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ROSENDAMM (Morzowo, Marzowo, Morzy), heute Dorf Morzy, Rayon Fjodorowka, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie in der Steppenregion des rechtsufrigen Wolgagebiets

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Straße im Dorf Morzy
Morzy. Teich.
Ruine des Schulgebäudes.
Kraftwerk

ROSENDAMM (Morzowo, Marzowo, Morzy), heute Dorf Morzy, Rayon Fjodorowka, Gebiet Saratow, in der Steppenregion des rechtsufrigen Wolgagebiets, 25 km östlich des Dorfes Fjodorowka gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Kreis [Okrug] Werchni Karaman (Panino) (Bezirk [Ujesd] Nowousensk, Gouvernement Samara). Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen gehörte das Dorf Rosendamm bis zur Auflösung der ASSR der Wolgadeutschen im Jahr 1941 zum Kanton Fjodorowka (Mokrous)

Die Kolonie wurde 1849 von Kolonisten gegründet, die zuvor in der Mutterkolonie Schaffhausen gelebt und diese wegen des dort herrschenden Landmangels verlassen hatten. Zeitgleich mit Rosendamm wurden wegen des im linksufrigen Wolgagebiet herrschenden Landmangels noch einige weitere Kolonien gegründet. 1855 prüfte das Fürsorgekontor die Frage „Über die Gründung der neuen Kolonien Rosendamm, Wiesenheim […] Alexanderdorf“.

Der deutsche Name der Kolonie geht wörtlich auf die beiden Wortteile „Rose“ und „Damm“ zurück. Ihren russischen Namen Morzy erhielt die Kolonie 1915 im Zuge der im Land entfesselten antideutschen Propagandakampagne. Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen erhielten die Dörfer ihre deutschen Namen zurück.

Die Kolonisten waren größtenteils in der Landwirtschaft tätig und bauten Weizen, Roggen und Hafer an. Nach den Daten der 10. Revision lebten im Jahr 1857 79 Familien in Rosendamm, die über insgesamt 2.670 Desjatinen Land verfügten. Die zu dieser Zeit im linksufrigen Wolgagebiet gegründeten Tochterkolonien wiesen vergleichsweise niedrige Einwohnerzahlen auf. Im Jahr 1869 wurde Rosendamm mit der in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen, 1849 gegründeten und zu diesem Zeitpunkt etwa 200 Einwohner zählenden Kolonie Wiesenheim zusammengelegt, wovon die im Staatsarchiv des Gebiets Saratow erhaltene Akte „Über die Zusammenlegung der zwei Kolonien Wiesenheim und Rosendamm, Kreis Werchni Karaman, Bezirk Nowousensk, Gouvernement Samara“ zeugt. Außerdem wurden einige Häuser aus den zu dieser Zeit wegen der für die landwirtschaftliche Nutzung nicht geeigneten Böden aufgegebenen Kolonien Alexanderdorf und Lisandrowka in Rosendamm (sowie in den nahegelegenen Dörfern Alexanderhöh und Marienburg) wiederaufgebaut.

In den Jahren der Sowjetmacht gab es im Dorf einen Genossenschaftsladen, eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft, eine Lesehütte sowie eine Maschinen-Traktoren-Station. Die Kolchose „Roter Sieger”, die im Jahr 1937 63 Rinder, 23 Kälber, 33 Schafe und 54 Schweine hatte, gehörte zu den führenden Viehzuchtbetrieben des Kantons Fjodorowka. Die Zeitung „Nachrichten“ schrieb am 15. März 1937 in dem Artikel „Die Stalinsche Verfassung erfordert kulturelle Aufbauarbeit“, dass die mit der Nutzung des Lesesaals verbundene Arbeit im Dorf schlecht organisiert sei. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Morzy trägt.

Schule und Erziehungswesen

In der Kirchenschule, die in Rosendamm praktisch seit im Jahr 1849 erfolgten Gründung der Kolonie selbst bestand, lernten Kinder im Alter von 7-15 Jahren. Der Unterricht fand im Schul- und Bethaus statt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde im Dorf eine Semstwo-Schule gegründet, in der die Kinder auch Russisch lernten. Im Jahr 1900 wies der Volksschulinspektor den Probst der Wiesenseite J. Erbes an, die Zuweisungen für den Russischunterricht zu erhöhen und einen zweiten Russischlehrer einzustellen, da auf 500 Kinder durchschnittlich nur ein einziger Russischlehrer komme.

Nach den von Pastor Erbes zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 300 der insgesamt 2.000 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten nicht alle Kinder im schulpflichtigen Alter auch wirklich eine Schule. Nach Angaben Erbes konnten 103 Kinder nicht die Schule besuchen, da ihre Eltern arm und auf die tägliche Mithilfe ihrer Kinder in Handwerk oder Gewerbe angewiesen waren. Im Jahr 1906 besuchten 93 Jungen und 104 Mädchen die Semstwo-Schule, an der zwei Lehrer tätig waren. In der Kirchenschule lernten 53 Jungen und 50 Mädchen bei einem einzigen Lehrer Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. In sowjetischer Zeit wurden beide Schulen geschlossen und zu einer Grundschule zusammengelegt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischer Konfession. Das Dorf Rosendamm gehörte wie auch Gnadenflur, Sichelberg und Manheim zum am 5. Oktober 1861 gegründeten evangelisch-lutherischen Pfarrsprengel Gnadenflur.

Eine erste Kirche wurde im Dorf erst zwölf Jahre nach dessen Gründung gebaut. Bis dahin hatten die Gemeindemitglieder ihre Gottesdienste im Schul- und Bethaus abgehalten. Die 1861 errichtete Kirche war ein vergleichsweise schlichter Holzbau mit dem Status einer Filialkirche, der gerade einmal 441 Gläubigen Platz bot. Auffällige Merkmale waren ihre jeweils rechteckige Apsis und Vorhalle, die flache Decke sowie die Tatsache, dass sie keinerlei architektonischen Schmuckelemente aufwies.

Da das Kirchengebäude schon bald nicht mehr allen Gläubigen Platz bot, erwarben die Bewohner von Rosendamm 1897 den großen Holzbau des Bethauses ihrer Mutterkolonie Schaffhausen, der sorgfältig abgebaut und auf einem neuen Steinfundament in Rosendamm wiederaufgebaut wurde. Beim Wiederaufbau wurden einige Änderungen vorgenommen, die das Gebäude größer wirken ließen. Die neue Kirche hatte einen kleinen von einem Kreuz gekrönten Turm. Darüber hinaus gab es in Rosendamm auch ein geräumiges Schul- und Bethaus, das nicht weit von der Kirche entfernt lag.

Nach 1917 kam es infolge der Revolution und des Bürgerkriegs, kirchenfeindlicher Gesetze und der massenhaften Emigration der Geistlichen zu einer faktischen Spaltung der Lutherischen Kirche Russlands, in deren Folge die Lutherische Kirche im Wolgagebiet vom sogenannten „Exekutivkomitee der Evangelisch-lutherischen Kirche der deutschen Wolgakolonien“ geleitet wurde. Um die selbständigen Gemeinden wieder zu vereinen, wurde allen Gemeinden des Landes unter dem Titel „Vorläufige Beschlussfassungen über die Selbstverwaltung der Evangelisch-lutherischen Kirche“ der Entwurf eines neuen Kirchenstatuts zugesandt, den aber nur die Gemeinden des Pfarrsprengels Gnadenflur (einschließlich Rosendamms) akzeptierten, während sich die überwältigende Mehrheit der insgesamt 138 Wolgagemeinden einer unabhängigen Kirchenorganisation anschlossen, zu deren Gründung die Pastoren von den Bolschewiki gedrängt wurden.

Anfang der 1930er Jahre wurden in der Sowjetunion unter massivem Zwang massenhaft Gotteshäuser aller Konfessionen und Religionsgemeinschaften geschlossen. Vor Ort waren die lokalen Stellen bestrebt, die Bethäuser so schnell wie möglich zu schließen, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, der Religion gegenüber zu loyal eingestellt zu sein. Eine solche Haltung führte zu zahlreichen Exzessen, die wiederum Massenproteste der Gläubigen provozierten. Am 7. Juli 1930 beschloss das Präsidium des Zentralexekutivkomitees, die Kirche in Rosendamm mit der Begründung zu schließen, dass sich die Mehrheit der Gemeindemitglieder für eine Schließung der Kirche ausgesprochen hätte. Die Machthaber fanden alle möglichen Vorwände, um die gegen die illegale Beschlagnahmung ihres Besitzes und die Kirchenschließungen gerichteten Klagen der Gläubigen abzuweisen. So räumte das Sekretariat des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen zwar durchaus ein, dass die Schließung der Rosendammer Kirche illegal erfolgt war, sprach sich aber nichtsdestotrotz gegen eine Wiederöffnung aus, da die Umbauarbeiten zu einem Dorfklub schon liefen. Am 18. März 1931 teilte ein Mitglied des Zentralexekutivkomitees dem Sekretariat mit, dass die Schließung der Rosendammer Kirche zwar falsch gewesen sei, in der Kirche aber schon für 350 Rubel eine Bühne installiert worden sei, was eine neuerliche Öffnung nicht zielführend erscheinen lasse. Zeitgleich mit der Schließung der Kirche wurde 1930 auch Pastor Harff verhaftet, der 1931 nach einer neuerlichen Verhaftung zu Lagerhaft verurteilt wurde. Nach seiner Entlassung im Jahr 1937 unterrichtete Otto Harff Englisch und Deutsch an der Universität Perm.

Liste der Pastoren

der Pfarrgemeinde Gnadenflur, die in Rosendamm Gottesdienst hielten: Karl Erich Wahlberg (1862–1888). Hans August Leyst (1890–91), Theodor David (1894), Johannes Parstrauts (1895–1909), Alexander Rothermel (1909–12), Otto Harff (1913–31).

Entwicklung der Einwohnerzahlen

Im Jahr 1850 hatte Rosendamm 77 Einwohner, im Jahr 1857 waren es 174, 1883 – 1.000, 1889 – 1.070 Personen. Nach den Daten der Volkszählung von 1897 hatte Rosendamm 1.217 Einwohner, von denen 1.207 Deutsche waren. Im Jahr 1904 lebten im Dorf 1.817, 1910 – 2.042 Personen. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 hatte das Dorf 2.182 Einwohner, bei denen es sich ausnahmslos um Deutsche handelte. 1921 gab es im Dorf 150 Geburten und 284 Sterbefälle. Nach den Daten des Gebietsamts für Statistik des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen lebten nach Stand zum 1. Januar 1922 insgesamt 1.989 Personen in Rosendamm, 1923 war die Einwohnerzahl auf 2.048 Personen gestiegen. Nach den Daten der Volkszählung von 1926 lebten im Dorf 2.103 Personen, von denen 2.096 Deutsche waren. 1931 hatte das Dorf 2.103 Einwohner, von denen 2.022 Deutsche waren.

Das Dorf heute

Heute Dorf Morzy, Rayon Fjodorowka, Gebiet Saratow. Das Dorf Morzy liegt malerisch am Ufer eines Teiches. Auch wenn Morzy heute längst nicht mehr so groß ist wie das vorrevolutionäre Rosendamm, ist es noch immer Verwaltungszentrum der gleichnamigem Landgemeinde, zu der neben Morzy selbst auch die Ortschaften Pljos und Obnowlenka gehören. Im Ortskern des heutigen Dorfes ist noch der frühere deutsche Bebauungsplan zu erkennen und es gibt einige alte deutsche Holzbauten. Am Ortseingang liegt am Ufer des Teichs das alte deutsche E-Werk.

In Morzy sind recht viele aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts stammende deutsche Holzhäuser erhalten. An der früheren Hauptstraße ist die Ruine des Backsteingebäudes der früheren Schule zu finden, das seinerzeit zu den wichtigsten öffentlichen Bauten Rosendamms gehörte und eine Zierde des Dorfes darstellte. Gegenüber und neben der früheren Schule sowie weiter die Straße herunter befinden sich Ruinen alter deutscher Lehmziegelhäuser. Lehmziegel waren ein billiges und einfach zu produzierendes Baumaterial und wurden entsprechend häufig verwendet. Aus dem Ausgangsmaterial Ton, das im Wortsinne zu ihren Füßen lag, stachen die Kolonisten in Handarbeit mit einer Form spatförmige Standardblöcke, die in der Sonne getrocknet wurden. Die geringen Kosten beim Bau eines Lehmziegelhauses waren durch den Umstand bedingt, dass die Lehmziegel nicht gebrannt werden mussten, so dass bei ihrer Produktion keine Energiekosten anfielen, was sie deutlich billiger als Holz und Backsteine machte. Auch wenn solche Bauten nicht für die Ewigkeit gebaut waren, lassen sich in einigen Dörfern des Wolgagebiets auch heute noch Lehmziegelhäuser finden.

Literatur

Герман А.А. Немецкая автономия на Волге. 1918–1941. Часть II. Автономная республика. 1924–1941. – Саратов, 1992–1994; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. – Часть I; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Kahle W. Geschichte der evangelisch-lutherischen Gemeinden in der Sowjetunion. 1917–1938. – Leiden, 1974; Nachrichten. – 1937. – 15. März 1937. – S. 2; – 12. Mai. – 1937. – S. 2.

Archive

Archive: ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. 279. Л. 193; Д. 623. Л. 169; Ф. 637. Оп. 38. Д. 69–70; ГИАНП. Ф. 247. Оп. 1. Д. 1–4; Ф. 849. Оп. 1. Д. 852. Л. 25; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 289. Л. 38; Д. 299. Л. 21.

Autoren: Lizenberger O.A.

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