„SCHEUNENMUSEUM“ ZUR RUSSLANDDEUTSCHEN KULTURGESCHICHTE IN NIDDA – eine Privatsammlung, vorrangig aus historischen Büchern und Erinnerungsstücken einer Familie bestehend, später ein umfangreicher Bestand an Gegenstände, die die Russlanddeutsche dem Museum spendeten. Das Scheunenmuseum zählt zu den frühen privaten Museumsgründungen der Russlanddeutschen in Deutschland. Es wurde durch die Initiative von Ehepaar Reinhold (1934–2019) und Amalia Zielke (geb. 1934) gegründet. Das Museum existierte im Deutschland seit Ende 1991 – nicht immer unter demselben Namen, jedoch immer mit dem Auftrag russlanddeutsches Kulturgut zu erhalten, zu pflegen und für die Allgemeinheit zugänglich und erfahrbar zu machen.
In seinem Heimatdorf Schöntal/Nowoskatowka, Omsker Gebiet hatte Reinhold Zielke als Vizedirektor der Mittelschule in einem Schulraum ein Museumsarchiv eingerichtet. Im Museum waren zahlreiche Zeugnisse russlanddeutscher Kulturgeschichte gesammelt: Fotos, Handarbeiten, Musikinstrumente, alte Handwerkzeuge. Einiges aus dem ursprünglichen Museum in Sibirien konnte die Familie im Jahr 1991 nach Deutschland mitbringen und auf diese Weise vor dem Untergang retten. Den Grundstock des späteren Scheunenmuseums bildete das Kulturerbe der Familie Zielke: ein alter Plattenspieler, ein Samowar oder die Musikinstrumente aus den 1930-er Jahren. In Deutschland hat Zielke mit einer kleinen Sammlung „Aus einem Dorf in Sibirien“, die mit der Zeit immer größer wurde, angefangen. Darunter waren viele Bücher, Briefe, Zeitungsberichte, Zeichnungen und sogar das alte Spinnrad mit dem zweispurigen Spulenhalter, auf dem noch seine Großmutter und Mutter gesponnen hatten. Die Ausstellung trug autobiographische Züge und beschrieb auch die Zeit, die Familie in Russland verbrachte.
Zielke prägte die Vielfalt der Sammlungen: Neben den meisten wertvollen Bücher, die aus der umfangreichen Bibliothek seines Vaters, des Dichters und Lehrers Alexander Zielke stammten, spielte von Anfang an vor allem die Unterlagen und die Kunsthandwerkzeuge eine große Rolle. Zu der Alexander Zielkes Bibliothek gehörten „Die Auswanderung der Deutschen an die Wolga“ von Gottfried Bauer (Saratow, 1908), «Meyers Große Konversation-Lexikon (1908–1913)» in 24 Bänden, «Enzyklopädisches Handbuch von Br. A. und J. Granat (1901–1902)» von 10 Bänden, «Weltall und Menschheit» von 5 Bänden, die Bibel- und Gesangbücher-Sammlung: 25 Exemplare – alle älter als 100 Jahre und viele andere Rarität-Bücher.
Mir der Zeit bekam Zielke viele Objekte von Aussiedlern aus ganz Deutschland zugesendet. Aufschlussreiche Materialien über die Auswanderung der Niddaer 1766 an die Wolga und die Gründung der Kolonie Jagodnaja Poljana bekam Zielke von dem damaligen Stadtarchivar und Museumsvorsteher, Konrektor der Schule in Nidda Wilhelm Wagner.
Die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, gelang es Zielke erst in der Zeit. 1997 präsentierte die Familie Zielke die erste Ausstellung im Bürgerhaus Nidda, was nicht ohne Resonanz blieb. Vom einheimischen Gymnasiallehrer Gottfried Bauer erhielt Reinhold Zielke das wertvolle Archiv seines Großvaters Wilhelm Würz, der bis in die 1930er Jahre Materialien über die Auswanderung der Deutschen aus Hessen nach Russland sammelte. 1997–2002 wurden die Wanderausstellungen regelmäßig in vielen Städten und Ortschaften organisiert, vor allem bei allen wichtigen Treffen und Veranstaltungen der Russlanddeutschen.
Mit der Zeit wurde die Anzahl der Ausstellungsmaterialien so umfangreich, dass die Privaträumlichkeiten der Mietwohnung der Familie nicht mehr ausreichten. 2002 konnte R. Zielke fast alle seine Gegenstände stationär in einem Raum ausstellen. Der Niddaer Karl-Heinz Reinhardt stellte Zielke zur Verfügung für seine Sammlung einen ehemaligen Getreidespeicher in seinem stillgelegten landwirtschaftlichen Betrieb. Die Scheune war zuerst als Deponiestelle geplant, aber hat sich mit der Zeil ins Scheunenmuseum umgestaltet. Auf den 45 Quadratmetern Ausstellungsfläche könnten Besucherinnen und Besucher die Geschichte der Russlanddeutschen nachvollziehen.
Insgesamt hat Zielke mehr als 2.000 Ausstellungsstücke, meist Zeugnisse des deutschen Kulturlebens gesammelt. In seiner fast 30-jährigen Geschichte war ein Schwerpunkt des Museums die Präsentation der großen Sammlung von Bildern von den russlanddeutschen Malern: Johannes Graf, Adolf Pfeiiffer, Andreas Prediger, Alexander Wormsbecher u.a. Neben den Bildern widmete sich eine Abteilung des Museums der russlanddeutschen Geschichte, die die Rolle der Russlanddeutschen als Kulturträger in den vergangenen Jahrhunderten beleuchtete. In einer weiteren Abteilung wurden Exponate aus der Sowjetzeit ausgestellt. Weitere Höhepunkte des Ausstellungraumes boten die Abteilungen für überregional bedeutende Funde: alte Fotos, Karten und Zeichnungen, persönliche Erinnerungen und Familiengeschichten, Kleidungsstücke und Zeugnisse der Handwerkerkunst. Bilder und Exponate machten Geschichte für alle erlebbar.
Zielke produzierte selbst dutzende handgefertigte Sammelbände und Alben für seine Ausstellung, in denen er russlanddeutsche Familien, Wissenschaftler, Schriftsteller oder Künstler verewigt. Darunter erschütternde Dokumente und Fotoalben wie von den Dichtern und Schriftstellern Viktor Klein aus Novosibirsk, Adolf Pfeiffer aus Karaganda, die Erinnerungen „vom Hohe Norden: Stadt Norilsk/Halbinsel Taymir“ der Zeitzeugen Familie Zietz u.s.w.
Mit Ausstellungen und Vorträgen lockte Zielke die Besucher ins Museum. Daneben veröffentlichte er Artikel zur Popularisierung des Museums. Trotz vielfältiger Bemühungen war die Sammlung eine Familienangelegenheit geblieben. Er machte vergebens mehrere Versuche an einigen Behörden einen offiziellen Status zu erwerben. Er litt gewaltig unter diesen ungerechten Umständen. Das Museum wäre ohne das jahrzehntelange ideelle und finanzielle Engagement Zielkes nicht denkbar gewesen. Mehr als 90 Prozent der Finanzierung übernahm Zielke privat. Als Privatperson investierte Zielke Beiträge in die Erhaltung des Museums. Daneben engagierte er sich im gesellschaftlichen Leben. Von der Tatkraft von Zielke profitierten die Russlanddeutschen nicht nur in der Stadt Nidda oder in Hessen, sondern auch in dem gesamten Land.
Seit 2013 war das Museum wegen der langjährigen Krankheit der Gründer mehrere Monate und dann viele Jahre geschlossen, einige Inventare verlorengegangen, die verbliebenen Objekte waren zwischen dem Stadtarchiv Fulda und Museum in Nidda verteilt. Im Juli 2019 hat das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e.V. (Nürnberg) der große Teil der Exponate von Fulda erhalten, um die künftige Dauerausstellung zu behalten und unterzubringen. Es bleibt die Hoffnung, dass dank der Förderung das verlegte Museumssammlung nun wieder in neuem Glanz erstrahlen wird. Die Erhaltung der Exponate soll ein sichtbares Zeichen des Dankes für dieses herausragende Engagement der Familie Zielke zum Wohl der Russlanddeutschen sein.
Das „Scheunenmuseum“ von Reinhold Zielke: Russlanddeutsche Kulturgeschichte zum Anfassen und Erleben // http://lmdr.de/scheunenmuseum/; Exponaty museja rossiyskich nemzew budut wystawljatsja na meroprijatijach NDPG. In: Ost-West Panorama. N 8. August 2010. S. 12; Paulsen N. Von Hessen nach Sibirien und zurück. Eine ungewöhnliche Ausstellung russlanddeutscher Geschichte // http://www.ornis-press.de/von-hessen-nach-sibirien-und-zurueck.1091.0.html; Reinhold Zielke distanziert sich von Artikel. In: Ost-West Panorama. N 9. 1. September 2010. S. 11; Scheunenmuseum in Nidda. In: Wetteraukreis. 20. Juli 2000. S. 5; „Scheunenmuseum“ zur russlanddeutschen Kulturgeschichte in Nidda. Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa // https://www.bkge.de/Heimatsammlungen/Verzeichnis/Herkunftsgebiete/Wolga--Schwarzmeergebiet/Scheunenmuseum-Nidda.php; Weiz A. Die Spuren eines Ringelstocks aus Hessen. In: Deutsche Allgemeine Zeitung. 24. September 2015; Erlenbach K. Alexander Zilke. Poet i grazhdanin // https://docplayer.ru/137885010-Aleksandr-cilke-poet-i-grazhdanin.html