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STAHL (Stahl am Tarlyk, Stepnoje, Stepnaja, Lopatino, Lopatina), heute Dorf Stepnoje, Rayon Engels, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie am linken Ufer der Wolga

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Blick auf das Dorf Stepnoje (ehemals Stahl).
Evangelisch-lutherische Holzkirche des Dorfes Stahl (1834).
Stepnoje. Deutsches Haus aus dem frühen 20. Jahrhundert. Foto Je. Moschkow, 2009.
с. Степное. Магазин «Продукты» в старом немецком доме. Фото Е. Мошкова. 2009 г.

STAHL (Stahl am Tarlyk, Stepnoje, Stepnaja, Lopatino, Lopatina), heute Dorf Stepnoje, Rayon Engels, Gebiet Saratow; am linken Ufer der Wolga an der Mündung des Flusses Kriwuscha in die Wolga gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk [Wolost] Tarlyk (Stepnoje) (Bezirk [Ujesd] Nowousensk, Gouvernement Samara).

Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war das Dorf Stahl bis 1941 Verwaltungszentrum des gleichnamigen Dorfsowjets. In den Jahren 1922-27 gehörte das Dorf zum Kanton Kukkus (Wolskoje). Im Zuge der 1927 in der ASSR der Wolgadeutschen vollzogenen Gebiets- und Verwaltungsreform wurde der Kanton Wolskoje (Kukkus) aufgelöst und an den Kanton Rownoje (Seelmann) angeschlossen. 1935 wurde der Kanton Kukkus wiedererrichtet.

Die deutsche Kolonie Stahl wurde 1767 gegründet. Mit der Anwerbung der Kolonisten und Gründung dieser Werberkolonie waren die aus Genf bzw. Frankreich stammenden Privatunternehmer Pictet und le Roy befasst. Die ersten in der Kolonie angesiedelten Kolonisten waren 76 größtenteils aus den deutschen Ländern Schleswig-Holstein und Preußen sowie aus Dänemark stammende Familien. Ihren Namen erhielt die Kolonie zu Ehren des ersten Vorstehers Johann Stahl, eines 41-jährigen Schneiders aus Holstein, der mit seiner Frau und drei Kindern nach Russland gekommen war. Die Namen der Vorsteher sind größtenteils nicht überliefert. Bekannt ist lediglich, dass in den 1820er Jahren der Kolonist Heinrich Walter Vorsteher war. Ihren zweiten offiziellen russischen Namen Stepnoje (abgeleitet vom russischen Wort „step“ – Steppe) erhielt die Kolonie durch den die Benennung der Kolonien regelnden Erlass vom 26. Februar 1768 aufgrund der geographischen Gegebenheiten des Standorts. Allerdings wäre ein solcher Name auch für Dutzende andere in der linksufrigen Steppenregion gelegene deutsche Kolonien passend gewesen.

Die in Stahl angesiedelten Kolonisten waren größtenteils Lutheraner, eine Familie (Johann Nilmeier mit Frau) gehörte zum reformierten Zweig des Protestantismus, eine weitere (Josef Barret mit Frau und Sohn) war katholisch. Unter den ersten 76 Kolonisten waren sieben Weber, jeweils drei Schneider, Tischler, Maurer und Schuhmacher, jeweils zwei Zimmermänner, Bäcker, Metzger, Jäger und Ärzte sowie ein Müller, ein Knopfmacher, ein Dreher, ein Gerber, ein Bierbrauer, ein Krämer, ein Schmied, ein Lehrer, ein Kesselmacher, eine Hebamme, ein Schiffszimmermann und ein Böttcher. Nach Stand zum Jahr 1769 gab es in der Kolonie 20 Wohnhäuser, 18 Scheunen und 14 Pferdeställe sowie 73 Kühe und Kälber, 48 Pferde und jeweils sechs Arbeitsochsen und Schafe. In den ersten Jahren nach ihrer Ansiedlung hatten die Kolonisten mit erheblichen ökonomischen Schwierigkeiten zu kämpfen. So wandten sich die in Stahl ansässigen Kolonisten im Januar 1769 zusammen mit den Bewohnern weiterer elf Kolonien des Anwerbers le Roy mit einer gegen die Direktion gerichteten Beschwerde an das Fürsorgekontor, die sie für ihre nach eigener Einschätzung „extreme Notlage“ verantwortlich machten.

Zusätzlich verschärft wurde die Lage der Kolonisten durch Überfälle sowohl von Seiten der Kirgis-Kaisaken als auch der Truppen Pugatschows. Letztere überfielen die Kolonie 1774. Der Historiker Jakob Dietz zitiert die Erzählung des in Stahl ansässigen Kolonisten Paulus Oberdorf, der mitansehen musste, wie die Aufständischen den Ältesten der Kolonie Nielsen hinrichteten, weil ihnen dieser die von den Kolonisten versteckte Pferdeherde nicht überlassen wollte. Oberdorf selbst verlor bei dem Zwischenfall zwei Pferde. Bis 1775 fielen über 180 Siedler den Überfallen der Nomaden und der Soldaten Pugatschows sowie Hunger und Krankheit zum Opfer.

Angesichts des im 19. Jahrhundert zu verzeichnenden rapiden Bevölkerungswachstums geriet die stabile ökonomische Entwicklung zunehmend in Gefahr, so dass die Kolonisten immer wieder versuchten, Tochterkolonien zu gründen und sich jenseits der Grenzen der eigenen Siedlung niederzulassen. 1861 wurden eigenmächtige Umsiedlungen durch einen Erlass des Kontors mit Vagabundentum gleichgesetzt und streng bestraft. Aber selbst davon ließen sich die Kolonisten nicht aufhalten. 1866 mussten die in Stahl ansässigen Kolonisten schriftlich bestätigen, über das Verbot einer Übersiedlung in den Kaukausus in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Später zwangen der Mangel an landwirtschaftlichem Nutzland und zahlreiche Bitten der Kolonisten die Regierung dazu, ihre Entscheidung zu revidieren und eine Übersiedlung in den Kaukasus zu gestatten. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es im Dorf über 200 Haushalte.

In den Jahren der Sowjetmacht gab es im Dorf eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft, eine genossenschaftliche Molkerei, zwei Schmieden, eine Bäckerei, ein Kinderheim und ein Krankenhaus. In den 1920er Jahren fasste das Volkskommissariat für Landwirtschaft den Beschluss, die bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts bestehende Tradition der Seidenraupenzucht wiederzubeleben. So wurden in Stahl und einigen weiteren deutschen Dörfern Maulbeerbäume gepflanzt, spezielle Inkubatoren gebaut, in denen die Larven des für die Seidenproduktion benötigten Maulbeerspinners gezüchtet wurden, und Anlagen aufgestellt, mit denen die Seidenfäden von den Kokons abgerollt werden konnten. Die Seidenraupenzucht war ein vergleichsweise wenig zeitaufwändiger Prozess. Bereits nach einem Monat spannen die Maulbeerspinner Kokons, die aus etwa einem Kilometer Seidenfaden bestanden. Aus hundert Kilogramm Kokon wurden bis zu neun Kilogramm Seide gewonnen. Wie in vielen anderen deutschen Siedlungen wurden auch in Stahl Schulungskurse für künftige Brigadeleiter der Seidenproduktion durchgeführt, in denen neben fachlichen Themen auch politische Wissenschaft unterrichtet wurde. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Stepnoje trägt.

Schule und Erziehungswesen

Wie in allen anderen lutherischen Kolonien gab es auch in Stahl schon seit der Gründung der Kolonie selbst eine kirchliche Gemeindeschule, deren erster Lehrer der aus Magdeburg stammende 36-jährige Nikolaus Schäfer war, der mit seiner 27-jährigen Frau Margareta und einer zweijährigen Tochter mit den ersten Kolonisten nach Stahl gekommen war und die Kinder in der Anfangszeit zunächst bei sich zu Hause unterrichte. Allerdings wurde Schäfer bereits 1768 die Stelle des Lehrers in der Kolonie Priwalnaja (Warenburg) angeboten, so dass die Bewohner von Stahl einen anderen Schulmeister suchen mussten.

Neben der kirchlichen Gemeindeschule gab es im Dorf Ende des 19. Jahrhunderts auch eine private und eine Semstwo-Schule. Mit der Gründung der Semstwo-Schulen verfolgte die Regierung das Ziel, den engen nationalen Rahmen der Konfessions- und Privatschulen zu sprengen und die Kinder auch Russisch und russische Geschichte lernen zu lassen. Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 322 der insgesamt 3.903 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. Allerdings besuchten nicht alle Kinder im schulpflichtigen Alter auch wirklich eine Schule. Nach den von Pastor Erbes zusammengetragenen Daten blieben 40 Kinder dem Unterricht fern, da ihre Eltern arm und auf die tägliche Mithilfe ihrer Kinder in Handwerk oder Gewerbe angewiesen waren. Im Jahr 1906 besuchten 45 Jungen und 71 Mädchen die Semstwo-Schule. In der Kirchenschule lernten 83 Jungen und 132 Mädchen bei zwei Lehrern. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. Die private Schule, an der ein einziger Lehrer tätig war, wurde von 19 Jungen und sechs Mädchen besucht. In sowjetischer Zeit wurden alle vor der Revolution bestehenden Schulen geschlossen und zu einer Grundschule zusammengelegt.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Die Kolonisten waren größtenteils Lutheraner und zu einem kleineren Teil Reformierte. Bis 1821 gehörte die Kolonie Stahl zum Pfarrsprengel Warenburg (Priwalnoje), nach 1821 wie auch die Gemeinden Kukkus (Wolskaja), Jost (Popowkina), Lauwe (Jablonowka) und Bangerdt (Saumorje) zum lutherisch-reformierten Pfarrsprengel Kukkus (Wolskaja), wobei die Gemeindemitglieder der zentralen Gemeinde Kukkus (Wolskaja) reformiert waren.

In den ersten Jahren nach der Gründung der Kolonie wurden die Gottesdienste im Schul- und Bethaus gefeiert, das auf Staatskosten errichtet worden war. Im Jahr 1811 bauten die Kolonisten auf eigene Kosten eine erste Kirche, die den Status einer Filialkirche hatte. Da dieser Holzbau allerdings angesichts der schnell wachsenden Bevölkerungszahlen schon bald zu klein wurde und nicht mehr allen Gemeindemitgliedern Platz bot, holte die Kolonie 1831 die Genehmigung der Abteilung für Staatswirtschaft und Öffentliche Bauten des Innenministeriums für den Bau einer neuen Kirche ein, die 1834 am Standort der alten Kirche errichtet wurde. Beim Bau dieser Kirche richtete sich das Kontor nach den 1830 für den Kirchenbau ausländischer Konfessionen erlassenen Sonderregeln, denen zufolge beim Kirchenbau zu beachten war, „dass das Kircheninnere schlicht und ohne üppigen Schmuck ist [...] dass die Kirche nach Größe sowie Chor- und Kirchengestühl der Zahl der Gemeindemitglieder entspricht [...] dass in der Mitte ein Gang frei bleibt [...] dass der Chor dem Altar gegenüber liegt und […] dass die Treppe so gebaut ist, dass die Gemeindemitglieder nicht sehen können, wer kommt und geht“.

In den Jahren 1864–66 wurde in Stahl nach den Plänen des Architekten des Fürsorgekontors F. Lagus eine neue Kirche errichtet, die fast allen Einwohnern der Kolonie gleichzeitig Platz bieten konnte. Wie viele andere zu jener Zeit in der Region errichtete Kirchen wies auch die Stahler Kirche für den ausgehenden russischen Klassizismus typische Züge wie z.B. ein langgezogenes Kirchengebäude und eine Säulenvorhalle auf. In den deutschen Kolonien war dieser auch beim Bau orthodoxer Kirchen populäre Baustil derart verbreitet, dass sich die ironische Bezeichnung „Kontorstil“ einbürgerte, was auf den Umstand anspielte, dass das Fürsorgekontor entsprechende Bauprojekte mit aller Kraft förderte. Mit der Zeit bot auch die neue Kirche nicht mehr allen Gemeindemitgliedern Platz. 1910 wurde die alte im „Kontorstil“ errichtete Holzkirche durch einen geräumigeren Steinbau ersetzt. Neben der Kirche befanden sich der Holzbau des Bethauses, das Küsterhaus samt Anbau sowie ein freistehender hölzerner Glockenstuhl und eine Leichenhalle.

In den Kolonien wurden die um das Wohl der Gemeinde bemühten Geistlichen allseits geachtet und genossen großen Respekt. Einer der ersten in der Gemeinde tätigen Pastoren war Friedrich Konrad Strenge (geb. 1750), der neben seiner geistlichen Tätigkeit auch Doktor der Medizin war und den Mitgliedern seiner Gemeinde ärztliche Hilfe leistete. Pastor Berhardt Litfas (1754–1825), der vor seiner Ankunft im Wolgagebiet in der Moskauer St. Michaelis-Gemeinde Schulrektor war, diente lange 28 Jahre in der Gemeinde. Pastor Johann Wilhelm Allendorf (1827–1900) war in den Jahren 1882–1900 Probst des linksufrigen Wolgagebiets und stand in regelmäßigem Austausch mit Lutheranern in Deutschland und Amerika. So ist z.B. unter den Archivdokumenten ein aus dem Jahr 1897 datierender Brief Johannes Lohmanns an Probst Allendorf erhalten, in dem es darum geht, 100 deutschsprachige lutherische Gesangbücher aus Kansas (USA) in das Wolgagebiet zu schicken. Allerdings wurde die Tätigkeit der Geistlichen von den Gemeindemitgliedern nicht immer angemessen gewürdigt. So verfassten z.B. im Jahr 1896 die in Stahl ansässigen Dorfbewohner eine gegen Johann Allendorf gerichtete Beschwerde, in der sie dem Geistlichen zur Last legten, sich für seine Tätigkeit neben seinem Gehalt auch in Form von Naturalien, Getreide und Lebensmitteln entlohnen zu lassen. Schließlich wurde auf der Vollversammlung des Dorfes beschlossen, dem Pastor ausschließlich ein Gehalt in Höhe von 1.900 Rubeln auszuzahlen.

Die letzten in der Gemeinde Stahl tätigen Pastoren der Pfarrgemeinde Kukkus wurden allesamt repressiert. Pastor Johann Erbes (1968–1932), der in den Gemeinden des Pfarrsprengels seit dem Jahr 1902 Gottesdienste abgehalten hatte, wurde 1930 wegen angeblicher antisowjetischer Tätigkeit und Spionage verhaftet und starb in einem bei Semipalatinsk gelegenen Lager. In der am 1. Januar 1932 verfassten streng geheimen Aktennotiz „Über die politische Lage in der ASSR der Wolgadeutschen und die Resultate der Liquidierung des Kulakentums als Klasse“ hieß es: „In einem der Kantone wurde eine von den Pastoren Erbes, Meyer, Graf (gemeint ist wahrscheinlich Harff – Anmerkung der Autorin) und anderen geführte konterrevolutionäre Gruppierung ausgehoben, die im gesamten Verlauf des Bestehens der Sowjetmacht unter der deutschen Bevölkerung konterrevolutionäre Tätigkeit betrieben hat. Acht Kultdiener wurden verhaftet.“ Unter dem Vorwurf konterrevolutionärer Tätigkeit wurde auch der Gemeindepastor Otto Heinrich Harff (1872-nach 1937) repressiert.

Nach der Verhaftung der Pastoren informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass nach Stand zum Jahr 1931 im Dorf zwar das Bethaus, aber nicht die Kirche bereits geschlossen sei und es in der Kirchengemeinde 1.200 Gläubige gebe. Zur Zeit der forcierten antireligiösen Offensive wurde in den 1930er Jahren jegliche religiöse Unterweisung von Kindern verboten. Hatten die Kirchen Ende der 1920er Jahre noch mit Sondergenehmigung des Zentralexekutivkomitees der UdSSR und des NKWD Konfirmandenunterricht erteilen können, war dies Anfang der 1930er Jahre völlig unmöglich. Als sich die Kirchengemeinde des Dorfes Stahl im August 1934 mit der Bitte an das Sekretariat des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen wandte, den Kindern Konfirmandenunterricht erteilen zu dürfen, wurde der Antrag unter Verweis auf die bevorstehenden Ernteanstrengungen abgelehnt.

Anfang der 1930er Jahre wurden in der Sowjetunion massenhaft Gotteshäuser aller Konfessionen und Religionsgemeinschaften geschlossen. Vor Ort waren die lokalen Stellen bestrebt, die Bethäuser so schnell wie möglich zu schließen, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, der Religion gegenüber zu loyal eingestellt zu sein. Eine solche Haltung führte zu zahlreichen Exzessen, die wiederum zahlreiche an die Kommission für Kultfragen beim Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen adressierte Beschwerden der Gläubigen nach sich zogen. So lehnte die Kommission z.B. im Mai 1934 ein Gesuch auf Schließung der Stahler Kirche mit der Begründung ab, dass die Listen der für die Schließung eintretenden Gemeindemitglieder nicht korrekt zusammengestellt waren. In ihrem folgenden Bericht wies die Kommission am 1. Juni 1934 darauf hin, dass die Kirche in Stahl noch von den Gläubigen genutzt werde, während eine zahlreiche andere deutsche Kirchen bereits geschlossen seien. Die Kommission forderte, den Gläubigen die Nutzung des Kirchengebäudes zu verbieten und die für die Schließung der Kirche benötigten Dokumente erneut auszufertigen. Bereits am 15. September 1934 informierte die Kommission das Präsidium der ASSR der Wolgadeutschen darüber, dass das Kirchengebäude im Dorf Stahl nicht mehr von den Gläubigen genutzt werde und die Kirche drei Glocken mit einem Gewicht von 20 Pud habe, weswegen die Frage eines Umbaus des Gebäudes und der Abnahme der Glocken einer eigenen Prüfung bedürfe. Am 11. September 1935 wurde die Kirche offiziell geschlossen, da sich 700 der 945 Gläubigen für deren Schließung ausgesprochen hatten. Die Kommission schlug vor, die Kirche nach entsprechendem Umbau als Kulturhaus zu nutzen.

Liste der Pastoren

Pastoren der Pfarrgemeinde Warenburg (Priwalnaja), die in Stahl Gottesdienst hielten: Pohlmann (1770–77), Friedrich Konrad Strenge(l,r) (1785–88), Bernhard Wilhelm Litfas (1797–1821), in den Jahren 1777–85 und 1788–97 hatte die Gemeinde keinen Pastor. Pastoren der Pfarrgemeinde Kukkus, die in Stahl Gottesdienst hielten: Johann Martin Otto (1820–35), Hilfspastor Peter August Pundani (1836–40). Ernst Wilhelm David (1840–52), Johannes Wilhelm Michail Allendorf (1854–1900), Johannes Erbes (1902–30), Otto Heinrich Harff (1929–30).

Entwicklung der Einwohnerzahlen

1767 lebten in Stahl 208 ausländische Kolonisten, 1773 waren es 188, 1788 - 235, 1798 - 320, 1816 – 480, 1834 - 798, 1850 – 1.195, 1859 – 1.538 und 1889 – 2.487 Personen. Nach den Daten der Volkszählung von 1897 hatte Stahl 2.447 Einwohner, von denen 2.425 Deutsche waren. Im Jahr 1910 lebten im Dorf 3.640 Personen. Nach 1917 ging die Einwohnerzahl infolge der Hungersnöte der frühen 1920er und der frühen 1930er Jahre, der Entkulakisierung, der Repressionen und der Emigration der Bevölkerung kontinuierlich zurück. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 lebten im Dorf 2.770 Personen. 1921 gab es im Dorf 120 Geburten und 258 Todesfälle. Nach den Daten des Gebietsamts für Statistik des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen hatte Stahl nach Stand zum 1. Januar 1922 2.076 Einwohner. 1923 stieg die Einwohnerzahl auf 2.150. Nach den Daten der Volkszählung von 1926 lebten im Dorf 2.432 Personen, von denen 2.400 Deutsche waren. 1931 hatte das Dorf 2.402 Einwohner, von denen ausnahmslos alle Deutsche waren.

Das Dorf heute

Heute Dorf Stepnoje, Rayon Engels, Gebiet Saratow. Das heutige Dorf nimmt nur etwa ein Drittel der Fläche des vorrevolutionären Dorfs Stahl ein. Auf den ersten Blick ist dem heutigen Stepnoje kaum anzusehen, dass sich hier einst eine deutsche Kolonie befand. Materielle Zeugnisse der Vergangenheit (Objekte der deutschen Architektur) sind schon lange verschwunden. Im Dorf sind praktisch keine typischen deutschen Häuser erhalten, von denen viele dem Bau des Wolgograder Wasserkraftwerks (1950–61) bzw. der Flutung des Wolgograder Stausees (1958-61) zum Opfer fielen, in deren Folge der Pegel der Wolga um einige Meter anstieg. Weder die lutherische Kirche noch andere bemerkenswerte Zeugnisse der deutschen Architektur sind erhalten. Das heutige Stepnoje besteht größtenteils aus nach dem Krieg errichteten zweistöckigen Wohnhäusern. Nur einige wenige alte Holzbauten sind erhalten. 1957 wurde in einem Neubau eine Achtklassenschule eingerichtet, die 1991 zur Mittelschule erweitert wurde. In heutiger Zeit gibt es im Ortskern ein 1957 errichtetes Freizeithaus, einige Dorfläden, einen kleinen Obelisken, der an die Gefallenen des 2. Weltkriegs erinnert, und eine Bushaltestelle.

Literatur

Герман А.А. Немецкая автономия на Волге. 1918–1941. Часть II. Автономная республика. 1924–1941. – Саратов, 1992–1994; Дитц Я. История поволжских немцев-колонистов. – М., 1997; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. Часть I; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Плеве И.Р. Немецкие колонии на Волге во второй половине ХVIII в. – М., 1998; Терехин С. Поселения немцев в России. Архитектурный феномен. – Саратов, 1999; Amburger E. Die Pastoren der evangelischen Kirchen Russlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937. Ein biographisches Lexikon. – Martin-Luther-Verlag, 1988; Einwanderung in das Wolgagebiet: 1764–1767 / Hrsg.: Alfred Eisfeld. Bearb.: Igor Pleve. Bd. 4. Kolonien Reinhardt – Warenburg. – Göttingen: Göttingenger Arbeitskreis, 2008.

Archive

Archive: ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. Д. 25, 13068; Оп. 4. Д. 35; Ф. 637. Оп. 2. Д. 3039; Оп. 3. Д. 42; Оп. 40. Д. 3; ГИАНП. Ф. 261. Оп. 1. Д. 1–5; Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 890. Л. 15, 36, 77; Д. 1002. Л. 11; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 68; Д. 71. Л. 13–15; Д. 299. Л. 42.

Autoren: Lizenberger O.A.

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