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STAHL (Stahl am Karaman, Swonarjow Kut, Stalskij), heute Swonarjowka, Rayon Marx, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie im linksufrigen Wolgagebiet

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Swonarjowka. Früheres Schulgebäude. Foto Je. Moschkow, 2010.
Auf Staatskosten errichtetes Haus von Philipp Oberdorfer. Aufnahme aus dem Jahr 1908.
Swonarjowka. Gebäudefragment. Foto Je. Moschkow, 2010.
Swonarjowka. Früheres Schulgebäude und Haus des Schulmeisters (heute als Geschäft genutzt). Foto Je. Moschkow, 2010.
с. Звонарёвка. Бывшая евангелическо-лютеранская церковь. Фото 1960-х гг.

STAHL (Stahl am Karaman, Swonarjow Kut, Stalskij), heute Swonarjowka, Rayon Marx, Gebiet Saratow; im linksufrigen Wolgagebiet am rechten Ufer des Flusses Bolschoj Karaman, 406 Werst von Samara, 36 Werst von Saratow, 180 Werst von der Bezirksstadt Nowousensk und acht Werst vom Zentrum des Amtsbezirks Krasny Jar gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk [Wolost] Krasny Jar (Bezirk [Ujesd] Nowousensk, Gouvernement Samara).

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war das Dorf Stahl bis zur Auflösung der ASSR der Wolgadeutschen im Jahr 1941 Verwaltungszentrum des gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 neben dem Dorf Stahl die Vorwerke Metschetka und Dreißigergraben sowie Fruktowye Sady und Lesnaja Storoschka gehörten. In den Jahren 1922-27 gehörte Stahl zum Kanton Krasny Jar (Republik der Wolgadeutschen). Im Zuge der Ende 1927 in der ASSR der Wolgadeutschen vollzogenen Gebiets- und Verwaltungsreform wurde der Kanton Krasny Jar durch die Beschlussfassung des Zentralexekutivkomitees der RSFSR „Über Änderungen der administrativen Aufteilung der ASSR der Wolgadeutschen und die Wiedereinführung der vor 1914 bestehenden Ortsnamen in den deutschen Siedlungen“ aufgelöst und das Dorf Swonarjow Kut (Stahl) an den Kanton Marxstadt angeschlossen. 1935 wurde der Kanton Krasny Jar wiedererrichtet.

Die deutsche Siedlung Stahl wurde am 9. Juli 1766 als Kronkolonie gegründet. Ihren Namen erhielt sie zu Ehren des Kolonisten Jakob Stahl, eines aus Württemberg stammenden 39-jährigen Ackerbauern, der mit seiner 48-jährigen Frau Agata in die Kolonie gekommen war und nach der Ansiedlung der Kolonisten zum Vorsteher gewählt wurde. In den Listen der ersten Kolonisten wird als Vorsteher Friedrich Tröger genannt, ein 34-jähriger Ackerbauer aus Stuttgart, der noch während der Überfahrt nach Russland zum Ältesten bestimmt worden war und nach der Ankunft am Siedlungsort bestätigt wurde. Der Name Stahl am Karaman geht auf die Lage am Fluss Karaman zurück und diente der Unterscheidung von der gleichnamigen Kolonie Stahl am Tarlyk (Stepnoje). Der offizielle russische Name Swonarjow Kut wurde der Stadt aufgrund des die Benennung der Kolonien regelnden Erlasses vom 26. Februar 1768 gegeben.

Die Gründer von Stahl waren 44 aus Schwaben, Württemberg, Franken, Sachsen, Preußen und anderen deutschen Ländern stammende Familien. Die ersten Kolonisten waren ausnahmslos alle Lutheraner.

Unter den ersten 49 Kolonisten waren 13 Zunfthandwerker (unter dieser Bezeichnung wurden bei der Zusammenstellung der Listen der ersten Siedler die Angehörigen nicht landwirtschaftlicher Berufe geführt) und ein Jäger. Die überwiegende Mehrheit der ersten Übersiedler waren Ackerbauern.

Die ersten Jahre des Bestehens der Kolonie werden ausführlich in den Erinnerungen des 1775 nach Stahl gekommenen Schulmeisters Johann Georg Möhring beschrieben, dessen Lebensgeschichte idealtypisch für Tausende der ersten Kolonisten steht. Seinen Memoiren ist zu entnehmen, dass er im Februar 1766 von Anwerbern geworben worden war und sich schon im April des gleichen Jahres auf den langen und entbehrungsreichen Weg gemacht hatte. Im August 1766 war seine erste Frau wie viele andere Übersiedler auf dem Weg in die Kolonie in Nischni Nowgorod gestorben. Erst ein ganzes Jahr später erreichten die Kolonisten im August 1767 das Wolgagebiet, wo Möhring der Kolonie Jost (Popowkina) zugeteilt wurde. In aller Ausführlichkeit beschreibt Möhring die Überfälle der Kirgis-Kaisaken, denen die Kolonie ausgesetzt war – turkstämmiger Nomadenstämme, die ihre angestammte Ordnung bewahrt hatten und aus der Steppe heraus immer wieder Überfälle auf die linksufrigen Wolgasiedlungen unternahmen, von denen die deutschen Kolonien nach Aussage Möhrings schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden: Die Kirgisen nahmen Kolonisten gefangen, brandschatzten und töteten jeden, der sich ihnen in den Weg zu stellen wagte. Die russische Regierung, die sich der verheerenden Folgen der Überfälle bewusst war, zog im Jahr 1766 Gräben, Wälle und Befestigungsanlagen um die Kolonien und stellte reguläre Truppeneinheiten ab, um die Steppengrenzen zu sichern.

1774 waren die Kolonien zudem Überfällen der Truppen Je. Pugatschows ausgesetzt, die mit Raub, Gewalt und Totschlag einhergingen. „In den auf der Wiesenseite gelegenen Siedlungen wurden bei dem Einfall des Übeltäters nicht wenige Kolonisten getötet, gefangengenommen und ausgeraubt“, hieß es nach dem Überfall in den Berichten des Fürsorgekontors. Wie auch viele andere Kolonisten floh Möhring am 2. Oktober 1774 mit seiner Familie in die rechtsufrige Kolonie Anton. Von Juni 1775 an suchte er eine Stelle als Schulmeister oder Küster in einer beliebigen Kolonie, um nicht nach Jost zurückkehren zu müssen. Im Oktober 1775 zog er mit seiner Frau und zwei Stieftöchtern in die Kolonie Stahl, wo er bis zum 10. Februar 1781 als Schullehrer tätig war. Seine Erinnerungen vermitteln einen Eindruck davon, unter welch schwierigen Rahmenbedingungen sich die Kolonisten an das Leben in der weiten russischen Steppe anpassen mussten.

Eine weitere Gefahr, die die Kolonisten ständig begleitete, waren Brände. In den 1820er Jahre wurde die Kolonie Stahl gleich zweimal ein Opfer der Flammen: 1821 brannte die Papierfabrik, 1824 zerstörte ein verheerendes Feuer einen Großteil der Wohnhäuser und Holzbauten. Für den Krisenfall wurden im Dorf zwei Getreidespeicher gebaut (sogenannte Magazine), in denen die für Notsituationen vorgesehenen Getreidereserven gelagert wurden. Nach den Daten der Revision von 1834 waren den Kolonisten Landstücke in der Größe von 15 Desjatinen pro Kopf zugeteilt. Nach den Daten der im Jahr 1857 durchgeführten 10. Revision besaßen die zu diesem Zeitpunkt in der Kolonie ansässigen insgesamt 677 männlichen Kolonisten Landstücke in der Größe von etwa 5 Desjatinen pro Kopf. Während die Kolonien in der ersten Zeit ihres Bestehens keinerlei Probleme mit der Zuteilung von Acker- und Gartenland hatten, stellte der Mangel an Wiesen- und Waldflächen in den meisten Kolonien von Beginn an ein Problem dar. Während z.B. in Enders (Ust-Karaman) Ende des 18. Jahrhunderts auf eine Familie durchschnittlich 27,3 Desjatinen Wiesenland kamen, waren es in Stahl gerade einmal 2,2 Desjatinen. Der Mangel an Acker-, Wald- und Wiesenland führte zu häufigen Rechtsstreitigkeiten unter den deutschen Kolonisten. So wandte sich die Gemeinschaft von Stahl im Jahr 1809 mit einer gegen die in Tonkoschurowka und Otrogowka ansässigen Siedler gerichteten Klage an das Fürsorgekontor, die auf den der Kolonie Stahl zugeteilten Wiesen Heu gemäht hatten. Im Jahr 1859 gab es in der Kolonie acht Windmühlen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auf einem Viertel des dem Dorf gehörenden Landes Tabak und auf den übrigen Ackerflächen Weizen und Kartoffeln angebaut.

In den Jahren der Sowjetmacht gab es im Dorf einen Genossenschaftsladen, eine landwirtschaftliche Kooperativ-Genossenschaft und eine mobile Bibliothek. Als sich im Frühjahr 1921 zahlreiche deutsche Dörfer gegen die Sowjetmacht erhoben, befanden sich Stahl, Schulz, Schäfer, Seelmann, Balzer, Mariental, Stariza und zahlreiche andere Ortschaften in den Händen der Aufständischen. Der „Stab der aufständischen hungernden Bauern“ (wie er sich selbst nannte) gab den Befehl aus, alle in den deutschen Siedlungen Ossipowka, Lipowka, Lipow Kut und Lugowaja Grjasnucha lebenden Männer zu mobilisieren und forderte diese unter Androhung von Erschießungen auf, sich im Dorf Swonarjow Kut einzufinden, um den bewaffneten Widerstand gegen die Truppen der Roten Armee zu organisieren. Nach der Niederschlagung des Aufstands verurteilte das vor Ort tagende Revolutionstribunal Hunderte an der Erhebung Beteiligte zum Tod durch Erschießen und ließ ihren Besitz konfiszieren. In den Jahren der Kollektivierung wurde im Dorf die Kolchose „Stoßarbeiter“ eingerichtet. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Swonarjowka trägt.

Schule und Erziehungswesen

Die Namen der in der Kolonie tätigen Schulmeister sind größtenteils nicht überliefert. Bekannt ist, dass der erste Lehrer und Küster Peter Buchmaier war, der im Winter 1776 starb. Der zweite Schullehrer (Oktober 1775 – Februar 1781) war der am 4. August 1743 in Altenstadt (Württemberg) geborene Johann Georg Möhring, der in den Jahren 1749–56 das Gymnasium besucht und 1760 ein Studium an der Universität Tübingen aufgenommen hatte, das er aber nicht abschloss, weil er wegen des beginnenden Schlesienkriegs nach Russland ging.

In den deutschen Wolgakolonien fand der Unterricht in den Kirchenschulen nur in den Wintermonaten statt, weil sowohl die Lehrer als auch die Kinder von Frühjahr bis Herbst auf dem Feld arbeiten mussten. Wie alle anderen Kolonisten mussten auch die Schulmeister Landwirtschaft betreiben, obwohl sie dazu vielfach nicht im geringsten befähigt waren. Nach Aussage Möhrings waren alle Kolonisten unabhängig von ihren eigenen Wünschen und ihrer früheren Tätigkeit zur landwirtschaftlichen Arbeit verpflichtet und unterlagen im Fall einer Weigerung der Bestrafung. Möhring selbst brauchte lange Jahre, in denen er als Lehrer, Schreiber, Übersetzer, Helfer bei der Durchführung der Revisionen und sogar Vorsteher der Kolonie Jost tätig war, bis man ihn schließlich vom Zwang zur Feldarbeit befreite und als für den Ackerbau ungeeignet anerkannte. In den 1820er Jahren war der Kolonist Brant in Stahl Schullehrer.

In den 1870er Jahren wurde in der Kolonie eine Semstwo-Schule gegründet, die zwei Klassenzüge hatte und aus den Mitteln der Dorfgemeinschaft finanziert wurde.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 555 der insgesamt 3.761 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Im Unterschied zu vielen anderen deutschen Siedlungen besuchten in Swonarjow Kut (Stahl) alle Kinder die Schule. In vielen anderen Kolonien konnten Kinder keine Schule besuchen, da ihre Eltern arm und auf die tägliche Mithilfe ihrer Kinder in Handwerk oder Gewerbe angewiesen waren.1906 besuchten 108 Jungen und 22 Mädchen die Semstwo-Schule, wo sie von vier Lehrern unterrichtet wurden. In der Kirchenschule lernten 98 Jungen und 176 Mädchen bei drei Lehrern. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. In den Jahren der Sowjetmacht wurden sowohl die kirchliche Gemeindeschule als auch die Semstwo-Schule geschlossen und durch eine Grundschule ersetzt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Die Kolonisten waren evangelisch-lutherischer Konfession. Die Gemeinde Stahl gehörte zusammen mit den Gemeinden Rosenheim (Podstepnoje), Schwed (Swonarjowka) und Enders (Ust-Karaman) zum 1767 gegründeten Pfarrsprengel Rosenheim (Podstepnoje), zu dem zunächst auch die lutherischen Gemeinden Krasny Jar, Fischer (Teljausa), Schulz (Lugowaja Grjasnucha) und Reinwald (Starizkoje) gehörten. Im Jahr 1820 wurden Reinwald und Schulz an den Pfarrsprengel Reingardt (Ossinowka) und die Gemeinde Fischer an den Pfarrsprengel Süd-Katharinenstadt angeschlossen. Die Kolonie Krasny Jar bildete seit 1880 einen eigenen Pfarrsprengel, so dass der Pfarrsprengel Rosenheim Ende des 19. Jahrhunderts die Gemeinden Stahl, Rosenheim (Podstepnoje), Schwed (Swonarjowka) und Enders (Ust-Karaman) umfasste.

Im Jahr 1800 errichteten die Bewohner von Stahl aus eigener Kraft eine erste Holzkirche, nachdem sie zuvor das Gebäude des Schul- und Bethauses für die Feier ihrer Gottesdienste genutzt hatten. Diese erste Kirche hatte den Status einer Filialkirche und war ziemlich klein. Nachdem die Kirche im Jahr 1842 bei einem Brand zerstört worden war, wurden in Stahl und den Nachbargemeinden Spenden für einen Neubau gesammelt. 1843 wurde am Standort der alten Kirche unter Leitung des Fürsorgekontors eine neue Holzkirche errichtet, die wesentlich größer war als ihr Vorgängerbau und 816 Gläubigen Platz bot. Da aber auch diese Kirche mit der Zeit für alle Gemeindemitglieder zu klein wurde, wurde sie im Jahr 1912 im Zuge umfassender Reparaturarbeiten vergrößert. Zugleich wurden auch das neben der Kirche gelegene Küsterhaus und der freistehende Glockenstuhl renoviert. Darüber hinaus gab es in der Kolonie auch ein Schul- und Bethaus.

Erster Pastor der für Stahl zuständigen Pfarrgemeinde Rosenheim war der aus Mecklenburg stammende Ludwig Helm, der in Rostock Theologie studiert hatte und 1736 ordiniert worden war. Nachdem er sich 1766 in Lübeck den ersten Kolonisten angeschlossen hatte, diente er der Gemeinde von 1767–85. Für die im Pfarrsprengel Rosenheim lebenden Reformierten war von 1777 an der aus Basel stammende Schweizer Missionar Daniel Willi zuständig, der allerdings nur gelegentlich (vor allem in den Sommermonaten) in den Gemeinden predigte, da er seinen Wohnsitz außerhalb der zum Pfarrsprengel gehörenden Kolonien in der rechtsufrigen Kolonie Anton hatte (Sewastjanowka, heute Sadowoje, Rayon Krasnoarmejsk, Gebiet Saratow), wohin die ursprünglich in Stahl angesiedelten Kolonisten 1774 vor den Überfällen der Nomaden geflohen waren. Neben seiner Predigertätigkeit in den Gemeinden des Wolgagebiets war Willi bis 1786 zudem als Handelsvertreter der Sareptaer Fabriken tätig. 1786 ging er nach Sarepta, wo er 1788 verstarb.

Angesichts ihres Einflusses nicht nur auf die geistliche Entwicklung, sondern auch auf die gesamte innere Organisation der Kolonie prägte die lutherische Kirche praktisch alle Lebensbereiche der Gemeinde. Gemäß der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestätigten „Instruktion der kolonistischen Geistlichkeit“, mit deren Inhalt sich alle Geistlichen bei Dienstantritt bekannt machen mussten, waren diese nicht nur dazu verpflichtet, z.B. die Kirchenbücher zu führen, sondern mussten auch in der Landwirtschaft tätig sein und Seidenraupenzucht betreiben.

Unter Leitung der Geistlichen begannen die Bewohner der Kolonie, die für die Seidenraupenzucht genutzten Maulbeerbäume anzupflanzen. Pastor Jäger wurde vom Fürsorgekontor für den „Aufbau der Seidenraupenzucht“ ausgezeichnet. Mittelfristig erwies sich die Seidenproduktion allerdings angesichts des strengen Klimas als nicht lohnenswert.

Alles andere als leicht erging es den letzten Pastoren der Gemeinde. Alexander Rothermel (1880–1963) musste untertauchen und emigrierte 1922 nach Deutschland. Jakob Scharf, der 1928 das Predigerseminar in Leningrad abgeschlossen hatte, sah sich 1931 gezwungen, aus dem Wolgagebiet, wo ihm die Verhaftung drohte, auf die Krim zu gehen, wo er nach nicht einmal einem Jahr Dienst in einer lutherischen Gemeinde endgültig aus dem Kirchendienst ausscheiden musste.

Im Jahr 1925 geriet die verwaiste Gemeinde unter den Einfluss des Küsters Jakob Fritzler, der sich selbst zum Bischof erklärte und zum Gründer der sogenannten Freien Lutherischen Kirche im Wolgagebiet wurde.

Anfang der 1930er Jahre wurden in der Sowjetunion massenhaft Gotteshäuser aller Konfessionen und Religionsgemeinschaften geschlossen. Vor Ort waren die lokalen Stellen bestrebt, die Bethäuser so schnell wie möglich zu schließen. 1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass es in Stahl, wo zwar das Bethaus, aber nicht die Kirche geschlossen sei, noch 1.036 Gläubige gebe, von denen 48 den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte aberkannt waren. Am 25. Oktober 1934 beschloss die Kommission für Kultfragen beim Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen, die Kirche in Stahl mit der Begründung zu schließen, dass sich 567 der insgesamt 740 Gemeindemitglieder für eine Schließung der Kirche ausgesprochen hätten, und schlug zugleich vor, das Kirchengebäude nach entsprechendem Umbau als Kulturhaus zu nutzen.

Liste der Pastoren

Pastoren der Pfarrgemeinde Rosenheim (Podstepnoje), die in Stahl Gottesdienst hielten: Ludwig Helm (1767–85), Daniel Willi (1777–86), Laurentius Ahlbaum (1786–88). Klaus Peter Lundberg (1788–92), Christian Friedrich Jäger (1792–1815), Franz Hölz (1816–20), Johann Heinrich Buck (1820–31). Alexander Karl August Allendorf (1831–66), Friedrich Wilhelm Meyer (1867–79). Karl Julius Hölz (1881–94), Karl Emil Theodor David (1894–1901), Johann Georg Rieger (?). Emil Friedrich Busch (1901–11), Alexander Rothermel (1912–22), Jakob Scharf (1929–33).

Entwicklung der Bevölkerungszahlen

1767 lebten in Stahl 154 ausländische Kolonisten, 1773 waren es 171, 1788 - 203, 1798 - 256, 1816 – 360,1834 - 703, 1850 – 1.036, 1859 – 1.383, 1883 – 2.320, 1889 – 2.431 Personen. Nach den Daten der Volkszählung von 1897 hatte Stahl 2.693 Einwohner, von denen 2.671 Deutsche waren. Im Jahr 1904 lebten im Dorf 3.538 und im Jahr 1910 3.704 Personen. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 hatte Stahl 2.638 Einwohner, von denen ausnahmslos alle Deutsche waren. Infolge der Hungersnot gingen Anfang der 1920er Jahre die Bevölkerungszahlen im Wolgagebiet stark zurück. 1921 gab es 84 Geburten und 330 Todesfälle. Nach den Daten des Gebietsamts für Statistik des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen lebten nach Stand zum 1. Januar 1922 in Stahl nur noch 1.819 Personen, deren Zahl bis 1923 auf 1.988 stieg. Nach den Daten der Volkszählung von 1926 gab es im Dorf 371 Haushalte (davon 367 deutsche) mit einer Bevölkerung von 1.890 Personen (892 Männer und 998 Frauen), von denen 1.886 Deutsche waren (888 Männer und 998 Frauen). 1931 hatte das Dorf 2.228 Einwohner, von denen ausnahmslos alle Deutsche waren.

Das Dorf heute

Heute Dorf Swonarjowka, Rayon Marx, Gebiet Saratow. Das heutige Dorf hat etwa 1.500 Einwohner. Noch Ende des 20. Jahrhunderts erzählten die für die Geschichte der Russlanddeutschen offenen heutigen Bewohner von Swonarjowka voller Stolz, dass ihre Kirche praktisch die einzige bis in die heutige Zeit erhaltene Holzkirche im Gebiet Saratow sei. Und tatsächlich waren im gesamten Wolgagebiet von den ursprünglich vielen Hundert lutherischen Holzkirchen Anfang der 1990er Jahre nur noch sechs erhalten. Bis zu einem Brand im September 1991 war in der früheren Kirche der Dorfklub untergebracht und das an die lutherische Vergangenheit des Dorfes erinnernde Gebäude lockte viele an der Geschichte der Russlanddeutschen Interessierte nach Swonarjowka.

Auch heute noch lässt sich in Swonarjowka relativ leicht der ursprüngliche Bebauungsplan der früheren deutschen Kolonie erkennen. Die Wohnhäuser, deren Lage durch die Besonderheiten des Geländes und den Fluss vorgegeben war, reihten sich an der am Fluss entlang führenden Straße aneinander. Die Hausgrundstücke bildeten mehrere Straßen. An der Hauptstraße lagen die Kirche, das Küsterhaus und die Schule. Heute sind nur noch einige wenige deutsche Backsteinbauten und deutlich mehr Holzhäuser erhalten, wobei letztere häufig schon vor langer Zeit verklinkert oder umgebaut wurden. Das Gelände des alten deutschen Friedhofs wird auch heute noch als Dorffriedhof genutzt. Größte Zierde des Dorfes ist auch heute noch das malerische Flusstal des Bolschoj Karaman. Die heutige Schule von Swonarjowka wird auch von den Kindern aus dem Nachbardorf Bobrowka besucht.

Literatur

Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. – Часть I; Плеве И.Р. Немецкие колонии на Волге во второй половине ХVIII века. – М., 1998; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988; Chronologische Anmerkungen. Memoiren des gewesenen Schulmeisters zu Swonarewkut Johann Georg Möhring aus dem 18. Jahrhundert. Veröffentlicht von Pastor Johannes Kufeld // Friedensbote. – 1901; Einwanderung in das Wolgagebiet: 1764–1767 / Hrsg.: Alfred Eisfeld. Bearb.: Igor Pleve. Bd. 4. Kolonien Reinhardt – Warenburg. – Göttingen: Göttingenger Arbeitskreis, 2008; Deutsche Volkszeitung. – 26. Оktober 1908. – №8; – Mai 1910. – №63.

Archive

Archive: ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. Д. 78, 4097, 9556, 11624; Оп. 5. Д. 1; Ф. 637. Оп. 2. Д. 679; 3039; ГИАНП. Ф. 281. Оп. 1. Д. 1–3; Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 1138. Л. 138; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 299. Л. 21; Оп. 2. Д. 4.

Autoren: Lizenberger O.A.

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