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SCHAFFHAUSEN (Schifgausen, Michaelis, Wolkowo), heute Dorf Wolkowo, Rayon Marx, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie im linksufrigen Wolgagebiet

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Plan der Kolonie Schaffhausen. Tusche, Aquarell. Um 1830
Plan der evangelisch-lutherischen Kirche des Dorfes Schaffhausen.
Wolkowo. Evangelisch-lutherische Kirche. Heutiger Zustand. Foto Je. Moschkow, 2010.
Wolkowo. Ruinen der früheren Kirche und des früheren Schulgebäudes. Foto Je. Moschkow, 2010.
Wolkowo. Deutsches Haus. Foto Je. Moschkow, 2010.
с. Волково. Фрагмент лепки в здании церкви. Фото Е. Мошкова. 2009 г.

SCHAFFHAUSEN (Schifgausen, Michaelis, Wolkowo), heute Dorf Wolkowo, Rayon Marx, Gebiet Saratow; im linksufrigen Wolgagebiet am Fluss Statjum (Statsoma), 269 Werst von Samara, 110 Werst von der Bezirksstadt Nikolajewsk und vier Werst vom Zentrum des Amtsbezirks Baratajewka (Böttinger), an der von Nikolajewsk nach Saratow führenden Handelsstraße gelegene deutsche Kolonie, bei der es sich um das nördlichste der im Bezirk Nowousensk (Gebiet Samara) gelegenen deutschen lutherischen Dörfer handelte. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte Schaffhausen zum Kreis [Okrug] Baratajewka (Panino) (Bezirk [Ujesd] Nikolajewsk, Gouvernement Samara).

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war das Dorf Schaffhausen Verwaltungszentrum des gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 neben dem Dorf Schaffhausen das Vorwerk Majanga (Schafgausenskaja Majanga) sowie die Gehöfte Altenfeld, Uras und Guwas-Brunnen gehörten. Nach der Ausgliederung des Kantons Unterwalden aus dem Kanton Marxstadt gehörte das Dorf Schaffhausen vom 1. Januar 1935 bis zur Auflösung der ASSR der Wolgadeutschen im Jahr 1941 zum Kanton Unterwalden.

Die deutsche Kolonie Schaffhausen wurde 1768 von dem Anwerber Caneau de Beauregard gegründet, der dort Kolonisten ansiedelte, die bereits im Herbst 1767 ins Wolgagebiet gekommen waren und in den bereits bestehenden Kolonien überwintert hatten. Zeitgleich mit Schaffhausen wurden in der näheren Umgebung neun weitere Kolonien eingerichtet – Basel, Bern, Brockhausen, Hockenberg, Glarus, Luzern, Kind, Resanowka, Zug. Da diese Kolonien erst zu einem Zeitpunkt gegründet wurden, als die Listen der im Wolgagebiet angesiedelten Kolonisten bereits geschrieben waren, gibt es keine gesonderte Liste, in der die in Schaffhausen angesiedelten Kolonisten aufgeführt sind. Die Gründer von Schaffhausen waren 31 überwiegend aus Hessen und der Pfalz stammende Familien. Viele Kolonisten kamen aus der Stadt Dessau, damals Hauptstadt des Fürstentums Anhalt-Dessau.

Ursprünglich lag die Kolonie am Ufer des Flusses Maly Karaman, wurde dann aber zwei Jahre nach der Gründung trotz bereits fortgeschrittener Bebauung auf Vorschlag der Fürsorgekanzlei an das Ufer der Wolga verlegt, da das am ursprünglichen Siedlungsort vorhandene Land für die landwirtschaftliche Nutzung angeblich ungeeignet war. Auch wenn sich diese Entscheidung letztlich als übereilt erwies und durch die Unkenntnis der natürlichen Gegebenheiten vor Ort bedingt war, wurden 1770 in sieben Siedlungen die bereits errichteten Häuser abgebaut und an andere Orte verlegt. 1785 wurden fünf weitere am Fluss Maly Karaman gelegene Siedlungen vollständig aufgegeben.

Ursprünglich hatten die Kolonien keine eigenen Namen und waren lediglich mit einer Ordnungsnummer versehen. Später waren zur Benennung der Siedlungen oft gleich zwei oder drei Namen gebräuchlich, die wahlweise von den Kolonisten selbst gewählt wurden, sich auf den Namen des ersten Vorstehers bezogen oder russische Flussnamen und charakteristische Landschaftsmerkmale aufgriffen. Die Kolonie Schaffhausen (Wolkowo) bildete in dieser Hinsicht eine Ausnahme, da sie wie auch die Nachbarsiedlungen Basel, Bern, Glarus (Biberstein), Solothurn (Witman), Luzern (Rempler), Zürich (Eckhardt) und Zug (Gattung) nach Schweizer Kantonen benannt war. Dass eine solche Namenswahl dadurch begründet war, dass unter den ersten Siedlern viele Schweizer waren, gehört ins Reich der Legenden, zumal sich in den Quellen kein einziger in diesen Kolonien lebender Schweizer finden lässt. Am wahrscheinlichsten ist die Version, dass Beauregard die Verwaltung der Kolonien nach Schweizer Vorbild zu organisieren gedachte. Der russische Name Wolkowo wurde der Kolonie nach 1915 im Zuge der im Land entfesselten antideutschen Propagandakampagne gegeben. Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen erhielten die Dörfer ihre deutschen Namen zurück. Nur in den ersten Jahren nach der Gründung der Kolonie war der auf den ersten Vorsteher der Kolonie zurückgehende Name Michaelis gebräuchlich. Die Namen der Vorsteher sind überwiegend nicht überliefert. Bekannt ist, dass in den 1790er und 1800er Jahren ein gewisser Krämer Vorsteher war.

Die Kolonisten waren größtenteils im Ackerbau, im Tabakanbau, in der Mehlproduktion sowie in der Seidenraupenzucht tätig. Im Bezirk Nikolajewsk wurden vor allem Weizen, Roggen, Hafer, Gerste und Kartoffeln angebaut. Die jenseits der Wolga im sogenannten Sawolschje-Gebiet gelegenen Siedlungen waren größtenteils auf den Anbau der als besonders fortschrittlich geltenden Weizensorte „Beloturka“ spezialisiert. Im Jahr 1803 bauten die Kolonisten Schneider und Maurer eine zwischen den Kolonien Schaffhausen und Glarus gelegene große Wassermühle. Nach den Daten der Revision von 1834 waren den Kolonisten Landstücke in der Größe von 15 Desjatinen pro Kopf zugeteilt. Mehrere Jahrzehnte zogen sich Rechtsstreitigkeiten zwischen den Kolonisten und den Bauern der Dörfer Rybnoje und Belgorodka bzw. mit den Bauern der Gräfin Wassiljewa hin, die in dem einen Fall Holz in den Wäldern der den Kolonisten gehörenden Ambartowski-Inseln geschlagen hatten und sich im anderen Fall Land angeeignet hatten, auf das auch die Schaffhausener Anspruch erhoben. Schließlich wurden den Kolonisten in den Jahren 1812–32 als Kompensation für die verlorenen Waldstücke andere Landstücke zugewiesen. Nach den Daten der im Jahr 1857 durchgeführten 10. Revision besaßen die zu diesem Zeitpunkt in der Kolonie ansässigen insgesamt 683 männlichen Kolonisten Landstücke in der Größe von etwa 5,3 Desjatinen pro Kopf. Vor dem Hintergrund der Agrarkrise und der massenhaften Übersiedlung der Kolonisten in andere Landesteile wurde in den Jahren 1874–80 im Dorf ein System der Verteilung des Landes auf die vor Ort anwesenden Personen eingeführt.

Die in Schaffhausen ansässigen Kolonisten pflanzten Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht an. Artikel 27 der im Jahr 1800 erlassenen „Instruktion über die innere Ordnung und Verwaltung der Wolgakolonien“ wies die Kolonisten an, „unbedingt Maulbeerbäume anzupflanzen, die den Siedlern zusätzlichen, durch die Seidenproduktion leicht zu gewinnenden Nutzen bringen können“. Ungeachtet der schwierigen klimatischen Bedingungen gab es nach Angaben des Kontors für Ausländische Siedler im Jahr 1837 in allen deutschen Kolonien des Wolgagebiets insgesamt 90 Maulbeerplantagen. 90% der gewonnenen (Roh-) Seide wurden auf den Plantagen der aus der Kolonie Schaffhausen stammenden Brüder Johann-Heinrich und Jakob-Valentin Reck produziert. Die Rohseide wurde auf dem Jahrmarkt in Nischni Nowgorod verkauft. Nach den Daten der „Statistischen Beschreibung des Gouvernements Saratow“ produzierten die Gebrüder Reck, deren Pflanzung etwa 3.000 Bäume umfasste, in den Jahren 1828-35 etwa 46 Pud Seide. Angesichts der rauen klimatischen Bedingungen lohnte sich die Seidenraupenzucht für die Kolonisten allerdings nicht und verlor zunehmend an Bedeutung.

Eine wichtige Rolle spielte für die von den Kolonisten betriebene Landwirtschaft Ende des 18. Jahrhunderts der von der Fürsorgekanzlei für Ausländer aktiv geförderte Tabakanbau. Mit der Zeit fand dieser Zweig der Landwirtschaft in allen 26 von Beauregard gegründeten Kolonien Verbreitung, die zusammen etwa 75% des gesamten im Wolgagebiet angebauten Tabaks produzierten. Während der Tabak in den ersten Jahren vor allem für den Eigengebrauch angebaut und nur in kleineren Mengen an Kalmücken verkauft wurde, wurden im Jahr 1857 in den im Gouvernement Samara gelegenen Bezirken Nikolajewsk und Nowousensk bereits 460.000 Pud Tabakblätter geerntet. Der Tabakanbau stellte eine der Haupteinnahmequellen der Kolonisten dar, da sie die Tabakblätter angesichts der in Russland nur schwach entwickelten Tabakproduktion über Zwischenhändler erfolgreich in Moskau, Petersburg, Astrachan und in der Ukraine verkaufen konnten. Mit der Zeit sahen sich die Kolonisten allerdings zunehmend mit Absatzschwierigkeiten konfrontiert, da die Kaufleute ihre Monopolstellung nutzten, um die Preise zu drücken, woraufhin sie dazu übergingen, nur noch für den regionalen Markt zu produzieren, oder den Tabakanbau ganz einstellten. Nichtsdestotrotz gab es in Schaffhausen noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts eine Tabakfabrik.

In wesentlich geringerem Umfang als in der Landwirtschaft waren die Schaffhausener Kolonisten in Handwerk und Gewerbe tätig. Unter den von den Bewohnern Schaffhausens ausgeübten Gewerben nahm das Stroh- und Korbflechten eine besondere Rolle ein, das sich mit der Zeit zu einem lukrativen Erwerbszweig entwickelte. Ende des 19. Jahrhunderts waren Dutzende Frauen in Heimarbeit mit der Herstellung von Körben, Hüten und anderen aus Stroh gefertigten kunsthandwerklichen Erzeugnissen beschäftigt, die in großen Mengen von geschäftstüchtigen Zwischenhändlern aufgekauft und in den großen Städten verkauft wurden. Nach den Daten des Zentralen Statistik-Komitees gab es in der Kolonie 1859 171 Höfe und einen regelmäßig stattfindenden Markt. Nach Angaben des Gouvernements-Statistik-Komitees Samara gab es im Jahr 1910 eine erste mit einem Benzinmotor betriebene Mühle.

Im Winter 1921/22 wurde das Autonome Gebiet der Wolgadeutschen von einer verheerenden Hungersnot heimgesucht, die durch die wenig durchdachte Politik der Bolschewiki, Aufstände und Bandenwesen provoziert war. Als sich im Frühjahr 1921 zahlreiche deutsche Dörfer gegen die Sowjetmacht erhoben und weite Teile des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen in die Hände der Aufständischen fielen, wurde der Weg nach Schaffhausen als dem nördlichsten Dorf des Gebiets von Roten Einheiten abgeschnitten, so dass der Aufstand das Dorf nicht erreichte. Ungeachtet der ausbrechenden Hungersnot gingen die Lebensmittelbeschlagnahmungen im Dorf weiter. 1921 wurde der Vorsitzende des Schaffhausener Sowjets Gujo verhaftet, weil er „die Arbeit zur Eintreibung der Lebensmittelsteuer schlecht organisiert“ hatte. In den Jahren der Sowjetmacht gab es im Dorf einen Genossenschaftsladen, eine landwirtschaftliche Kooperativ-Genossenschaft und eine Lesehütte. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Wolkowo trägt.

Schule und Erziehungswesen. In der Kirchenschule, die im Dorf praktisch seit Gründung der Kolonie selbst bestand, lernten Kinder im Alter von 7-15 Jahren. Bis zum Bau der ersten Kirche im Jahr 1832 fanden Gottesdienste und Schulunterricht im gleichen Gebäude des Schul- und Bethauses statt. Die Namen der in der Kolonie tätigen Schulmeister sind größtenteils nicht überliefert. Bekannt ist, dass in den 1820er Jahren der Kolonist Axt Schullehrer war. Mitte des 19. Jahrhunderts (vor 1859) wurde in der Kolonie eine weitere kirchliche Gemeindeschule gegründet, da die alte Kirchenschule schon nicht mehr allen Kindern Platz bot. In den 1880er Jahren wurde im Dorf eine Semstwo-Schule gegründet.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 776 der über 4.000 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten nicht alle Kinder im schulpflichtigen Alter auch wirklich eine Schule. 421 (!) Kinder blieben dem Unterricht fern, da ihre Eltern arm und auf die tägliche Mithilfe ihrer Kinder in Handwerk oder Gewerbe angewiesen waren. Im Jahr 1906 besuchten 90 Jungen und 23 Mädchen die Semstwo-Schule, an der zwei Lehrer tätig waren. In der Kirchenschule lernten 102 Jungen und 132 Mädchen bei ebenfalls zwei Lehrern. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. In sowjetischer Zeit wurden alle vor der Revolution bestehenden Schulen geschlossen und zu einer Grundschule zusammengelegt.

Nach der im Herbst 1941 vollzogenen Deportation der Deutschen wurde im Gebäude der deutschen Schule ein Internat für aus Moskau evakuierte Schüler untergebracht. Nach ihrer Ankunft in Schaffhausen halfen die Lehrer, Erzieher und Schüler des Internats den wenigen verbliebenen Dorfbewohnern bei der Einbringung der Ernte, putzten in den leerstehenden deutschen Häusern das Getreide und holten Möhren, Rüben, Mais und Tabakpflanzen vom Feld, die die Deutschen zurückgelassen hatten. Das Internat bestand bis März 1943.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Die Kolonisten waren lutherischer und reformierter Konfession. Bis 1780 wurde die Gemeinde Schaffhausen von den Pastoren aus Katharinenstadt mitbetreut. 1780 wurde der evangelisch-lutherische Pfarrsprengel Böttinger (Baratajewka) gegründet, zu dem bis in die 1930er Jahre die Gemeinden Schaffhausen, Baratajewka, Glarus, Basel und die reformierte Gemeinde Zürich sowie bis 1820 die Kolonien Unterwald, Susannental, Baskakowka, Rjasanowka, Brockhausen und Hockenberg gehörten, die nach 1820 dem Pfarrsprengel Näb (Rjasanowka) angeschlossen wurden.

Wann genau in der Kolonie das erste Gotteshaus gebaut wurde, ist nicht überliefert. Aufgrund der vorhandenen Archivdokumente lässt sich lediglich sagen, dass die Kolonisten ihre Gottesdienste in den ersten Jahren im Schul- und Bethaus abhielten. Der Bau einer Kirche begann erst im Jahr 1828. Das Bauprojekt wurde im Auftrag des Fürsorgekontors von dem Kolonisten Heinrich Reck geleitet, einem erfolgreichen Unternehmer und Mitglied des Kirchenrats, der im Dorf einen Laden führte und sein Vermögen mit dem Anbau von Tabak erworben hatte. Er war zugleich Hauptspender und Organisator der für den Kirchenbau bestimmten Spendensammlung. Die im Jahr 1832 errichtete Schaffhausener Steinkirche hatte den Status einer Filialkirche und bot 700 Gläubigen Platz. Die Trinitatis-Kirche war die erste im gesamten Wolgagebiet errichtete deutsche Steinkirche.

Im Jahr 1833 schrieb der hochrangige Beamte des Innenministeriums Staatsrat Pjotr Aleksejewitsch Schlykow in dem von ihm verfassten „Überblick über die Saratower Kolonien“: „Zum Lob der Saratower Kolonisten muss gesagt werden, dass sie sich sehr fürsorglich um die Kirchen in ihren Kolonien kümmern und dabei miteinander wetteifern. Ihre Kirchen sind sowohl in den lutherischen als auch in den katholischen Kolonien in einem guten Zustand. In jüngster Zeit wurden anstelle der alten bis zu dreißig neue Kirchen errichtet, unter denen auch drei Steinkirchen sind: in der Kolonie Schaffhausen, wo der Bau in diesem Jahr unter Einhaltung aller Normen der Architektur und Statik schon vollständig abgeschlossen ist, in der Kolonie Tonkoschurowka, wo der Bau vor dem Abschluss steht, und in Boisroux, wo der Bau in diesem Sommer beginnt.“ Die neue Schaffhausener Kirche gehörte in der Tat zu den einzigen drei zu dieser Zeit in den Kolonien errichteten Steinkirchen. Auch wenn die Schaffhausener Kirche von nicht eigens dafür ausgebildeten örtlichen Handwerkern gebaut wurde, war sie doch ein herausragendes Beispiel der deutschen Kolonistenarchitektur. Zeitgenossen nannten die Kirche „erhaben“. Ihre elegante von einem massiven Kreuz gekrönte Silhouette war für jeden, der sich von der Steppe oder der Wolga her dem Dorf näherte, schon von weit her zu sehen.

Im Jahr 1897 kauften die Bewohner der Tochterkolonie Rosendamm (Morzy) den Schaffhausener Kolonisten den Holzbau ihres alten Bethauses ab, woraufhin in Schaffhausen der Bau eines neuen Backsteingebäudes für das Schul- und Bethaus begann.

Angesichts ihres Einflusses nicht nur auf die geistliche Entwicklung, sondern auch auf die gesamte innere Organisation der Kolonie prägte die lutherische Kirche praktisch alle Lebensbereiche der Gemeinde. Gemäß der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestätigten „Instruktion der kolonistischen Geistlichkeit“, mit deren Inhalt sich alle Geistlichen bei Dienstantritt bekannt machen mussten, waren diese nicht nur dazu verpflichtet, z.B. die Kirchenbücher zu führen, sondern mussten auch in der Landwirtschaft tätig sein und Seidenraupenzucht betreiben.

Die Geistlichen leisteten auch aktive Wohltätigkeit. Zur Zeit des Russisch-Osmanischen Kriegs von 1877/78 organisierte Pastor Gotthilf Heinrich Keller in den Gemeinden des Pfarrsprengels die Sammlung von 1.500 Pud von den Kolonisten angebauten Tabaks und schickte ihn über den Gouverneur von Saratow direkt zur kämpfenden Truppe. Viele Pastoren leisteten auch als Ärzte, Tierzüchter oder Agronomen herausragende Arbeit. Die zum Pfarrsprengel gehörenden Kirchengemeinden waren verpflichtet, die Pastoren entsprechend der in der Berufungsurkunde festgehaltenen Bedingungen zu unterhalten. Anfang des 20. Jahrhunderts stellte die Gemeinde Schaffhausen dem Pastor über die Entlohnung in Höhe von 1.700 Rubeln hinaus Brennholz sowie 600 Pud Heu und 400 Pud Hafer pro Jahr bereit. Darüber hinaus erhielt der Pastor ein Jahressalär in Höhe von 171,6 Rubeln aus der Staatskasse und hatte Einnahmen aus dem Vollzug kirchlicher Zeremonien: Taufe, Konfirmation, Trauung und Begräbnis kosteten jeweils 15, 30, 60 bzw. 15 Kopeken. 1896 wurde in Schaffhausen der spätere Pastor Johann Seydlitz geboren, der im Wolgadorf Paulskoje (1917–1928) und im ukrainischen Zürichstal (1927–1933) diente. 1934 wurde Seydlitz wegen angeblicher konterrevolutionärer Tätigkeit repressiert.

Nach der Etablierung der Sowjetmacht war Schaffhausen eine von vier deutschen lutherischen Gemeinden des Wolgagebiets (neben Susannental, Hockerberg und Gnadenflur), in denen die Kirchengemeinde ihre Einheit bewahrte und sich keine Sektengruppierungen bildeten. In allen anderen lutherischen Dörfer gab es Gruppen der „Betbrüder“, die eigene Gottesdienste abhielten, oder Anhänger der von der offiziellen Kirche abgespaltenen sogenannten Lebendigen Kirche. 1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass die Kirche in Schaffhausen zwar schon geschlossen sei, es aber im Dorf immer noch 525 Gläubige gebe, von denen einer den Status eines „Lischenez“ habe, ihm also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren. Im ganzen Land wurden der letzte Nachhall der Religion ausgemerzt. Der letzte Pastor der Gemeinde Ch.O. Hörschelmann emigrierte 1933 angesichts drohender Repressionen nach Deutschland. Am 1. Juni 1934 wurde die Schaffhausener Kirche zu einem Schulgebäude umfunktioniert.

Liste der Pastoren

Pastoren der Pfarrgemeinde Süd-Katharinenstadt, die in Schaffhausen lutherischen Gottesdienst hielten: Ludwig Baltasar Wern(m)borner (1768–76), Gottlieb May (1778–90). Pastoren der Pfarrgemeinde Nord-Katharinenstadt, die in Schaffhausen reformierten Gottesdienst hielten: Johann Georg Herwig (1768–69), Hartmann von Moos (1779–80). Pastoren der Pfarrgemeinde Böttinger, die in Schaffhausen Gottesdienst hielten: Christian August Tornow (1780–91), Klaus Peter Lundberg (1792–97). Adam Christian Paulus Kohlreiff (1803–20), Olivier Christoph Holm (1820–22), Johann Pundani (1823–61), Christian Johann Bauer (1861–62). Hieronymus Ludwig Münder (1862–76). Gotthilf Heinrich Keller (1877–78). Ernst Theodor David (1879–89). Richard Keller (1890–1907), Christfried Otto Hörschelmann (1908–33).

Entwicklung der Einwohnerzahlen

1769 lebten in Schaffhausen 87 ausländische Kolonisten, 1773 waren es 153, 1788 - 217, 1798 - 277, 1816 - 485, 1834 - 885, 1850 – 1.191, 1859 – 1.349 und 1889 – 2.241 Personen. Nach den Daten der Volkszählung von 1897 hatte Schaffhausen 2.597 Einwohner, von denen  2.595 Deutsche waren. Im Jahr 1905 hatte das Dorf 4.005 und im Jahr 1910 4.137 Einwohner. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 lebten in Schaffhausen 3.439 Personen. 1921 gab es im Dorf 203 Geburten und 626 Sterbefälle. Nach den Daten des Gebietsamts für Statistik des Gebiets der Wolgadeutschen hatte Schaffhausen nach Stand zum 1. Januar 1922 eine Einwohnerzahl von 2.572 Personen, die bis 1923 auf 2.352 sank. Nach den Daten der Volkszählung von 1926 gab es im Dorf 447 Haushalte (davon 441 deutsche) mit einer Gesamtbevölkerung von 2.329 Personen (1.093 Männer und 1.236 Frauen), von denen 2.286 Deutschen waren (1.041 Männer und 1.227 Frauen). 1931 hatte das Dorf  3.211 Einwohner, von denen 3.194 Deutsche waren.

Das Dorf heute

Heute Dorf Wolkowo, Rayon Marx, Gebiet Saratow. Das Dorf ist noch immer überaus schön gelegen. Aus den Weiten der linksufrigen Steppe eröffnet sich eine malerische Aussicht auf das gegenüberliegende hüglige Wolgaufer. Im Dorf, das heute nur noch etwa die Hälfte der Fläche des vorrevolutionären Schaffhausen einnimmt, sind nur einige wenige authentische deutsche Holz- und Steinbauten erhalten. Der größere Teil der alten Architektur wurde entweder umgebaut oder dem Verfall überlassen. Vom früheren repräsentativen architektonischen Erscheinungsbild ist im heutigen Dorf nur noch wenig geblieben. Nur mit Mühe lässt sich im heutigen Wolkowo das von Handel und Handwerk geprägte deutsche Großdorf erahnen, das Schaffhausen früher war. Der ringsum mit öffentlichen Gebäuden bebaute zentrale Dorfplatz, an dem früher eine der schönsten Kirchen des Wolgagebiets stand, existiert nicht mehr.

Von der Kirche, die zu den ältesten erhaltenen lutherischen deutschen Backsteinkirchen gehört, sind heute nur noch die Seitenwände erhalten, die schutzlos Wind, Regen und Schnee ausgesetzt sind und mit jedem Jahr weiter verfallen. Noch vor wenigen Jahren war der über das Hauptportal gespannte mittlerweile eingestürzte Torbogen erhalten. Zu seiner Rechten sind immerhin noch einige Stuck- und Ornamentreste zu sehen. Der Innenraum der Kirche, der einmal 700 Gläubigen Platz bot, ist heute mit Bäumen und dichtem Gestrüpp zugewuchert. Wo früher der zentrale Dorfplatz war, über den die Gemeindemitglieder täglich zum Gottesdienst eilten, ist heute der Ortsrand des Dorfes, dessen Einwohnerzahl auf ein Zehntel geschrumpft ist.

Neben der Kirche war das Schul- und Bethaus gelegen, das heute kaum mehr als ein Haufen Steine ist. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren dort die Schule, ein Laden und eine Medizinische Versorgungsstation untergebracht. Das Gebäudeinnere und der Dachstuhl wurden vor einigen Jahren bei einem Brand zerstört. Heute verfällt das Gebäude. Die örtlichen Anwohner erinnern sich des deutschen Erbes, wenn sie die alten deutschen Steine als zuverlässiges Baumaterial nutzen, das so auch noch nach Hundert Jahren treue Dienste leistet.

Literatur

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Archive

Archive: ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. Д. 95, 3437, 3495, 11642, 14566; Оп. 5. Д. 1, 7, 9, 10; Ф. 637. Оп. 22. Д. 112–114а; ГИАНП. Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 57–66; Д. 890. Л. 36; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 299. Л. 62; Оп. 2. Д. 4.

Autoren: Lizenberger O.A.

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