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SCHÖNTAL (Schenopol, Dolinskoje, Dolskoje), heute Dorf Dolina, Rayon Fjodorowka, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie in der Steppenregion des linksufrigen Wolgagebiets

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Frühere Kirche von Schöntal (Dolina). Heute nicht mehr erhalten. Foto aus den 1950er Jahren.
Gebäude des früheren Schul- und Bethauses in Schöntal (Dolina). Heute nicht mehr erhalten. Foto aus den 1950er Jahren.
Blick auf das Dorf Dolina. Foto Je. Moschkow, 2010.
Ortseinfahrt nach Dolina. Foto Je. Moschkow, 2010.
Dolina. Foto Je. Moschkow, 2010.

SCHÖNTAL (Schenopol, Dolinskoje, Dolskoje), heute Dorf Dolina, Rayon Fjodorowka, Gebiet Saratow; in der Steppenregion des linksufrigen Wolgagebiets am linken Ufer des Flusses Jeruslan, 39 Werst nordöstlich von Krasny Kut gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk [Wolost] Werchni Jeruslan (Bezirk [Ujesd] Nowousensk, Gouvernement Samara). Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war das Dorf Schöntal bis 1941 Verwaltungszentrum des im Kanton Krasny Kut gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets.

Die deutsche Kolonie Schöntal wurde 1857 von Kolonisten gegründet, die zuvor in den rechtsufrigen Mutterkolonien Jagodnaja Poljana (heute Jagodnaja Poljana, Rayon Tatischewo, Gebiet Saratow), Pobotschnoje (heute nicht mehr bewohnte Ortschaft, Rayon Tatischewo, Gebiet Saratow), Kutter (Popowka, heute Dorf Karamysch, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow) und Schilling (heute Dorf Sosnowka, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow) gelebt hatten und vor allem wegen des dort herrschenden Landmangels in die Tochterkolonien übergesiedelt waren.

1858 prüfte das Fürsorgekontor die Frage „Über die Benennung der neuen Kolonien Gnadenfeld, Rosenfeld, Marienburg, Schönfeld […]“. Der Name der Kolonie geht wörtlich auf die Wortteile „schön“ und „Tal“ zurück. An die Übersetzung des zweiten Teils des deutschen Dorfnamens ist auch der russische Name der Kolonie Dolina (vom russischen Wort „dolina“ – Tal) angelehnt, den die Kolonie 1916 im Zuge der im Land entfesselten antideutschen Propagandakampagne erhielt. Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen erhielten die Dörfer ihre alten deutschen Namen zurück.

1857 lebten im Dorf 162 Familien, die über insgesamt 6.405 Desjatinen Land verfügten. Die Kolonisten waren vor allem im Ackerbau tätig und auf den Anbau von Weizen spezialisiert, der auf einer etwa drei Mal so großen Anbaufläche wie Roggen angebaut wurde. Als die Wolgakolonien in den Jahren 1891/92 von einer Hungersnot heimgesucht wurden, geriet Schöntal wie viele andere Städte und Dörfer der Region in eine Notlage. So wandte sich der Amtsbezirksälteste von Werchni Jeruslan (Bezirk Nowousensk) im Januar 1892 mit der Bitte an die Semstwo-Führung, in Schöntal und anderen nahegelegenen Dörfern des Bezirks kostenlose Hungerküchen einzurichten. 1892 waren in Schöntal 142 Familien (insgesamt 760 Personen im Alter von über einem Jahr) vom Hunger betroffen, wobei auf 168 arbeitsfähige Männer 593 Alte, Frauen und Kinder kamen. Die betroffenen Familien hatten insgesamt 63 Pferde, 57 Kühe und fünf Schafe. Alle übrigen Tiere und das gesamte Kleinvieh waren bereits geschlachtet.

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es im Dorf 338 Höfe. In den Jahren der Sowjetmacht gab es in Schöntal eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft, einen Genossenschaftsladen und eine Lesehütte. Im Juli-August 1928 wurde im Dorf eine Traktorenkolonne organisiert und 1930 eine Maschinen-Traktoren-Station eingerichtet. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert.

Schule und Erziehungswesen. In der in Schöntal praktisch seit Gründung der Kolonie selbst bestehenden Kirchenschule lernten Kinder im Alter von 7-15 Jahren. Mit steigenden Schülerzahlen wurde die Kirchenschule dem Ministerium unterstellt. Im Jahr 1860 stellte das Fürsorgekontor Mittel für den „Ankauf eines Schulhauses in der Kolonie Schöntal“ bereit. Bis zum Bau der ersten Kirche im Jahr 1897 fanden Gottesdienste und Schulunterricht im gleichen Gebäude des Schul- und Bethauses statt. Nach Abschluss des Kirchenbaus beschloss die Kirchengemeinde um die Jahrhundertwende, auf eigene Kosten auch ein neues Schul- und Bethaus zu errichten. Die Schöntaler entschieden sich für den Entwurf eines eleganten Holzbaus mit zentralem Haupteingang und beidseitig vorstehenden, mit eleganten Schnitzarbeiten geschmückten Seitenflügeln, der zeitgleich auch im benachbarten Schöndorf umgesetzt wurde. Die beiden baugleichen Schulgebäude in Schöndorf und Schöntal gehörten zu jener Zeit zu den originellsten in den umliegenden deutschen Kolonien errichteten Bauten.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde im Dorf eine Semstwo-Schule gegründet, in der die Kinder in zwei Klassenzügen drei Jahre lernten. Die den Semstwos unterstellten Elementarschulen waren im Vergleich zu den kirchlichen Gemeindeschulen besser mit Lehrmaterial ausgestattet und boten einen umfassenderen Lehrplan. Neben Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen und Gesang vermittelten die in den Semstwo-Schulen tätigen Lehrer den Schülern auch Elementarkenntnisse in Naturkunde, Geographie und Geschichte.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 500 der fast 2.866 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Im Unterschied zu vielen anderen deutschen Siedlungen besuchten in Schöntal alle Kinder die Schule. 1906 besuchten 90 Jungen und 7 Mädchen die Semstwo-Schule, an der zwei Lehrer tätig waren. In der Kirchenschule lernten 152 Jungen und 251 Mädchen bei ebenfalls zwei Lehrern (dem Schulmeister und dem Russischlehrer). Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. 1910 kam Johann Weiss als zweiter für die deutschsprachigen Fächer zuständiger Lehrer an die Kirchenschule. In den Jahren der Sowjetmacht wurde die Kirchenschule geschlossen und durch eine Grundschule ersetzt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischer Konfession. Nach Stand zum Jahr 1905 waren 2.423 der insgesamt 2.728 Dorfbewohner Lutheraner und die übrigen 305 Reformierte. In den Jahren 1864-1905 gehörte die evangelisch-lutherische deutsche Gemeinde der Kolonie Schöntal zum seit dem 22. Juli 1864 bestehenden Pfarrsprengel Schöndorf (heute Dorf Repnoje, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow). Als dieser im Jahr 1905 in die beiden Pfarrsprengel Schöntal (heute Dorf Dolina, Rayon Fjodorowka, Gebiet Saratow) und Hoffental (heute Dorf Schdanowka, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow) geteilt wurde, wurde das Dorf Schöntal zum Zentrum des am 13. Mai 1905 bestätigten neuen Pfarrsprengels, zu dem auch die deutschen Siedlungen Schöndorf, Schönfeld und Jagodnoje gehörten. Im Jahr 1905 lebten im Pfarrsprengel Schöntal 7.891 Gemeindemitglieder.

In den ersten 40 Jahren nach der Gründung der Kolonie fanden die Gottesdienste im Gebäude des Schul- und Bethauses statt. Am 5. August 1896 erteilte der Innenminister der Gemeinde Schöntal die Genehmigung zum Bau einer eigenen Kirche. Noch im gleichen Jahr begannen am Ort des alten Bethauses die Bauarbeiten. Das auf einem Fundament aus rotem Backstein und Naturstein errichtete Kirchengebäude, das ohne Vorbau eine Länge von 42,6 m aufwies, wurde 1897 fertiggestellt und geweiht. Das im Stil des Klassizismus errichtete Gotteshaus galt unter den Zeitgenossen weit über die Kolonie Schöntal hinaus als eines der schönsten der Gegend, zumal es in den Nachbarkolonien Schöndorf, Schönfeld und Jagodnoje 1897 nur einfache Bethäuser gab. Die Kirche faszinierte durch Größe, Formen und Proportionen. Die Wände waren mit Kiefernholz verschalt. Über dem Vorbau erhob sich ein 44,7m hoher Turm. Die Kirche bot Platz für 1.000 Gläubige. Eine architektonische Besonderheit der Schöntaler Kirche, die sie von vielen anderen lutherischen Kirchen der Region unterschied, bestand darin, dass die Seitenfassaden nicht von Säulen geschmückt waren. Im Altarraum hingen drei Ölbilder - „Geburt Christi“, „Auferstehung“ und „Christi Himmelfahrt“. Auf dem Kirchplatz stand ein freistehender hölzerner Glockenstuhl, in unmittelbarer Nähe befand sich der Backsteinbau des Schul- und Bethauses.

Die Schöntaler Kirche wurde deutlich früher gebaut als die Kirchen der Nachbarkolonien. In den Dörfern des Pfarrsprengels Schöndorf, zu dem auch die Kolonie Schöntal gehörte, gab es zu dieser Zeit keine anderen Kirchen. Das Zentrum des Pfarrsprengels Schöndorf war 1905 mit 1.753 Einwohnern deutlich kleiner als das 2.728 Einwohner zählende Schöntal. Angesichts der deutlich geringeren Einwohnerzahl der zentralen Pfarrgemeinde und der eigenen repräsentativen Kirche machte sich die Gemeinde in Schöntal Hoffnungen, selbst Zentrum des Pfarrsprengels und dauerhafter Wohnsitz des Pastors zu werden, was im Jahr 1905 schließlich auch gelang.

Mit der Etablierung der Sowjetmacht wurden im Land zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, die den Einfluss der Kirche auf Staat und Gesellschaft beseitigen und in letzter Konsequenz der Tätigkeit aller Konfessionen ein Ende setzen sollte. Die kirchenfeindliche Politik ging mit der Schließung von Gotteshäusern und gegen die Geistlichen gerichteten Repressionen einher. Im Jahr 1925 emigrierte Pastor Karl Zimmer nach Deutschland. Sein Nachfolger Georg Schwartz stand, wie aus Archivdokumenten hervorgeht, unter ständiger Beobachtung der sowjetischen Sicherheitsorgane. In einem Bericht der regionalen Kommission zur Prüfung religiöser Angelegenheiten wird er als „Lischenez“, also Person der das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren, und „arglistiger Kirchensteuerverweigerer“ ausgewiesen. Aus den aufgrund eines entsprechenden Rundschreibens des NKWD der ASSR der Wolgadeutschen vom 13. Dezember 1929 zusammengestellten Listen der Geistlichen und Mitglieder der Kirchenräte geht hervor, dass es in Schönfeld nach Stand zum 15. April 1930 457 regelmäßige Kirchgänger gab. Besonders aktive Gemeindemitglieder waren I.G. Krom, I.F. Müller, und P. Stuckert. Die Zahl der Gläubigen ging praktisch mit jedem Tag unaufhaltsam zurück, die Aktivitäten der Gemeinde standen unter ständiger Kontrolle von Seiten der Organe der Staatsmacht.

Ihren Höhepunkt erreichte die antireligiöse Politik nach der im Jahr 1929 erfolgten Annahme der Beschlussfassung „Über die religiösen Vereinigungen“ durch das Allrussische Zentralexekutivkomitee und den Rat der Volkskommissare, durch die die Tätigkeit der religiösen Gemeinschaften weitgehend eingeschränkt wurde. 1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass es in Schöntal noch 2.150 lutherische Gläubige gebe, von denen 58 den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren. Im August 1934 gingen bei den Machtorganen erneut geheime Informationen ein, denen zufolge die Kirche in Schöntal noch immer nicht geschlossen war. Das Präsidium des Zentralexekutivkomitees ordnete an, die Frage einer schnellstmöglichen Kirchenschließung zu prüfen. Anfang 1935 stellte die Kommission für Kultfragen Listen der in Schöntal ansässigen Gläubigen zusammen, die die Unterschriften jener enthielten, die sich mit einer Schließung der Dorfkirche einverstanden erklärten. Am 26. April 1935 fasste das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen den Beschluss, die Kirche in Schöntal zu schließen, und empfahl, das Gebäude für kulturelle Zwecke zu nutzen.

Liste der Pastoren

Pastoren der Pfarrgemeinde Schöndorf, die in Schöntal Gottesdienst hielten. Nikolai Reinhold Sprekelsen (1865–1904). Pastoren der Pfarrgemeinde Schöntal: Andreas Gö(o)rne (1906–08), Karl Zimmer (1908–11), Johann Georg Schwartz (1912–32).

Entwicklung der Einwohnerzahlen

1859 lebten in Schöntal 873 Personen, 1883 waren es 1.453, 1889 – 1.652 Personen. 1877 wanderten 49 Dorfbewohner nach Amerika aus. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reichs von 1897 hatte Schöntal 2.037 Einwohner, von denen 1.996 Deutsche waren. Im Jahr 1905 lebten im Dorf 2.728 Personen und 1910 2.897 Personen. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 hatte Schöntal 2.573 Einwohner, von denen ausnahmslos alle Deutsche waren. 1921 gab es im Dorf 106 Geburten und 367 Sterbefälle. Nach den Daten des Gebietsamts für Statistik des Gebiets der Wolgadeutschen hatte das Dorf nach Stand zum 1. Januar 1922 1.990 und 1923 nur noch 1.708 Einwohner. Nach den Daten der Volkszählung von 1926 betrug die Gesamtbevölkerungszahl 1.981 Einwohner, von denen 1.956 Deutsche waren. 1931 hatte das Dorf 2.498 Einwohner, von denen 2.444 Deutsche waren.

Das Dorf heute

Heute Dorf Dolina, Rayon Fjodorowka, Gebiet Saratow. Das Dorf Dolina ist heute sowohl nach der Fläche als auch nach der Einwohnerzahl deutlich kleiner als in der vorrevolutionären Zeit seiner Geschichte. Auch wenn sich im heutigen Dolina nur noch mit Mühe typische Zeugnisse der deutschen Architektur finden lassen, besteht der alte deutsche Grundriss des Dorfes bis heute fort. Einige wenige Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete Holzbauten mit charakteristischem Walmdach sind noch erhalten. Die meisten deutschen Wohnhäuser wurden jedoch bereits vor langer Zeit abgerissen, verklinkert oder vollständig umgebaut.

Das Kirchengebäude ist heute nicht mehr erhalten. Am zentralen Dorfplatz, an dem sich früher Kirche und Pfarrhaus befanden, wurde 1980 der gesichtslose Bau der Allgemeinbildenden Mittelschule des Dorfes Dolina errichtet. Im Schuljahr 2011/12 hatte die Schule 159 Schüler und 17 Lehrer. Zugleich gehört Dolina zu den wenigen früheren deutschen Dörfern, in denen dank des Engagements von Bewohnern, Geistlichen, privaten Geldgebern und Handwerkern ein christliches Gotteshaus wiederaufgebaut wurde. Der Bau der Kirche des Heiligen Nikolaus von Myra wurde im Herbst 2010 begonnen. Am 12. Mai 2011 wurde aus Anlass der Grundsteinlegung ein feierlicher Gottesdienst begangen.

Literatur

Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Савченко И.А., Дубинин С.И. Российские немцы в Самарском крае. Историко-краеведческие очерки. – Самара, 1994; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988; Deutsche Volkszeitung. – 31. Oktober 1910. – №114.

Archive

Archive: ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. Д. 321, 340; Ф. 852. Оп. 1. Д. 137. Л. 18; Д. 148. Л. 45; Ф. 637. Оп. 38. Д. 66; ГИАНП. Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 71, 81; Д. 890. Л. 36; Оп. 3. Д. 206. Л. 2; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 299. Л. 54.

Autoren: Lizenberger O.A.

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