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LIEVEN Anatolij (Anatol Leonid) Pawlowitsch von ( 1872 oder 1873 -1937), Fürst, Oberst , Teilnehmer des Bürgerkrieges, Memoirenschreiber, Herausgeber

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

LIEVEN Anatolij (Anatol Leonid) Pawlowitsch von [geb. 16. (29.) November 1872 oder 16. (29.) November 1873 in Sankt Petersburg; gest. 3. April 1937 in Kemeri, Lettland], Fürst, Oberst (1919), Teilnehmer des Bürgerkrieges, Memoirenschreiber, Herausgeber.

Lutheraner. Aus der Familie baltischer Deutscher, Adliger aus dem Gouvernement Sankt Petersburg. Sohn eines Geheimrats des Fürsten Pawel Iwanowitsch (Paul German) v. Lieven (1821–1881) und seiner Ehefrau, Natalia Fjodorowna, geborene von der Pahlen (1842–1920).

Absolvierte das 3. Sankt Petersburger Gymnasium (1891) und die Fakultät für Rechtswissenschaften an der Universität Sankt Petersburg (1895).

Am 4. September 1895 wurde Anatolij Pawlowitsch als Freiwilliger im Leib-Garde Kavallerieregiment nach Stufe 1. aufgenommen. Er bestand erfolgreich die Prüfungen an der Nikolai-Kavallerieschule, wurde am 7. Dezember 1896 in den Rang eines Kornetts befördert. War Oberoffizier der Eskadron Ihrer Kaiserlichen Majestät (1897–1898).

Am 23. August 1898 auf Befehl seiner Kaiserlichen Majestät für Gardekorps in die Reserve entlassen.

Betrieb Landwirtschaft auf dem Familienerbgut Meschotne (Mesoten) im Ujezd Bauskij bei Mitawa und verwandelte es in eine Vorzeigelandwirtschaft, eine der besten in Kurland.

In den Jahren 1900–1901war er unerlässliches Mitglied der Amtei für Bauernangelegenheiten des Gouvernements Kurland.

Im Jahr 1901 – Friedensrichter; wurde im selben Jahr zum Kammer-Junker des Kaiserlichen Hofs erhoben. Am 21. Dezember 1908 legte er das Amt nieder. War 1912–1914 Adelsmarschall vom Ujezd Bauskij.  

Mit dem Anfang des Ersten Weltkrieges kehrte er in das Regiment zurück. Bekleidete den Posten eines Oberoffiziers der Eskadron Ihrer Kaiserlichen Majestät. Regimentsadjutant (1916–1917). Hatte am 19. September 1915 den Rang eines Fähnrichs.  Wurde am 19. September 1916 zum Stabsrittmeister ernannt. Im April 1917 für die Beförderung in den Rang eines Rittmeisters vorgeschlagen, die Beförderung fand jedoch wegen der Revolution viel später statt.

Für den Kampf am 31. August 1915 (im Zuge der Wilen-Operation) als er mit seiner Attacke zur allgemeinen Offensive beitrug, wurde von Lieven mit dem Orden des Heiligen Georg 4. Klasse gewürdigt. Im Verlauf des Krieges zeichnete man ihn außerdem mit dem Orden des Heiligen Stanislaw  3. Klasse mit Schwertern und Schleife, dem Orden der Heiligen Anna 4. Klasse mit der Innschrift „Für Tapferkeit“ und mit dem englischen Militärverdienstkreuz „Viktoria“ aus.

Die Revolution konnte er nicht annehmen. Nach der Demobilisierung aus der Armee Ende 1917 – Anfang 1918 befand er sich in Wenden, wo er mit seiner Familie inhaftiert wurde und unter den 161 Geiseln nach Jekaterinburg geschickt, wo er ins Gefängnis kam. Wurde gemäß dem § 6 des Friedensvertrags von Brest-Litowsk befreit und im März 1918 mit der Familie in der Stadt Orscha den Deutschen übergeben.

Nach der Rückkehr ins Baltikum befand er sich in Riga, von wo aus er Mitte Dezember 1918 zusammen mit dem General A.P. Rodsjanko nach Libawa für ein Treffen mit dem im Baltikum angekommenen Kommandeur der englischen Eskader, Admiral Sinclair, aufbrach. Im Anschluss an dieses Treffen traf von Lieven die Entscheidung, vor Ort, in Libawa, die „Libawer Freiwilligen Schützenkampfeinheit“ zu organisieren (die später als „Lievener Kampfeinheit“ weit bekannt wurde).  Von Lieven positionierte sich klar als russischer Patriot (und nicht als Germanophil oder Freund der Entente-Mächte). Da er die Meinung vertrat, dass die Entente-Alliierten der Nordwestlichen Weißen Armee „… nur insoweit die russische Armee hilft, Estlands Territorium von den Bolschewiken zu säubern“, dieser ihre Unterstützung gewähren werden, zog er es vor, im Laufe der Aufstellung von antibolschewistischen Streitkräften auf Deutschland zu bauen, auch deswegen, weil sich auf seinem Territorium ca. 1. Mio. Kriegsgefangene befanden, die dem Plan nach die Lievener Kampfeinheit verstärken sollten. Die Kampfeinheit war unter weiß-blau-roter Flagge unterwegs, ihre Ränge behielten nach dem Erhalt deutscher Uniform russische Schulterklappen und russisches Mützenemblem. In die Kampfeinheit wurden ausschließlich Offiziere im russischen Dienst und freiwillige russische Staatsangehörige aufgenommen.    

Am 31. Januar 1919 brach Lieven mit der Kampfeinheit in der Stärke von 65 Infanteristen und zwei Maschinengewehren an die Front auf, die damals entlang des Flusses Windawa verlief, und bezog Position beim kleineren Hafen in Paulshafen.  Am 26. Februar nahm die Kampfgruppe an den Kämpfen um die Stadt Windawa teil, wo ihr neue Freiwillige beitraten.  

Anfang März 1919 nahm die Lievener Kampfeinheit gemeinsam mit baltischer Landeswehr und lettischem Trupp von Oberst Ballada aktiv an der Offensive auf Mitawa teil und nahm die Stadt am 18. März ein.  Einige Zeit blieb die Kampfeinheit in der Stadt, um sich zu ordnen und Verstärkung zu erhalten, danach bezog sie Feldposten entlang des Flusses Kurländische Aa, von Kalnezem bis Mitawa.

Die Ruheperiode an der Front nutzend fuhr Lieven nach Berlin mit dem Ziel, Verstärkung für weiteren Aufbau der Kampfeinheit mit Kriegsgefangenen aus den Lagern in Deutschland auszuhandeln. In Berlin, wo er in April 1919 ankam, gelang es Lieven, der vom General Judenitsch zum Oberst befördert wurde, mit Hilfe des russischen Rot-Kreuz-Beauftragten, Vorsitzenden der Kommission für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen in Deutschland, General D.N. Potozkij, die Einwilligung deutscher Behörden für die Überführung von Freiwilligen aus Kriegsgefangenschaft in seine Kampfeinheit wie individuell so auch in Gruppen zu erlangen. Waffen, Ausrüstung und Verpflegung sollte die Lievener Kampfeinheit, die zum Korps erweitert wurde, aus den Lageranlagen, über die der General von der Goltz verfügte, erhalten.

Nach der Rückkehr an die Front empfing v. Lieven Verstärkung aus Deutschland und bezog am 18. Mai 1919 mit seiner Einheit die Kalnezem-Brückenkopfstellung, wo er am 18.–20. Mai wiederholte Angriffe roter lettischer Truppen zurückschlug.

Am 22. Mai ging die Lievener Kampfeinheit gemeinsam mit dem lettischen Trupp von Oberst Ballada in die Offensive auf Riga über. Einen Ausweichweg entlang des Südufers vom See Babit nehmend kam die Einheit schon in der Nacht zu den westlichen Vororten der Stadt und nahm am 23. Mai gegen Abend den nördlichen Teil Rigas ein.

Am 24. Mai trat Lieven mit dem größeren Teil seiner Kampfeinheit aus Riga heraus, um die Bolschewiken zu verfolgen. Unweit der Station Rodenpois stieß die Lievener Einheit auf einen Hinterhalt. Im Kampf wurde Lieven schwer verwundet und übergab das Kommando an den Kapitän K.I. Dydorow.

In dem im Juni 1919 aufgetretenen Konflikt zwischen estländischen Streitkräften, die von der lettischen und Baltischen Landeswehr unterstützt wurden, befahl Lieven Kapitän Dydorow, der zu ihm ins Lazarett kam, strikt neutral zu bleiben.

Mitte Juni ersetzten in Libawa zwei Lievener Bataillone die abziehenden deutschen Streitkräfte, während eine in Riga für den Postendienst anstelle der Baltischen Landeswehr blieb. Nach Mitawa kam weiterhin Verstärkung aus Deutschland (die Truppen von den Obersten P.R. Bermondt und E. P. Wyrgolitsch).  Sie sollten zusammen mit der Lievener Kampfeinheit zum Westkorps der Nordwestlichen Freiwilligenarmee vereint werden. Am 2. Juli 1919 kam Lieven in Mitawa an und fing zusammen mit dem von ihm zum Chef des Stabes ernannten General G.D. Janow  an, den Korpsstab aufzustellen. Nach dem Plan von Lieven sollte das Korps am Dwina-Ufer entlang der Eisenbahn Windawa-Moskau vorrücken, also in rechter Flanke der Nordwestlichen Armee. 

Am 9. Juli 1919 kam ein starrer Befehl von Judenitsch, alle Teile des Korps auf die Narva-Front zu verlegen. Dem Befehl folgte nur Lieven, der zusammen mit Judenitsch nach Narva und in den Korpsstab aufbrach. Mitte Juli wurden zwei verstärkte Bataillone der Lievener Kampfeinheit, die in Libawa standen, nach Narva verlegt und danach auch die technischen Abteilungen und das Bataillon des Generalmajors Werchowskij, das in Riga stand.  

In Narva setzte Lieven den Zusammenschluss seiner Kampfeinheit in einem Frontabschnitt und die Erweiterung von Bataillonen zu Regimentern, die sich zur 5. Lieven-Division der Nordwestlichen Armee aufstellten. 

Im August 1919 wurde v. Lieven vom General Judenitsch nach London und Paris beordert, damit er gleichzeitig seine ärztliche Behandlung fortsetzt. In Paris hatte er einige Treffen mit dem Chef des französischen Generalstabes, General M. Weygand, der versprach die Montierung zu liefern, diese Absicht konnte jedoch aufgrund der Katastrophe, die zum Ende des Jahres 1919 die Nordwestliche Armee traf, nicht realisiert werden.

Anfang 1920 kehrte v. Lieven auf sein Familienlandgut zurück, wo ihm nach der von der lettischen Regierung durchgeführten Verstaatlichung nur ein kleines Gehöft gelassen wurde. Ohne die Möglichkeit zu haben, seine landwirtschaftliche Tätigkeit fortzusetzen, reiste er wieder nach Frankreich zurück, wo er mit Hilfe des Generals Judenitsch versuchte, eine „landwirtschaftliche Kolonie“ zu gründen, damit die verheirateten Offiziere der Nordwestlichen Armee dort arbeiten und sich erhalten konnten. Dieser Versuch blieb jedoch ohne Erfolg.

Am 16. Mai 1921 wendete er sich an Judenitsch mit der Bitte, seine Reise zum Monarchisten-Kongress in Bad Reichenhall in Deutschland und in die Lager, wo sich immer noch Offiziere der Nordwestlichen Armee aufhielten mit dem Anliegen „ihren Geist zu stärken“, zu finanzieren. General Judenitsch billigte die Initiative. In Reichenhall arbeitete Lieven in der Kriegskommission, die sich mit Erforschung der Lage weißer russischer Generalität in verschiedenen Ländern beschäftigte.  Der Kongress von Reichenhall enttäuschte jedoch die Hoffnung auf aktives Vorgehen wie auch auf die Bemühungen, in den Lagern Militärkader zu erhalten, die bereit wären, als Militärverbände aufzutreten.

Im Herbst 1921 unternahm Fürst von Lieven einen Versuch ein Archiv des Bürgerkrieges herauszugeben, der allerdings scheiterte.

In den Jahren 1922–1924 in Paris war er im Verband der Kriegsinvalide und in anderen Militärorganisationen beschäftigt; er organisierte eine Garage, wo russische Offiziere Fahr- und Automobilmechanik-Ausbildung erhalten konnten. Nach 1924 nach der Auflösung dieses Unternehmens in Paris kehrte Lieven auf sein Landgut Meschotne in Lettland zurück, wo er die landwirtschaftliche Tätigkeit wieder aufnahm.    

Nach anderen Angaben war er ab 1920 in der Emigration in Frankreich, lebte ab 1921 auf seinem Landgut Mesoten. 1924–1930 – bevollmächtigter Vertreter der Bruderschaft Russischer Wahrheit im Baltikum. 1927–1929 – persönlicher Resident des Leiters vom Russischen gesamtmilitärischen Verband.

Bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1937 war v. Lieven Vorsitzender und aktivstes Mitglied von dem in den 1920-er Jahren gegründeten „Verband für Gemeinschaftshilfe der Lievener“  (ab 1930  – „Verein der Lievener“). Leitete die lettische Abteilung der Bruderschaft Russischer Wahrheit. Stand ab 1931 an der Spitze der Vereinigung für Gemeinschaftshilfe der Armeeangehörigen in Lettland.

Nahm an der Herausgabe von Sammelbänden „Die weiße Angelegenheit: Chronik des Weißen Kampfes“ teil, redegiert vom General A.A. von Lampe (in den Jahren 1926–1933 wurden 7 Bücher herausgegeben). Gab außerdem das Erinnerungssammelband „Merkblatt eines Lieveners. 1919–1929“ heraus.  Verlegte das Magazin „Meldedienst der Lievener [und der Nordwestler]“ (vom November 1929 bis Juli 1936 erschienen 8 Ausgaben). Wirkte des Weiteren bei der Zeitschrift „Tschasowoj“ („Wachposten“) und bei der Rigaer Zeitung „Segodnja“ („Heute“) mit.  

A.P. von Lieven war zweimal verheiratet. Die erste Ehefrau war (ab 28. Juni 1897) Serafima Nikolajewna, geborene Saltykowa (26. Februar 1875–9. Mai 1898). Ihre Tochter – Serafima (21. April 1898–22. Dezember 1967). Die zweite Ehefrau (ab 3. September 1902) – Jelisaweta (Elisabeth) Jeannette Marie, geborene Baronesse von Fircks (17. Februar 1873–4. März 1941). Ihre Kinder: Dina Antuanetta (1903–1982); Pawel German (1905–1965); Karl Johann (1911–1996).

Veröffentlichungen

В Южной Прибалтике // Белое дело: Летопись белой борьбы: Материалы, собранные и разобранные бароном П.Н. Врангелем, герцогом Г.Н. Лейхтенбергским и светлейшим князем А.П. Ливеном, под ред. А.А. фон Лампе / ред. А.А. фон Лампе. Берлин, 1927; Памятка Ливенца. 1919–1929. Рига, 1929; Служба связи ливенцев и северо-западников. Рига, 1929–1936.

Literatur

Волков С. В. Офицеры российской гвардии: Опыт мартиролога. – М.: Русский путь, 2002. – С. 282; Рутыч[-Рутченко] Н.Н. Белый фронт генерала Юденича: Биографии чинов Северо-Западной армии. М., 2002. С. 254–267.

Autoren: Bolotina D. I.

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