SCHILLING (Sosnowka), heute Dorf Sownowka, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow; im rechtsufrigen Wolgagebiet an der Mündung des Flusses Sosnowka in die Wolga, 45 Werst südwestlich von Saratow, 30 Werst vom Dorf Ust-Solicha und 150 Werst von der Bezirksstadt Kamyschin, an der von Saratow nach Astrachan führenden Poststraße gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk [Wolost] Sosnowka (später Goly Karamysch) (Bezirk [Ujesd] Kamyschin, Gouvernement Saratow).
Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war das Dorf Schilling bis 1941 Verwaltungszentrum des im Kanton Balzer (Goly Karamysch) gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 neben dem Dorf Schilling auch die Dörfer Lugowaja Karaulka, Lesnaja Storoschka und Stengel gehörten.
Die auf dem Gebiet des heutigen Sosnowka gelegene deutsche Kolonie gehörte zu den fünf ältesten deutschen Wolgakolonien und wurde am 14. August 1764 als Kronkolonie gegründet. Vom Frühjahr 1764 an waren aus russischen Dörfern kommende Zimmerleute in den späteren deutschen Kolonien beschäftigt. So wurden z.B. beim Bau der in der Kolonie Sosnowka errichteten Häuser 60 aus dem Dorf Nowye Burasy kommende Kronbauern als Zimmermänner eingesetzt. Die Siedlung hatte zwei Namen – den russischen Namen Sosnowka (nach dem gleichnamigen Fluss, an dem die Kolonie errichtet wurde) und den deutschen Namen Schilling, der auf den ersten Vorsteher zurückgeht. Die Namen der Vorsteher sind größtenteils nicht überliefert. Anfang des 19. Jahrhunderts war ein gewisser Grimm und bis 1820 ein gewisser Schäfer Vorsteher. Nach dem die Benennung der deutschen Kolonien regelnden Erlass vom 26. Februar 1768 erhielt die Kolonie offiziell den Namen Sosnowka.
Die Listen der ersten Siedler von Sosnowka sind unwiederbringlich verloren, so dass sich genaue Zahl, konfessionelle Zugehörigkeit, Geschlecht und Berufstätigkeit der ersten Kolonisten nicht mehr feststellen lassen. Die frühesten erhaltenen Listen beziehen sich auf das Jahr 1774, enthalten aber keine Hinweise auf die Herkunft bzw. die deutschen Heimatländer der Kolonisten. Es ist allerdings bekannt, dass die Kolonie von 96 größtenteils aus der Pfalz und dem Elsass stammenden Familien gegründet wurde. 1769 gab es es Schilling 61 Wohnhäuser und sieben Pferdeställe. In der Kolonie lebten 96 Familien, von denen fünf erklärten, nicht im Ackerbau tätig sein zu können. Die Kolonisten hatten 282 Pferde, elf Ochsen, 303 Kühe und Kälber, 20 Schafe und 52 Schweine.
In den ersten Jahren nach ihrer Ansiedlung sahen sich die Kolonisten mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert – Überfälle der Truppen Jemeljan Pugatschows, frostreiche Winter, Missernten und Dürren. Die Kolonie lag zwischen zwei Erhebungen in einer malerisch gelegenen, zur Wolga hin abfallenden Senke, an deren Hängen die Ackerflächen lagen. Die Bewirtschaftung des Bodens wurde sowohl durch die zerklüftete Landschaft als auch durch vergleichsweise schlechte Böden erschwert. So waren die Äcker größtenteils sandig, lehmig oder steinig und nur zu einem geringen Teil mit Schwarzerdeböden bedeckt. Die Kolonisten bauten vor allem Weizen sowie in kleineren Mengen Roggen, Hafer, Gerste, Hirse, Flachs, Erbsen, Sonnenblumen und Hanf an. Der russische Botaniker und Forschungsreisende Iwan Lepjochin (Mitglied der Akademie der Wissenschaften), der im Jahr 1769 durch die im rechtsufrigen Wolgagebiet gelegenen deutschen Kolonien reiste, beschrieb die Vorzüge der deutschen Siedlungen: Sie seien sauberer und gepflegter als die russischen Siedlungen und würden für das Wolgagebiet und Russland seltene Gemüsearten anbauen. Mit Blick auf die Kolonie Schilling wies Lepjochin zudem auf den Umstand hin, dass die Kolonisten selbst im Dürrejahr 1768 eine reichere Ernte als ihre russischen Nachbarn eingefahren hätten.
Angesichts der reichen Fischgründe (z.B. Störe) und zahlreicher sonstiger Möglichkeiten der kommerziellen Nutzung der Wolga kam es immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten zwischen den Kolonisten und den umliegenden russischen Dörfern. So wandten sich die in Schilling ansässigen Kolonisten 1807 mit einer gegen die Bauern der nahegelegenen Dörfer Achmat und Mordow gerichteten Klage an das Fürsorgekontor, nachdem diese einen Fang an sich genommen hatten, den die Kolonisten für sich beanspruchten. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden im Dorf gemeinschaftliche Mühlen gebaut, die von den Kolonisten Filbert und Roh betrieben wurden. Weite Verbreitung fand auch die Produktion von Sarpinka-Gewebe, die bereits in der zweiten Hälfte der 1770er Jahren einsetzte, nachdem die Siedler der Herrnhutter Kolonie Sarepta, die weder genug eigene Arbeitskräfte noch die Möglichkeit zum Bezug von Rohmaterial aus dem Ausland hatten, den Schillinger Kolonisten das Angebot unterbreitet hatten, in den Wintermonaten in Heimarbeit Garn zu spinnen. Anschließend wurde der in Schilling produzierte Stoff in Sarepta gefärbt und in den Städten Russlands verkauft. Ende des 19. Jahrhunderts waren Dutzende Schillinger Siedler in diesem Bereich tätig.
Angesichts seiner verkehrstechnisch günstigen Lage unmittelbar an der Wolga entwickelte sich Schilling zu einem wichtigen regionalen Handels- und Warenumschlagsplatz, der regelmäßig von Getreide-, Holz-, Sarpinka- und sonstigen Händlern aufgesucht wurde. Schilling verfügte sowohl über einen Passagier- als auch über einen Holzfrachtanleger, der einen wichtigen Handelsplatz darstellte und zahlreichen Arbeitern Arbeit bot. Schilling war zudem Ausgangspunkt der im Winter genutzten Handelstrasse von der Wolga zum Fluss Medwediza.
Im Jahr 1865 fertigten die in Schilling und in den linksufrigen Kolonien Wolskaja, Jablonewka, Skatowka, Priwalnoje, Krasnopolje und Kotschetnaja gelegenen Schiffsanleger zusammen insgesamt 55 mit Getreide beladene Schiffe ab. Nach Angaben des Gouvernements-Statistik-Komitees wurden in Schilling (Sosnowka) 1877 acht gewöhnliche und zwei Dampfschiffe, 1878 15 gewöhnliche und ein Dampfschiff und 1879 zwölf Schiffe beladen. Der jährliche Warenumschlag lag Ende des 19. Jahrhunderts bei über 700.000 Pud. Besonders intensiv wurde der Handel mit Bauholz betrieben.
Nach Angaben des Zentralen Statistik-Komitees gab es in der Kolonie im Jahr 1860 170 Höfe und ein Schankhaus. Nach den Daten des Gouvernements-Statistik-Komitees gab es 1891 eine vom Semstwo betriebene Poststation mit drei Pferden, einen freitäglich stattfindenden Wochenmarkt, auf dem bis zu 100 Fuhren zusammenkamen, und 270 Höfe. Drei Jahre später war die Zahl der Höfe bereits auf 303 angestiegen. Hinsichtlich der Bebauung unterschied sich die Kolonie, in der etwa ein Drittel aller Häuser aus Ziegeln oder Stein gebaut war, erheblich von den benachbarten Dörfern und sogar Städten. Aufgrund der von A.N. Minch ausgewerteten Daten der im Jahr 1886 von den Semstwo-Organen durchgeführten Volkszählung gab es in der Kolonie zu diesem Zeitpunkt 283 Haushalte, 1.080 männliche und 1.018 weibliche lutherische deutsche Einwohner, 283 Wohnhäuser (89 Steinhäuser, 192 Holzhäuser und ein Lehmziegelhaus, von denen wiederum 120 mit Holz und 163 mit Stroh gedeckt waren), ein zweistöckiges Haus; 13 Gewerbebetriebe, ein Gasthaus, vier Schankhäuser und acht Läden. Die Siedler verfügten über 198 Pflüge, einen Hakenpflug, 30 Kornschwingen und eine Dreschmaschine, 867 Arbeits- und sonstige Pferde, 19 Ochsen, 757 Kühe und Kälber, 1.210 Schafe, 475 Schweine und 451 Ziegen. Etwa vierzig Dorfbewohner waren mit der Herstellung von Sarpinka-Gewebe, die meisten Dorfbewohner im Fuhrgewerbe beschäftigt. Dabei wurden vor allem Fuhren von der Wolga an den Fluss Medwediza sowie in die in einem Umkreis von 40–50 Werst um die Kolonie gelegenen russischen und deutschen Dörfer erledigt. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Schilling sechs Läden und etwa 20 Gewerbebetriebe (Gerbereien, Strickereien, Tischlereien, Wagenbauwerkstätten sowie die Dampfmühle von M. Kaufman).
Angesichts des mit der wachsenden Bevölkerungszahl einhergehenden Landmangels versuchten die Kolonisten immer wieder, Tochterkolonien zu gründen oder sich in anderer Weise jenseits der Grenzen des Dorfes anzusiedeln. 1857 begann die Besiedlung der (offiziell erst im Jahr 1859 gegründeten) linksufrigen Tochterkolonie Schilling (Konstantinowka, heute Dorf Konstantinowka, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow). Unter dem Namen Neu-Schilling wurde noch eine weitere linksufrige Tochterkolonie gegründet (heute aufgegeben). 1859 gründeten 128 Siedlern zusammen mit aus dem Nachbardorf Talowka stammenden landlosen Kolonisten im Amtsbezirk Nischni Jeruslan als weitere Tochterkolonie Neu-Beideck (Nowaja Talowka), wohin bis 1881 noch weitere 48 Personen übersiedelten. 1861 wurden eigenmächtige Umsiedlungen aufgrund eines Erlasses des Kontors mit Vagabundentum gleichgesetzt und streng bestraft. Angesichts zahlreicher Bitten von Seiten der Kolonisten sah sich die Regierung allerdings später gezwungen, ihre Entscheidung zu revidieren und eine Übersiedlung in den Kaukasus sowie nach 1874 nach Amerika zu gestatten. Insgesamt verließen bis zum Jahr 1887 224 Siedler Schilling.
1858 wurde in Schilling der bekannte Volkskundler und Arzt Peter Karlowitsch Haller (1858–1920) geboren, dessen Erinnerungen eine anschauliche Vorstellung vom Alltagsleben der deutschen Kolonisten im 19. Jahrhundert vermitteln. Aufgrund seiner günstigen verkehrstechnischen Lage und relativen Nähe zu Saratow wurde Schilling im September 1917 Schauplatz des 2. Kongresses der Wolgadeutschen, auf dem Fragen der politischen Selbstverwaltung, der Agrarreform und des Bildungswesens diskutiert und Kandidaten für die Verfassungsgebende Versammlung gewählt wurden. In den Jahren der Sowjetmacht gab es im Dorf einen Genossenschaftsladen und ein Sägewerk, in dem im Jahr 1932 44 Personen beschäftigt waren. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Sosnowka trägt.
In der Kirchenschule, die im Dorf praktisch seit Gründung der Kolonie selbst bestand, lernten Kinder im Alter von 7-15 Jahren. Das Schuljahr begann am 20. August und endete am 20. Juni. Der Unterricht fand morgens von 8.00-11.00 Uhr sowie nachmittags von 14.00-16.00 Uhr statt. Die Kinder saßen auf langen engen Bänken ohne Tische und mussten die Bücher vor sich in der Luft halten. Der Unterricht wurde vom Lehrer und seinem Gehilfen gehalten, der den Kindern das Alphabet beibrachte. Die Kinder lernten Lesen, Schreiben und die vier Grundrechenarten und mussten den Katechismus, Kirchenlieder und das Evangelium auswendig lernen. Zur Bestrafung der Kinder und Aufrechterhaltung der Disziplin durfte der Lehrer die Kinder mit Stock oder Lineal auf die Handflächen schlagen. Die Namen der in der Kolonie tätigen Lehrer sind größtenteils nicht überliefert. Bekannt ist, dass im Jahr 1804 ein Schullehrer namens Rib in die Kolonie Popowka wechselte, wo er mit den Kolonisten einen entsprechenden Vertrag abschloss. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Kirchenschule dem Ministerium unterstellt. In den Jahren 1868–70 wurde das Schulgebäude auf Kosten des Fürsorgekontors renoviert.
Neben der kirchlichen Gemeindeschule gab es in der Kolonie seit Ende der 1870er Jahre auch eine private sogenannte „Genossenschaftsschule“. 1886 waren 1.195 der insgesamt 2.177 Dorfbewohner alphabetisiert (607 Männer und 588 Frauen). Ende des 19. Jahrhunderts wurde im Dorf dem Ministerium unterstellte öffentliche Schule gegründet. Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 442 der fast 3.361 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten in Schilling nicht alle Kinder im entsprechenden Alter auch wirklich eine Schule. 61 Kinder blieben dem Unterricht fern, da ihre Eltern arm waren. Im Jahr 1906 besuchten 176 Jungen und 174 Mädchen die Kirchenschule, an der zwei Lehrer tätig waren. In der aus Mitteln der Dorfbewohner unterhaltenen öffentlichen Schule lernten 24 Jungen und 7 Mädchen bei einem einzigen Lehrer. In sowjetischer Zeit wurden beide Schulen geschlossen und durch eine Grundschule ersetzt.
Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischer Konfession. Die Gemeinde Schilling gehörte zum 1767 gegründeten Pfarrsprengel Beideck (Talowka), dessen Zentrum in der zehn Werst entfernten Kolonie Beideck lag. Obwohl der Pfarrsprengel aus nur zwei Gemeinden bestand, gehörte er Anfang des 20. Jahrhunderts zu den einwohnerstärksten evangelisch-lutherischen Pfarrsprengeln des Wolgagebiets. 1905 lebten dort insgesamt 9.496 Gemeindemitglieder.
In den ersten Jahren nach der Gründung der Siedlung fanden die Gottesdienste im Schul- und Bethaus statt. Als Ende des 18. Jahrhunderts Spendengelder für den Bau einer Kirche im benachbarten Beideck (Talowka) gesammelt wurden, weigerten sich die in Schilling ansässigen Gemeindemitglieder unter Verweis auf die Notwendigkeit, eine eigene Kirche zu bauen, für den Bau einer Pfarrkirche zu spenden, und wurden 1797 vom Fürsorgekontor von der Pflicht befreit, sich am Bau der Beidecker Kirche zu beteiligen. Den Archivdokumenten lässt sich entnehmen, dass die erste Kirche in Schilling im Jahr 1824 ohne offiziell eingereichten Bauplan und Kostenvoranschlag errichtet wurde. Auch wenn die Kirche von nicht eigens dafür ausgebildeten örtlichen Handwerkern gebaut wurde, wurde sie nicht zuletzt aufgrund ihres Standorts auf einem über dem Dorf gelegenen Hügel mit Blick auf die Wolga zu einer Zierde der gesamten Region.
Die nächste Kirche wurde am gleichen Standort errichtet und im Jahr 1883 geweiht. In architektonischer Hinsicht war auch dieser Bau eher schlicht. Wie schon der Vorgängerbau wurde auch diese Kirche von den deutschen Kolonisten selbst ohne Heranziehung eines professionellen Architekten gebaut. Hervorstechende Merkmale der im für die deutschen Kolonien typischen Stil errichteten zweistöckigen Holzkirche waren die große Zahl der Fenster, der rechteckige Vorbau, die abgerundete Apsis und die massiven Dreiecksgiebel an den Seitenfassaden des Gebäudes. Zugleich verliehen Pilaster und von örtlichen Handwerkern geschnitzte Tür- und Fensterverzierungen dem Bau eine gewisse Eleganz. Das Dach war mit Eisen gedeckt. Im Innenraum bot das Kirchengestühl Platz für 1.000 Gläubige. Im Jahr 1904 wurde der Kirchturm umgebaut. Im Jahr 1909 wurden umfangreiche Reparaturarbeiten durchgeführt.
Von Zeit zu Zeit kam es zwischen Pastoren und Kolonisten zu Konflikten. So versuchten die in Sosnowka (Schilling) ansässigen Kolonisten einer von Pastor Laurentius Ahlbaum eingereichten Klage zufolge in den 1770er Jahren, sich den mit der Instandhaltung der Pfarrkirche und des Schulmeisterhauses verbundenen Arbeiten sowie der Bereitstellung von Brennholz zu entziehen, und besuchten nur selten den Gottesdienst. Schließlich wurden die Kolonisten vom Fürsorgekontor gezwungen, den Anordnungen des Pastors Folge zu leisten. Die Pastoren, die an der Universität studiert hatten, waren nicht nur in den Gemeinden hochgeachtete, sondern oft auch wohlhabende Leute, was sie wiederum zu einem bevorzugten Ziel von Kriminellen werden ließ. So wurden z.B. im Jahr 1805 nicht nur Pastor J. Otto, sondern in anderen Gemeinden auch Pastor A. Jauch und Pater Gregor Opfer von Raubüberfallen. 1815 wurde das Haus von Pastor J.B. Cattaneo ausgeraubt.
Anfang des 19. Jahrhunderts war die Medizin recht schwach entwickelt, so dass die Kolonien immer wieder von Epidemien heimgesucht wurden. Im August 1808 brach in der Gemeinde die Pest aus, die von Astrachan eingeschleppt war. Im August 1823 waren zahlreiche Bewohner der Gemeinden Schilling (Sosnowka) und Beideck (Talowka) an Skorbut erkrankt. In dieser Zeit besuchte Pastor Lukas Cattaneo, der Sohn des Pastors und berühmten Arztes Johann Baptiste Cattaneo, regelmäßig die Kranken. Auch bei den in den Jahren 1847/48 und 1892 ausgebrochenen Choleraepidemien leisteten die Pastoren den Gemeindemitgliedern seelischen Beistand.
Weit über die Grenzen des Pfarrsprengels hinaus bekannt war das in der Gemeinde Beideck im Jahr 1891 auf Initiative von Pastor Günther gegründete Alten- und Siechenheim „Bethanien“. Auch das 1895 gegründete Waisenheim „Nazareth“ und die 1907 gegründete Wohltätige Gesellschaft unterhielten in Schilling Filialen. Im Heim „Bethanien“, das laut seiner Satzung die Armut unter Gemeindemitgliedern protestantischer Konfession bekämpfen sollte, waren Ende des 19. Jahrhunderts etwa 70 mittellose Alte und Kranke untergebracht. Zu den Aufgabenfeldern der Wohltätigen Gesellschaft gehörte es, alte Menschen mit Essen, Unterkunft und Kleidung zu versorgen, Arbeitsfähige bei der Arbeitssuche zu unterstützen, bettelnden Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, Bedürftigen medizinische Hilfe zukommen zu lassen und auswärtigen Bedürftigen bei der Rückkehr an ihre Heimatorte zu helfen. In den Heimen waren Diakonissen tätig.
Alles andere als leicht erging es vielen Pastoren der Gemeinde in den Jahren der Sowjetmacht. Herbert Günther (1891–?), der Sohn von Pastor Hugo Günther, der der Gemeinde insgesamt 18 Jahre lang diente, war in den schweren Jahren 1918-29 Pastor der Gemeinde Beideck. 1931 wurde er wegen angeblicher konterrevolutionärer Tätigkeit repressiert und blieb bis 1938 im Lager. Pastor Johann Blum (1873–1939) emigrierte 1918 aus Furcht vor Repressionen in die Schweiz. Pastor Eduard Seib (1872–1940), der in den Jahren 1900-1903 die Beidecker Wohlfahrtseinrichtungen geleitet hatte, wurde 1931 unter vorgeschobenen Anschuldigungen an den Aralsee verbannt. Repressionen und Verfolgungen waren nicht nur die Pastoren, sondern auch einfache Gläubige ausgesetzt. 1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass es in Schilling noch 1.591 Gläubige gebe, von denen 42 den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren.
Am 28. August 1934 informierte die Kommission für Kultfragen beim Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen das Präsidium der ASSR, dass die Kirche von den Gläubigen noch genutzt werde, während viele andere Kirchen im Kanton Balzer bereits geschlossen seien. Wenig später beschloss die Kommission für Kultfragen beim Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen die Kirche mit der Begründung zu schließen, dass die Gemeinde in den zwei Vorjahren keine Steuern gezahlt habe und das Gebäude nicht instandgehalten werde. Zuvor hatte die Kommission für Kultfragen die Gemeinde aufgefordert, innerhalb einer Frist von einer Woche die in den vergangenen Jahren aufgelaufenen Grundsteuerzahlungen nachzuzahlen, um anschließend über die Kirche verfügen zu können. Da die Gemeinde die entsprechende Summe nicht aufbringen konnte (als Steuer waren jährlich 8 % des Gebäudewertes angesetzt), schlug die Kommission vor, das Kirchengebäude als Schule zu nutzen.
Pastoren der Pfarrgemeinde Beideck (Talowka), die in Schilling Gottesdienst hielten: Georg Christian Seyer (1767–1770), Laurentius Ahlbaum (1771–1778), in den Jahren 1778-93 hatte die Gemeinde keinen Pastor, Johann Martin Otto (1793–1820), Lukas Cattaneo (1821–1828), Johann Heinrich Köpke (Mai-August 1828), Alexander Haken (1830–1836), Christian Gottlieb Hegele (1836–50), Karl Döngoff (1852–58), Felizian Joseph Dittrich (1859–80), Hugo Julius Günter (1883–1901), Johannes Nikolai Blum (1901–05), Wladimir Thumin (1908–10), Hugo Günther (1911–18), Herbert Julius Günther (1918–29).
Entwicklung der Einwohnerzahlen. 1769 lebten in Schilling 404 ausländische Kolonisten, 1773 waren es 429, 1788 – 532, 1798 - 626, 1816 - 851, 1834 – 1.295, 1850 – 1.839, 1859 – 1.992, 1886 – 2.177, 1891 – 2.686. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reichs von 1897 hatte Schilling 3.245 Einwohner, von denen 3.175 Deutsche waren. Im Jahr 1905 lebten im Dorf 3.351, 1911 3.594 Personen. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 hatte das Dorf 3.076 Einwohner. 1921 gab es im Dorf 287 Sterbefälle und 156 Geburten. Nach den Daten des Gebietsamts für Statistik des Gebiets der Wolgadeutschen hatte Schilling zum 1. Januar 1922 2.801 und 1923 2.674 Einwohner. Nach den Daten der Volkszählung von 1926 lebten im Dorf 3.210 Personen, von denen 3.088 Deutsche waren. 1931 hatte das Dorf 3.411 Einwohner, von denen 3.380 Deutsche waren.
Heute Dorf Sosnowka, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow. Das Dorf Sosnowka gehört heute zur Landgemeinde Luganskoje, dessen Verwaltungszentrum sich im gleichnamigen Dorf befindet (frühere deutsche Kolonie Beideck/Talowka). Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 2002 lebten in der Landgemeinde 2.192 Personen. Sowohl nach der Fläche als auch nach der Einwohnerzahl ist das Dorf heute deutlich kleiner als in der vorrevolutionären Zeit seiner Geschichte.
Der alte Bebauungsplan des Dorfes ist bis heute erhalten. Im heutigen Sosnowka, das sich noch immer ein repräsentatives architektonisches Erscheinungsbild bewahrt hat, lässt sich auch heute noch die alte durch Handel und Handwerk geprägte deutsche Siedlung erkennen. Wenn man heute nach Sosnowka kommt, sieht man sofort, dass hier einmal Handwerk und Gewerbe geblüht haben und eine massive Bauweise dominierte. Die großzügigen Maße des zentralen Platzes, die große Zahl an Backsteinbauten und der Schiffsanleger lassen sofort erkennen, dass Sosnowka einst ein wichtiger Warenumschlagsplatz und Zentrum von Handel und Gewerbe war. Das architektonische Erscheinungsbild des Dorfes wird immer noch durch einige Dutzend deutsche Backsteinbauten mit dem für die Region charakteristischen zweifarbigen Mauerwerk geprägt. Wenn man die Handelsgebäude, Wohnhäuser und Wirtschaftsbauten aufmerksamer in Augenschein nimmt, fällt auf, dass sie fast alle architektonische Schmuckelemente aufweisen. Jedes einzelne dieser Gebäude wäre es Wert, unter Denkmalschutz gestellt zu werden. Das Dorf könnte durchaus auch ein Freilichtmuseum sein. Zahlreiche Beispiele typischer deutscher Stilelemente illustrieren die Baukultur und architektonische Vielfalt der Kolonisten.
Noch vor wenigen Jahrzehnten konnte man sagen, dass es dem Gebäude der Kirche in Sosnowka deutlich besser ergangen ist als vielen anderen im Wolgagebiet gelegenen deutschen Kirchen. Bis in die allerletzte Zeit handelte es sich um eine der wenigen gut erhaltenen früheren lutherischen Holzkirchen in der Umgebung von Saratow. Ende der 1980er Jahre wurden ähnliche Kirchenbauten in den früheren deutschen Dörfern Galka und Filippowka zerstört. Bis Anfang der 1990er Jahre wurde die frühere Kirche von Sosnowka als Getreidespeicher genutzt. Von den vielen Hundert lutherischen Holzkirchen, die es einst im Wolgagebiet gab, sind heute nur noch drei erhalten. Leider wurde die 1883 errichtete Kirche von Sosnowka im Jahr 2003 von den Bewohnern des Ortes abgebaut, um das Baumaterial anderweitig zu nutzen.
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