Samara gab es 1910 in der Kolonie eine Dampfmühle (Besitzer: F. Singer), Tischler-, Schuhmacher-, Schneiderwerkstätten, Schmieden, eine vom Semstwo unterhaltene Poststation, eine Veterinär-Station sowie eine Spar- und Darlehenskasse.

Das schnelle Bevölkerungswachstum und der damit einhergehende Landmangel zwangen die Kolonisten zur Gründung von Tochtersiedlungen. So siedelten in den Jahren 1851/52 520 Personen in die am Fluss Ilowlja gelegene Kolonie Neu-Norka über (heute Nowaja Norka, Rayon Kotowo, Gebiet Wolgograd). In den Jahren 1859 bzw. 1860 wurden die Tochterkolonien Rosenfeld (heute Rosowoje, Sowjetski Rayon, Gebiet Saratow) und Neu-Hussenbach (heute Perwomajskoje, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow) gegründet. Nach der per Erlass vom 4. Juni 1874 erfolgten Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht und Abschaffung aller Kolonistenprivilegien kam es in Norka und Goly Karamysch (Balzer, heute Krasnoarmejsk) zu einer Ausreisewelle in Richtung Amerika. Im Juni 1874 erklärten 100 in Norka ansässige Familien gegenüber den Bezirksbehörden ihre Absicht, nach Amerika auszureisen, und entsendeten Bevollmächtigte dorthin. Die Behörden waren bestrebt, die Emigrationsneigung möglichst klein zu halten und ließen sogar von emigrierten Kolonisten verfasste offene Briefe unter der deutschen Bevölkerung verbreiten, in denen die ärmlichen Lebensumstände beschrieben wurden, mit denen die Übersiedler in Brasilien zu kämpfen hatten. Die in Norka ansässigen Kolonisten ließen sich davon allerdings nicht abschrecken, so dass in den Jahren 1874/75 89 Familien in Richtung Amerika ausreisten, was deutlich über den in allen anderen im rechtsufrigen Wolgagebiet gelegenen Kolonien zu verzeichnenden Durchschnittswerten lag. 1876 erklärten weitere 4.000 Personen ihren Wunsch, Norka den Rücken zu kehren. Erst als von 1879 an Hunderte in Brasilien gescheiterte mittellose Wolgadeutsche an die Wolga zurückkehrten, gingen die Emigrantenzahlen vorübergehend zurück, bevor es im Jahr 1886 zu einer neuerlichen Ausreisewelle kam.

In den Jahren der Sowjetmacht gab es im Dorf einen Genossenschaftsladen, eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft, eine Maschinen-Traktoren-Station, ein E-Werk, ein Krankenhaus, eine Lesehütte, ein Waisenhaus, eine Kinderkrippe und eine Bibliothek. Zur Zeit der Kollektivierung wurden im Dorf vier Kolchosen eingerichtet. Im September 1941 wurden die Deutschen aus Norka deportiert. In den 1960er Jahren versuchten zahlreiche deportierte Familien in das Dorf zurückzukehren. Da sie allerdings keine Erlaubnis zur festen Wohnsitznahme bekamen, waren sie in der Regel gezwungen, sich an der im benachbarten Gebiet Wolgograd gelegenen Station Petrow Wal niederzulassen, wo akuter Arbeitskräftemangel herrschte.

Schule und Erziehungswesen

Die erste kirchliche deutsche Gemeindeschule entstand im Dorf praktisch zeitgleich mit dessen Gründung im Jahr 1767. Der Unterricht für die Kinder im Alter von über sieben Jahren fand in privaten Wohnhäusern statt. Ein erster als Schul- und Bethaus dienender Holzbau wurde um Jahr 1771 unter Leitung von Pastor J. Herwig errichtet. Angesichts stetig steigender  Einwohnerzahlen wurde im Jahr 1868 zunächst eine private Genossenschaftsschule und wenig später auch  eine Semstwo-Schule gegründet. Im Jahr 1894 gab es in Norka drei Schulen: die kirchliche Gemeindeschule, die private Genossenschaftsschule sowie die in den 1870er Jahren gegründete Semstwo-Schule.

Die Gründung der dem Ministerium unterstellten Semstwo-Schule war an die Bedingung geknüpft, dass die Dorfgemeinschaft das Grundstück bereitstellte und einen Großteil der Kosten für den Bau eines Schulgebäudes sowie Unterhalt und Unterbringung der Lehrer und des Schulwarts und die Anschaffung von Lehrmaterial übernahm, während das Ministerium nur einen minimalen Anteil der Kosten trug. Obwohl diese Schule nahezu ausschließlich von der Dorfgemeinschaft finanziert wurde, war sie vollständig der Schulverwaltung bzw. dem zuständigen Volksschulinspektor unterstellt. In den dem Ministerium unterstellten Schulen mussten Religion, Lesen und Schreiben, Russisch, Schönschrift und Rechnen als Pflichtfächer unterrichtet werden. Weitere Unterrichtsfächer lagen im Ermessen der Lehrer.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 1.075 der insgesamt 13.366 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Im Unterschied zu vielen anderen deutschen Siedlungen besuchten in Norka alle Kinder die Schule. 1906 besuchten 125 Jungen und 25 Mädchen die Ministerialschule, an der drei Lehrer in drei Klassenräumen tätig waren. In der Kirchenschule lernten 443 Jungen und 482 Mädchen bei sieben Lehrern in einem einzigen großen Klassenraum. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Dorfgemeinschaft unterhalten. In den Jahren der Sowjetmacht wurden alle drei Schulen geschlossen und durch zwei Grund- und eine Mittelschule ersetzt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Eine Besonderheit Norkas bestand darin, dass die Kolonisten mehrheitlich reformiert waren. Neben der offiziellen Kirche waren in den Dörfern des Amtsbezirks Norka (Kreis Kamyschin, Gouvernement Saratow) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch einige konfessionelle Minderheiten wie z.B. die Anhänger der sogenannten „Tanzbrüder“ aktiv. 1875 gab es in Norka zudem eine aus 26 Personen bestehende Gruppe der Sekte der „Brüder und Schwestern“, die unter dem Namen „Ausgänger“ firmierte, sowie im Jahr 1879 67 Baptisten.

Der lutherisch-reformierte Pfarrsprengel Norka, zu dem die Gemeinden Norka und Huck (Splawnucha) sowie nach ihrer im Jahr 1863 erfolgten Gründung die Gemeinde Neu-Messer (Lisanderdorf, Tochterkolonie von Messer/ Ust-Solicha) gehörten, wurde bereits 1767 unter unmittelbarer Beteiligung des mit den ersten Kolonisten in die Saratower Kolonien gekommenen Pastors Johann Herwig (1714–82) gegründet.

Ende des 18. Jahrhunderts waren im Pfarrsprengel Norka etwa 2.000 in den Kolonien Norka, Neu-Messer und Huck lebende Gemeindemitglieder sowie etwa 600 in anderen Ortschaften der Umgebung ansässige Reformierte und Lutheraner vereint. 1836 lebten im Pfarrsprengel 6.234 Gemeindemitglieder, im gleichen Jahr wurden 332 Geburten und 125 Sterbefälle registriert. Im Jahr 1905 war der Pfarrsprengel Norka mit insgesamt 23.179 Gemeindemitgliedern nach dem ebenfalls an der Wolga gelegenen Pfarrsprengel Frank (28.039 Gemeindemitglieder) der zahlenmäßig zweitgrößte Pfarrsprengel der Evangelisch-lutherischen Kirche Russlands.

Wann genau in der Kolonie die erste lutherische Kirche gebaut wurde, ist nicht überliefert. Bekannt ist lediglich, dass in Norka wie in allen der ursprünglich 24 deutschen Pfarrgemeinden des Wolgagebiets schon bald nach der Ansiedlung auf Staatskosten eine Holzkirche errichtet wurde, deren Bau frühestens 1768 und spätestens 1770 erfolgte. Dabei handelte es sich um einen provisorischen, in architektonischer Hinsicht anspruchslosen Bau ohne Schmuckelemente, der in aller Eile von örtlichen Handwerkern errichtet worden war und eher an ein geräumiges Wohnhaus als an eine Kirche erinnerte. In den ersten Jahren nach der Gründung der Kolonie ging es den Kolonisten ausschließlich darum, mitten in der russischen Steppe überhaupt ein protestantisches Gotteshaus errichten zu können, das nicht nur zur Feier der Gottesdienste genutzt wurde, sondern auch Zentrum des Gemeindelebens war. 1791 erwarb die Gemeinde für diese Holzkirche eine Orgel, die ursprünglich aus der Schlosskirche der an der Elbe gelegenen Stadt Barby stammte. Im Jahr 1822 wurde in Norka eine bereits von der Gemeinde selbst finanzierte zweite Kirche gebaut, die deutlich mehr Gläubigen Platz bot als der Vorgängerbau, ansonsten aber einen noch immer eher schlichten Holzbau darstellte, der von örtlichen Handwerkern ohne offiziell eingereichten Bauplan und Kostenvoranschlag errichtet wurde.

1880–82 wurde die alte Kirche durch einen repräsentativen Neubau ersetzt, dessen für Norka völlig neue Architektur Elemente des russischen Klassizismus mit den eher eintönigen Formen der Architekten des Fürsorgekontors kombinierte. Unter dem Einfluss ihrer Umgebung übernahmen die deutschen Kolonisten und Architekten beim Bau ihrer Gotteshäuser zahlreiche Elemente der russischen Architektur. Der Einfluss des Klassizismus schlug sich insbesondere bei der Gestaltung der Außen- und Innensäulen sowie im Dekor der neu errichteten deutschen Gotteshäuser nieder. Wie die meisten in den deutschen Kolonien errichteten Gotteshäuser war auch die neue Norkaer Kirche ein Holzbau, was sich vor allem auf die vergleichsweise günstigen Baukosten und gute Verfügbarkeit des Baumaterials zurückführen lässt. Beim Bau dieser Kirchen legten die deutschen Handwerker eine Meisterschaft an den Tag, die steinernen Kirchenbauten in nichts nachstand.

Bei der auf einem festen Steinfundament errichteten Norkaer Kirche handelte es sich um einen langgezogenen rechteckigen Bau von ergreifender Größe, an den sich eine leicht abgerundete Apsis anschloss. Die zweistöckige Kirche hatte einen vierstufigen, von einer großen Kuppel mit Kreuz gekrönten Turm, zahlreiche große Fenster, (über 20 auf jeder Seite), jeweils vier von einem Dreiecksgiebel gekrönte den Seiteneingängen vorlagerte Säulen sowie einen ebenfalls mit Säulen geschmückten Vorbau. Der Innenraum der Kirche war in Vorhalle, Mittelteil und Altarraum unterteilt. Der mit Schnitzwerk geschmückte Altar wurde durch eine reich verzierte Kanzel vom Mittelteil abgetrennt, in dem das Kirchengestühl 2.500 Gläubigen Platz bot. Das Kirchendach war mit Blech gedeckt. Die Kirche war von einem niedrigen Zaun und  Bäumen umgeben. Im Jahr 1881 wurde die Kirche geweiht, in der es auch eine von der bekannten deutschen Firma „Walker“ aus Ludwigsburg gefertigte Orgel gab, die 1891 hergestellt und nach Russland gebracht worden war. Neben der Kirche stand ein freistehender hölzerner Glockenstuhl. 1886 wurde unweit der Kirche der auf einem Backsteinfundament stehende Holzbau des Pfarrhauses errichtet.

Der erste Pastor des Pfarrsprengels Johann Herwig (1714–1782) suchte von Norka aus immer wieder auch andere deutsche Wolgakolonien auf, um in den unter Pastorenmangel leidenden lutherischen und reformierten Gemeinden Gottesdienste abzuhalten und kirchliche Zeremonien durchzuführen (Anfang der 1780er Jahre gab es in allen Wolgakolonien nicht einmal zehn protestantische Geistliche).

Nach Herwigs Tod wandte sich die Gemeinde auf der Suche nach einem Nachfolger an den aus der Schweiz stammenden reformierten Pastor und Arzt Johann Baptiste Cattaneo (1746–1831), der im August 1784 zusammen mit seiner Frau und sechs Kindern nach Norka kam und schon bald zu einer der Führungsfiguren der sich im Aufbau befindenden Kirchenorganisation des Wolgagebiets wurde. Wie schon sein Vorgänger wurde auch Cattaneo oft in andere Gemeinden gerufen, um Gottesdienste und kirchliche Zeremonien abzuhalten, so z.B. nach Saratow, Pobotschnoje und Jagognaja Poljana. Für seine Russland geleisteten treuen Dienste durfte er nicht nur seinen in Russland geborenen Sohn Lukas Cattaneo (1787–1828) auf Kosten der Zarenfamilie zum Studium an die Universität Dorpat schicken, sondern wurde auch mit einer mit dem Monogramm Zar Alexanders I. verzierten goldenen Tabaksdose ausgezeichnet. 1817 überließ Cattaneo im Alter von 51 Jahren seinem Sohn Lukas die Pflichten des Pastors und konzentrierte sich selbst auf seine Arbeit als Arzt und Chirurg, die ihn nicht nur in den deutschen Kolonien, sondern auch bei den kalmückischen Nomaden berühmt machte. Allein bis 1819 führte Cattaneo 16 Arm- und Beinamputationen, 277 Operationen von Krebs- und anderen Geschwüren sowie über 8.000 Pockenimpfungen durch. Für seine Verdienste als Arzt wurde er mit dem Wladimir-Orden am Band ausgezeichnet. Dank seiner vielfältigen Kenntnisse leistete er den Kolonisten auch im Imkerwesen, in der Pflanzenkunde und in der Landwirtschaft große Dienste.

Als Lukas Cattaneo 1821 auf Weisung des Konsistoriums in den rechtsufrigen Pfarrsprengel Beideck (Talowka) versetzt wurde, kehrte sein mittlerweile 75-jähriger Vater Johann Baptiste noch einmal in den Dienst der Gemeinde zurück. In seinen Aufzeichnungen „Reise durch Deutschland und Russland“ hielt J.B. Cattaneo seine in Russland und den deutschen Wolgasiedlungen gemachten Eindrücke fest. Seine 1786 verfassten Memoiren wurden 1925 von Pastor Erbes veröffentlicht.

Neben Pastor Lukas Cattaneo, der im weiteren Verlauf seiner Karriere in Beideck und Astrachan dienen und Probst werden sollte, wurden auch einige andere bekannte lutherische Geistliche in Norka geboren, so z.B. der spätere Basler Missionar und Probst Wilhelm Stärkel (1839 – nach 1908), der nicht nur in Norka und Eckheim, sondern auch in den USA tätig war; der in den 1930er Jahren repressierte Emil Pfeifer (1891–1938) sowie der Pastor und Politiker Johann Schleining (1879–1961). Darüber hinaus ist Norka auch Geburtsort des Historikers und Autors des Werks „Unsere Kolonien“ A.A. Klaus (1829–87) sowie des Pastors und Magisters der Theologie Professor Gottlieb Nathanael Bonwetsch (1848–1925), dessen Vater Probst Christoph Heinrich Bonwetsch vom Schuhmacher zum Basler Missionar geworden war und lange Jahre als Pastor in Georgien gedient hatte, bevor er 1845 auf Einladung der Kolonisten nach Norka kam, wo er laut Berufungsurkunde einen Jahreslohn von 171 Rubeln und 43 Kopeken, eine Pfarrwohnung, 150 Pud Kartoffeln, 18 Ladungen Heu und 55 Klafter Brennholz sowie jeweils ein Pud Weizen und Roggen von jeder Familie erhielt. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Tarife der für verschiedene kirchliche Zeremonien zu entrichtenden Zahlungen: So kostete eine Taufe 15, eine Konfirmation 30, eine Trauung 60 und eine Beerdigung 15 Kopeken.

Lange Zeit nahm der Pfarrsprengel Norka/Huck/Neu-Messer eine Sonderstellung unter den im Wolgagebiet gelegenen protestantischen Pfarrsprengeln ein. Zu jener Zeit gab es an der Wolga in Ust-Solicha (Messer) und Balzer (Goly Karamysch) zwei weitere reformierte Pfarrgemeinden. Nach der im Jahr 1832 erfolgten Bestätigung des Statuts der Evangelisch-lutherischen Kirche Russlands billigte das Generalkonsistorium die Einrichtung zweier Probsteien im Wolgagebiet, so dass die reformierten Pfarrgemeinden nach 1832 einem einzigen Konsistorium unterstellt und endgültig mit den Lutheranern vereint waren. Norkas Stellung als eine der größten Kolonien des Wolgagebiets spiegelte sich auch im Kirchenleben wider. So wurde Norka im Jahr 1865 die Ehre zuteil, als einzige Kolonie überhaupt Gastgeber einer Synode der Pastoren Bergseite der Wolga zu sein, die mit Ausnahme dieser 31. Synode im 19. Jahrhundert allesamt in Saratow stattfanden.

Mit der Etablierung der Sowjetmacht verwaisten viele der Tausende Mitglieder starken lutherischen Gemeinden und blieben jahrelang ohne Pastor: Im Jahr 1924 kamen im Wolgagebiet durchschnittlich 4.000 Lutheraner auf einen einzigen Prediger. So blieben die 23.000 im Pfarrsprengel Norka/Huck/Neu-Messer lebenden Gemeindemitglieder neun Jahre lang ohne Pastor, was zu dieser Zeit keine Ausnahme war. Die lutherische Kirche im Wolgagebiet stand unter der Leitung des sogenannten „Exekutivkomitees der evangelisch-lutherischen Kirche der deutschen Wolgakolonien“, unter dessen Mitgliedern zahlreiche lutherische Pastoren waren, die nur unter Druck dieser von den Sowjetorganen aufgezwungenen Organisation beigetreten waren. Dem Exekutivkomitee stand der Probst des rechten Wolgaufers und Pastor der Pfarrgemeinde Norka Friedrich Wacker (1886 – nach 1938) vor, der Anfang der 1920er Jahre als Koordinator des Nationalen Lutherischen Rats aktiv an der Hungerhilfe beteiligt war und 1925 zum Direktor des im September des gleichen Jahres gegründeten Leningrader Predigerseminars berufen wurde. Am 15. Oktober 1930 wurde Pastor Wacker verhaftet und für drei Jahre in das in der Nähe von Bratsk in Ostsibirien gelegene Lager Dubino verbannt. 1933 wurde er auf Gesuch des deutschen Außenministeriums ohne Recht auf Ausübung von Predigertätigkeit entlassen.

Repressiert wurde auch der letzte Pastor der Gemeinde Norka Emil Pfeifer (1891–1939), der in den Jahren 1925-33 in Norka/Huck/Neu-Messer gedient hatte, wo er in seinen letzten Dienstjahren wie auch viele aktive Gemeindemitglieder unter strenger Beobachtung des NKWD gestanden hatte. 1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass es in Norka noch 3.954 Gläubige gebe, von denen 110 den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren. Angesichts der ständigen Kontrolle von Seiten der Machtorgane, die eine Ausübung seiner Pflichten als Pastor immer schwieriger machte, zog Pfeifer im Frühjahr 1932 nach Saratow, kam aber weiterhin von Zeit zu Zeit nach Norka, um dort Gottesdienste abzuhalten. 1934 wurde er verhaftet und auf Beschluss der Sonderkonferenz beim NKWD wegen angeblicher antisowjetischer Tätigkeit zur Verbannung verurteilt. Nach einer neuerlichen Verhaftung wurde der Pastor vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR nach Artikel 58–1 des Strafgesetzbuchs der RSFSR verurteilt und erschossen. Am 5. September 1991 wurde Emil Pfeifer rehabilitiert.

Nach der Verhaftung des Pastors informierte die Kommission für Kultfragen beim Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen am 28. August 1934 das Präsidium der ASSR, dass die Kirche in Norka zwar schon geschlossen sei, das Gebäude aber weiterhin von den Gläubigen genutzt werde, so dass die Frage seiner Schließung eine besondere Prüfung erforderlich mache. Auf der Suche nach einem Vorwand für die Schließung der Kirche forderte die Kommission für Kultfragen die Gemeinde auf, innerhalb einer Frist von einer Woche die in den vergangenen fünf Jahren aufgelaufenen Grundsteuerzahlungen nachzuzahlen, um anschließend über die Kirche verfügen zu können. Da die Gemeinde die entsprechende Summe nicht aufbringen konnte (als Steuer waren jährlich 8 % des Gebäudewertes angesetzt), wurde die Kirche bereits am 3. Oktober 1934 auf offiziellen Beschluss des Präsidiums des Zentralexekutivkomitees geschlossen, das zudem empfahl, das Kirchengebäude als Klub zu nutzen.

Liste der Pastoren der Pfarrgemeinde Norka - Huck - Neu-Messer

Johann Georg Herwig (1769–82), Johann Baptista Cattaneo (1784–1831), Hilfspastor Lukas Cattaneo (1817–21), Lukas Cattaneo (1828), Friedrich Bo(e)rner (1831–41), Christoph Heinrich Bonwetsch (1845–76), Hilfspastor Gottlieb Nathanael Bonwetsch (1875–77), Wilhelm Stärkel (1877–1908), Hilfspastor Woldemar Sibbul (1897–1901), David Weigum (1910–13), Friedrich Wacker (1913–25), Emil Pfeifer (1929–34).

Entwicklung der Einwohnerzahlen

Norka war die bevölkerungsreichste deutsche Kolonie im rechtsufrigen Wolgagebiet. 1767 lebten in der Kolonie Norka 753 ausländische Kolonisten, 1773 waren es 957, 1788 – 1.358, 1798 – 1.660, 1816 – 2.509, 1834 – 4.113, 1850 – 5.951, 1859 – 6.354, 1886 – 7.64. In den Jahren 1874–75 reisten 89 Personen nach Amerika aus. Nach den Daten der Volkszählung von 1897 hatte Norka 6.843 Einwohner, von denen 6.815 Deutsche waren. Im Jahr 1905 hatte das Dorf 13.500 Einwohner, 1911 -14.174. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 lebten in Norka 7.325 Personen. 1921 gab es im Dorf 307 Geburten und 437 Sterbefälle. Nach den Daten des Gebietsamts für  Statistik der Autonomen Republik der Wolgadeutschen hatte Norka zum 1. Januar 1922 7.292 Einwohner. 1923 hatte das Dorf 6.913 Einwohner. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1926 lag die Gesamtbevölkerungszahl bei 7.466 (3.648 Männer und 3.818 Frauen), von denen 2.307 Deutsche waren, Es gab insgesamt 1.062 Haushalte, davon 1.057 deutsche. 1931 lebten im Dorf 7.707 Personen, von denen 7.693 Deutsche waren.

Das Dorf heute

In heutiger Zeit ist das Dorf Nekrassowo (Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow) die einzige Ortschaft der gleichnamigen Landgemeinde. Nach den Daten der Volkszählung von 2002 lebten gerade einmal 1.001 Menschen in Nekrassowo, was nicht einmal 10 % der in der Zeit vor der Revolution von 1917 zu verzeichnenden Einwohnerzahl ausmacht. Seitdem geht die Bevölkerungszahl weiter kontinuierlich zurück. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass dieses Dorf vor nicht einmal 100 Jahren größer war als die ebenfalls im Gebiet Saratow gelegenen heutigen Städte Atkarsk, Balaschow oder Krasnoarmejsk.

Von der früheren Größe der deutschen Kolonie ist heute praktisch nichts mehr zu spüren. Vom alten Norka ist lediglich ein kleiner Teil des früheren Ortskerns erhalten. Am Dorfrand sind zudem die Ruinen des Backsteingebäudes der Mühle und einiger anderer deutscher Bauten sehen. Im Ortskern des heutigen Nekrassowo sind noch einige aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert stammenden typische deutsche Wohnhäuser erhalten, bei denen es sich sowohl um Holz- als auch um Steinhäuser handelt. An einem dieser Häuser ist sogar noch ein Hinweis auf das Entstehungsjahr 1913 erhalten. Besonders erwähnenswert ist auch das in der Tschapajew-Straße gelegene Gebäude des früheren E-Werks, dessen erhaltener Teil heute als Wohnhaus genutzt wird. An einigen Wohnhäusern sind bis zum heutigen Tag noch aus deutscher Zeit erhaltene Tafeln mit Darstellungen von Eimern, Schaufeln oder Feuerhaken zu finden, die sich auf historische Brandschutzmaßnahmen zurückführen lassen. So schrieb Artikel 9 der „Instruktion über die innere Ordnung und Verwaltung der Wolgakolonien“ von 1800 allen Dorfbewohnern vor, auf ihren Höfen oder Häusern zu markieren, wer mit welchem Werkzeug zu einem Feuer kommen musste. Deshalb waren an allen in den deutschen Kolonien stehenden Häusern entsprechende Tafeln mit Hinweisen angebracht, welches Instrument der Hausherr im Brandfall mit sich führen sollte.

Das eindrucksvolle Gebäude der lutherischen Kirche ist nicht erhalten. An ihrem früheren Standort klafft heute eine Freifläche. Immerhin ist Nekrassowo eines der wenigen früheren deutschen Dörfer, in denen dank des Engagements von Bewohnern, Geistlichen, privaten Geldgebern und Handwerkern ein christliches Gotteshaus wiederaufgebaut wurde. So befindet sich die in der Sowjetskaja-Straße gelegene, 2007 im Namen des Märtyrers und Heilers Pantolejmon geweihte kleine orthodoxe Kirche im Gebäude der früheren ambulanten Krankenstation. Nur Ruinen sind von dem Gebäude der in unmittelbarer Nähe der Kirche gelegenen früheren deutschen Schule erhalten. Die heutige Dorfschule hatte im Jahr 2010 76 Schüler und 13 Lehrer.

Literatur

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Archive

Archive: ГАСО. Ф. 2. Оп. 1. Д. 8552. Л. 48; Д. 12411. Л. 96; Ф. 180. Оп. 1. Д. 4720, 12187; Ф. 637. Оп. 2. Д. 37. Оп. 18. Д. 157–158, 163; ГИАНП. Ф. 226. Оп. 1–3. Д. 1–81; Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 890. Л. 45; Д. 1062. Л. 96; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 62; Д. 299. Л. 62; Оп. 2. Д. 76. Л. 158–163.

Autoren: Lizenberger O.A.

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