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FRIEDENFELD (Alt-Friedenfeld, Birjutschje, Berutschuk)

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Blick auf das heutige Dorf Friedenfeld-Komsomolskoje.
Komsomolskoje. Deutsches Holzhaus. Foto Je. Moschkow, 2010.
Komsomolskoje. Deutsches Holzhaus. Foto Je. Moschkow, 2010.

FRIEDENFELD (Alt-Friedenfeld, Birjutschje, Berutschuk), heute Dorf Komsomolskoje, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow; im linksufrigen Wolgagebiet am linken Ufer des Flusses Soljanka (Schidkaja Soljanka, linker Nebenfluss des Jeruslan), 555 Werst von Samara, 120 Werst von Saratow, 87 Werst von der Bezirksstadt Nowousensk und zehn Werst vom Zentrum des Amtsbezirks Eckheim gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk [Wolost] Eckheim (Nischni Jeruslan) (Bezirk [Ujesd] Nowousensk, Gouvernement Samara).

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war das Dorf Friedenfeld bis 1941 Verwaltungszentrum des im Kanton Krasny Kut gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 neben dem Dorf Friedenfeld die Siedlungen Neu-Friedenfeld und Station Timofejewka gehörten. Aufgrund eines Beschlusses des Allrussischen Zentralexekutivkomitees wurde am 18. Januar 1935 der Kanton Eckheim eingerichtet, der aus den zuvor zum Kanton Krasny Kut gehörigen größeren deutschen Dörfern Friedenfeld, Eckheim, Gnadenfeld, Neu-Bauer, Neu-Beideck und Neu-Schilling sowie einigen Gehöften und kleineren Ortschaften bestand.

Die deutsche Kolonie Friedenfeld wurde 1855 als Tochterkolonie von Kolonisten gegründet, die zuvor in den deutschen Kolonien Bauer (heute Karamyschewka, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow), Grimm (Lesnoj Karamysch, heute Siedlung Kamenski, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow), Dittel (Oleschna, heute Aleschniki, Rayon Schirnowsk, Gebiet Wolgograd) und Merkel (heute Dorf Makarowka, Rayon Schirnowsk, Gebiet Wolgograd) gelebt hatten und vor allem wegen des dort herrschenden Landmangels in die rechtsufrigen Tochterkolonien übergesiedelt waren. Die Besiedlung der Kolonie zog sich über mehr als zehn Jahre hin (1855–67), nachdem sie zunächst in aller Eile und ohne systematische Planung erfolgt war, was zahlreiche an die Adresse des Fürsorgekontors gerichtete Klagen nach sich gezogen hatte.

Der Name der Kolonie geht wörtlich auf die Wortteile „Frieden“ und „Feld“ zurück. Den Namen Birjutschje erhielt die Kolonie nach 1915 im Zuge der durch den 1. Weltkrieg entfesselten antideutschen Propagandakampagne, in deren Verlauf zahlreiche gegen die in Russland ansässige deutsche Bevölkerung gerichtete diskriminierende Gesetze verabschiedet wurden. So wurden bereits 1914 alle deutschsprachigen Publikationen und Vereine geschlossen. In vielen Regionen des Landes wurde der Gebrauch der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit und im Alltag verboten. Per Erlass vom 18. August 1916 wurde in allen Lehranstalten des Russischen Reiches jeglicher Deutschunterricht verboten. Im Kontext dieser antideutschen Maßnahmen wurden wie im Fall Friedenfeld/Birjutschje auch zahlreiche deutsche Siedlungen umbenannt. Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen erhielten die Dörfer ihre deutschen Namen zurück.

Die Bewohner von Friedenfeld waren größtenteils im Ackerbau sowie in der Mehlproduktion tätig und bauten Weizen, Roggen, Hafer und Gerste an. Nach den Daten des Zentralen Statistik-Komitees kamen im Jahr 1857 auf 277 männliche Einwohner jeweils 17,4 Desjatinen Land pro Kopf. Insgesamt verfügten die Kolonisten über 5.768 Desjatinen Acker- und 1.118 Desjatinen sonstiges Land.

Nach Angaben des Gouvernements-Statistik-Komitees Samara gab es im Dorf im Jahr 1910 236 Höfe, zwei Windmühlen und eine Butterei. Zudem wurden regelmäßig Jahrmärkte abgehalten. Es gab eine Semstwo-Station sowie ein Krankenhaus, in dem ein Arzt, ein Hilfsarzt und ein Geburtshelfer tätig waren. In den Jahren der Sowjetmacht gab es in Friedenfeld eine landwirtschaftliche Kooperativ-Genossenschaft, eine Bibliothek und eine Maschinen-Traktoren-Station. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert.

Schule und Erziehungswesen

Die erste kirchliche Gemeindeschule wurde praktisch zeitgleich mit dem Dorf selbst gegründet. Als Schulgebäude diente ein Holzbau. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde im Dorf eine Semstwo-Schule gegründet, deren Schulgebäude die Gemeinschaft der Kolonie zur Verfügung stellen musste. Wie in der Kirchenschule wurden auch in der Semstwo-Schule mehrere Jahrgänge in einer Klasse zusammengefasst und im gleichen Klassenraum von einem einzigen Lehrer unterrichtet, so dass das Lehrmaterial nicht eindeutig auf einzelne Jahrgänge verteilt war. Pflichtfächer waren Religionsunterricht, Lesen, Schreiben, Rechnen und Gesang. Die Lehrer stellten die Lehrpläne selbständig zusammen, wählten selbst zusätzliche Fächer aus und durften das Lehrmaterial eigenständig auf einzelne Jahrgänge verteilen. In den 1920er Jahren wurden die Kirchen- und die Semstwo-Schule zu einer Grundschule zusammengelegt.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesens zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 268 der insgesamt 2.614 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten nicht alle Kinder im schulpflichtigen Alter auch wirklich eine Schule. 25 Kinder blieben der Schule fern, obwohl sie das siebte Lebensjahr bereits erreicht hatten. 1906 besuchten 65 Jungen und 6 Mädchen die Semstwo-Schule, wo sie von zwei Lehrern unterrichtet wurden. In der Kirchenschule lernten 74 Jungen und 98 Mädchen bei einem einzigen Lehrer. Die Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. Im Jahr 1913 wandte sich die Dorfgemeinschaft mit der Bitte an den Semstwo, die Zahl der in der Semstwo-Schule tätigen Lehrer auf 5 zu erhöhen, und baute ein weiteres Schulgebäude. Allerdings sorgte die Reaktion des Semstwo, der neben drei deutschen Lehrern zwei russische Lehrerinnen entsandte und die Schule dem örtlichen Pastor Allendorf unterstellte, bei einem Teil der Gemeinschaft für Unmut. In sowjetischer Zeit wurden beide Schulen geschlossen und durch eine Grundschule ersetzt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischer Konfession. In den Jahren 1860–65 wurde die lutherische Gemeinde Friedenfeld von den Pastoren der Pfarrgemeinde Warenburg (heute Priwolnoje, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow) betreut. 1865 wurde Friedenfeld dem im gleichen Jahr (25. Oktober) neu gegründeten Pfarrsprengel Eckheim (heute Dorf Usatowo, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow) angeschlossen. 1882 wurden die zuvor zum Pfarrsprengel Eckheim gehörenden lutherischen Siedlungen Brunnental (heute Dort Kriwojar, Rayon Rownoje, Gebiet Saratow), Hussenbach (heute Perwomajskoje, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow), Gnadenfeld (heute Dorf Kirowo, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow), Neu-Beideck (heute aufgegeben) Blagodarowka (heute aufgegeben) und Dobrino (heute aufgegeben) zum neu eingerichteten Pfarrsprengel Brunnental zusammengelegt. Nach der Gründung des eigenständigen Pfarrsprengels Brunnental verblieben im Pfarrsprengel Eckheim die Kolonien Friedenfeld, Neu-Bauer, Neu-Schilling, Langenfeld, Rosenfeld, Eckheim und Ehrenfeld sowie die Gemeinde Krasny Kut. Nach Stand zum Jahr 1905 lebten im lutherischen Pfarrsprengel Eckheim 10.733 Gemeindemitglieder.

In den ersten Jahren nach der Gründung der Kolonie gab es im Dorf kein eigenes Kirchengebäude. Lange Zeit hielten die Kolonisten ihre Gottesdienste im relativ kleinen Gebäude des Schul- und Bethauses ab. 1888 wurde in Friedenfeld ein neuer Holzbau für das Schul- und Bethaus errichtet, das den Status einer Filialkirche hatte und im Namen der Dreifaltigkeit geweiht wurde. Unweit des Schul- und Bethauses stand das Pfarrhaus, das sich in Friedenfeld befand, obwohl Eckheim das offizielle Zentrum des Pfarrsprengels war.

Im Winter 1919 sprach sich Johann Allendorf (1856–1932), Probst der Wiesenseite und Pastor von Eckheim, auf dem Balzerer Kirchenkongress gegen eine Autonomie der Kirchenorganisation des Wolgagebiets aus, zu der diese von den Organen der Sowjetmacht gedrängt wurde. Der in den Jahren 1918/19 zu verzeichnende faktische Zusammenbruch der Evangelisch-lutherischen Kirche in Russland, fehlende Kontakte zur Kirchenführung und die Massenemigration der Geistlichen führten im Verlauf der 1920er Jahre dazu, dass sich viele Gemeinden und unter anderem auch Friedenfeld der von der offiziellen Kirche abgespaltenen Freien Evangelisch-lutherischen Kongegrationskirche anschlossen, die mit der Sowjetmacht kollaborierte und in den Jahren 1927–35 bestand (eine vergleichbare Erneuerungsbewegung gab es auch in der Russisch-Orthodoxen Kirche).

Infolge der antireligiösen Politik ging die Zahl der Gläubigen praktisch mit jedem Tag unaufhaltsam zurück, die Aktivitäten der Gemeinde standen unter ständiger Kontrolle von Seiten der Organe der Staatsmacht. Auch dem letzten Eckheimer Pastor Johann Allendorf wurden als sogenanntem „Lischenez“ das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt. In einem von den Organen des NKWD zusammengestellten Bericht wird er als „wohlhabender alter Lischenez“ beschrieben, „der eine große Landwirtschaft hat und den Maßnahmen der Sowjetmacht passiv gegenübersteht“. Wenige Jahre nach seinem Tod hörte seine zu den größten im linksufrigen Wolgagebiet zählende Pfarrgemeinde auf zu bestehen.

Mitte der 1930er Jahre wurden in der Sowjetunion massenhaft Gotteshäuser aller Konfessionen und Religionsgemeinschaften geschlossen. Am 13. Mai 1933 wurde die Friedenfelder Kirche auf Beschluss des Präsidium der ASSR der Wolgadeutschen unter dem Vorwand geschlossen, dass sich 597 der insgesamt 631 Gläubigen für und nur 34 gegen die Schließung der Kirche ausgesprochen hatten. Das Präsidium der ASSR der Wolgadeutschen empfahl, das Kirchengebäude für Kultur- und Bildungszwecke zu nutzen.

Liste der Pastoren

Pastoren der Pfarrgemeinde Warenburg (Priwolnoje), die in Friedenfeld Gottesdienst hielten: Franz Karl Hölz (1860–65). Pastoren der Pfarrgemeinde Eckheim, die in Friedenfeld Gottesdienst hielten: Friedrich Heinrich Wilhelm Keller (1867–68), Wilhelm Stärkel (1869–77), Johannes Allendorf (1887–1931). In den Jahren 1877–87 hatte die Gemeinde keinen Pastor.

Entwicklung der Einwohnerzahlen

1859 lebten in Friedenfeld 253 ausländische Siedler, 1889 waren es 1.217. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reichs von 1897 hatte Friedenfeld 1.591 Einwohner, von denen 1.571 Deutsche waren. Im Jahr 1905 lebten im Dorf 2.568, im Jahr 1910 2.891 Personen. Nach 1917 nahm die Einwohnerzahl infolge der bolschewistischen Politik, der Hungernöte der frühen 1920er und frühen 1930er Jahre, der Entkulakisierung, der Repressionen und der Emigration der Bevölkerung kontinuierlich ab. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 lebten in Friedenfeld 2.524 Personen, bei denen es sich ausnahmslos um Deutsche handelte. Nach den Daten des Gebietsamts für Statistik des Gebiets der Wolgadeutschen lebten in Friedenfeld nach Stand zum 1. Januar 1922 1.517 Personen. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1926 gab es im Dorf 348 Haushalte (davon 337 deutsche) mit einer Gesamtbevölkerung von 1.849 Personen (872 Männer und 977 Frauen), von denen 1.829 Deutsche waren (863 Männer und 966 Frauen). 1931 lebten in Friedenfeld 2.200 Personen, von denen 2.191 Deutsche waren. 1939 hatte das Dorf 2.614 Einwohner.

Das Dorf heute. Heute Dorf Komsomolskoje, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow. In heutiger Zeit hat das Dorf etwa 1.050 Einwohner. In Komsomolskoje gibt es eine Allgemeinbildende Mittelschule, ein Krankenhaus, ein Telegrafenamt und einige Geschäfte. Es wurde ein Lenin-Denkmal errichtet. Nach der Auflösung der ASSR der Wolgadeutschen war das Dorf bis 1959 Verwaltungszentrum des Rayons Komsomolskoje.

Die deutsche Architektur hat im heutigen Komsomolskoje deutlich mehr Spuren hinterlassen als in anderen nahegelegenen Dörfern. Es gibt einige Dutzend Holz- und sogar Backsteinbauten. Im Ortskern haben sich Struktur und Erscheinungsbild des alten deutschen Friedenfeld erhalten. Die im heutigen Komsomolskoje noch immer erhaltenen, sich an breiten langen Straßen entlangziehenden Wohnblöcke, vermitteln eine klare Vorstellung von der Siedlungsstruktur der Kolonie. Im heutigen Dorf lässt sich bis heute gut die ursprüngliche Bebauungsplan der früheren deutschen Kolonie nachvollziehen, dessen Zentrum der Marktplatz bildete, an dem Kirche, Schule und Pfarrhaus sowie die Wohnhäuser von Schulmeistern und Handwerkern lagen. Am früheren Standort der Kirche wurde 1958 das Kulturhaus des Dorfes gebaut, in dem auch ein Kino untergebracht ist. Auf dem Dorffriedhof sind einige deutsche Grabstätten aus der Nachkriegszeit erhalten.

Literatur

Дитц Я. История поволжских немцев-колонистов. – М., 1997; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. – Часть I; Лиценбергер О.А. Евангелическо-лютеранская церковь и Советское государство (1917–1938). – М., 1999; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Список населенных мест Самарской губернии. – Самара, 1910; Stumpp К. Verzeichnis der evangelischen Pastoren in den einzelnen deutschen und gemischten Kirchspielen in Russland bzw. der Sowjetunion, ohne Baltikum und Polen // Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen. – Bearbeitung J. Schnurr. – Stuttgart, 1978. – Evangelischer Teil; Volkszeitung. – 16. März 1914. – № 22. – S. 2.

Archive

Archive: - ГАСО. Ф. 637. Оп. 38. Д. 71, 72; ГИАНП. Ф. 849. Оп. 1. Д. 934. Л. 78; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 299. Л. 14.

Autoren: Lizenberger O.A.

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