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HERDT VICTOR (russ. Gerdt/Cherdt Viktor, Гердт, Хердт Виктор)

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS

Herdt Victor (russ. Gerdt/Cherdt Viktor, Гердт, Хердт Виктор) – deutscher Historiker. Er wurde am 25. September 1949 im Dorf Boslavino, Rayon Tabunskij, Altai-Gebiet (UdSSR) in einer Familie wolgadeutscher Sondersiedler geboren. Sein Vater, Emanuel Herdt, arbeitete nach dem Studium an der Deutschem Landwirtschaftlichen Hochschule in Engels als Oberzootechniker der Landwirtschaftsabteilung des Kanton Mariental (heute Sowetskoje, Gebiet Saratov), die Mutter, Frieda Hermann, war Lehrerin an der Marientaler neunjährigen Mittelschule. Beide Eltern wurden im September 1941 auf Grund ihrer deutschen Volkszugehörigkeit nach Sibirien/Altaj (Dorf Boslavino, Rayon Tabunskij, Altai-Gebiet). Victor Herdt besuchte die Schule im benachbarten Zentraldorf Serebropol', wohin die Familie 1954 übergesiedelt war, und arbeitete nach dem Abitur (1966) zunächst als Schlosser im Baumwollkombinat von Kamyšin und danach als Installateur für Wasser- und Sanitäranlagen in Serebropol'. 1967–1969 studierte er an der Fakultät für Fremdsprachen an der Pädagogischen Hochschule Omsk (u.a. bei den namhaften Professoren Hugo Jedig und Heinrich Werner sowie den Dozenten Viktor Heinz und Otto Niederquell). 1969 bis 1973 folgte im Rahmen des Studentenaustauschprogramms zwischen der UdSSR und der DDR ein Studium an der Sektion Kulturwissenschaften und Germanistik der Karl-Marx-Universität Leipzig. In Leipzig lernte er seine aus Minsk stammende Frau, damals ebenfalls Austauschstudentin, kennen, die er 1972 heiratete.

Nach der Rückkehr in die Sowjetunion bekamen beide im August 1973 eine Anstellung am Lehrstuhl für germanisch-romanische Philologie der Pädagogischen Hochschule Minsk, wo sie die deutsche Sprache unterrichteten. Im selben Jahr erfolgte die Einberufung V. Herdts zum Wehrdienst, den er im Gebiet Kaliningrad bei Snamensk (ehemals Wehlau in Ostpreußen) ableistete. 1974 bis 1977 unterrichtete er erneut Deutsch an seiner früheren Arbeitsstelle. 1977–1980 war V. Herdt Aspirant (Doktorand) am Lehrstuhl für ausländische Literatur der Belorussischen Staatsuniversität in Minsk, wo er über sowjetdeutsch-deutsche literarische Beziehungen forschte, die auch schon Thema seiner Diplomarbeit in Leipzig waren. In dieser Zeit begann seine Zusammenarbeit mit der Literaturredaktion der Zeitung „Neues Leben“. Noch vor dem Abschluss der Aspirantur wurde V. Herdt auf die Stelle des Leiters der Literaturabteilung der Zeitungsredaktion „Neues Leben“ berufen. Diese Stelle musste er 1985 wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ bei der Druckempfehlung von Literaturwerken sowie „nationalistischer Autonomiebestrebungen“ verlassen. Es folgte eine Versetzung in die Stil- und Übersetzungsabteilung der Zeitungsredaktion. Ende 1987 wurde er durch den „Druck der Perestrojka“ wieder als Leiter der Literaturabteilung eingesetzt.

In den Jahren 1988 bis 1991 war V. Herdt Moskauer Korrespondent der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (Kasachstan). In dieser Zeit betätigte er sich auch als Übersetzer für die fremdsprachigen Redaktionen der Verlage „Progress“ und „APN“ sowie für die deutsche Redaktion der Zeitschrift „Sovetskij ėkran“. Seit Ende August 1991 lebt V. Herdt mit seiner Familie in Deutschland, seit September 1991 in Göttingen. Im selben Jahr begann im Rahmen eines auf drei Monate befristeten Werkvertrages die Zusammenarbeit mit dem Göttinger Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung, ab 01.01.1992 erfolgte dann seine Einstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter dieses Instituts. In gleicher Funktion setzte er seine Tätigkeit im 2002 neu gegründeten Nordost-Institut mit den Standorten Lüneburg und Göttingen fort.

Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit von V. Herdt standen u. a. Themen wie Nationalitätenpolitik in Russland und der Sowjetunion, Geschichte der nationalen Eliten, bäuerliche Mentalität im russischen Zarenreich. Er ist Herausgeber einiger grundlegender Werke von Anton Schneider und August Lonsinger zur Geschichte und Kultur der Wolgadeutschen sowie Mitherausgeber (mit Elizaveta Erina) eines Findbuchs zur Dokumentensammlung über Kultur und Geschichte der Wolgadeutschen (1764–1841) in der Engelser Filiale des Staatsarchivs des Gebiets Saratov (heute Historisches Staatsarchiv der Wolgadeutschen). Seit 2013 ist V. Herdt im Ruhestand. Herdt ist Mitglied der „Internationalen Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen“ (seit September 1996).

Er ist mit Nadja, geb. Curko/Цурко, verheiratet und hat zwei Kinder und eine Enkelin.

Bibliografie

August Lonsinger: Sachliche Volkskunde der Wolgadeutschen. Siedlung, Obdach, Nahrung, Kleidung / Victor Herdt (Hrsg.). – Remshalden-Grunbach, 2004. – 245 S., 95 Abb.; Aus der Entstehungsgeschichte des Kommissariats für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet // Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung. Die Jahre 1918 und 1941 bis 1948 in der Geschichte der Deutschen in Russland / Alfred Eisfeld (Hrsg.). – Stuttgart, 2008. – S. 48–74. (Sonderband der Reihe «Heimatbücher der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.»); Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee // Aktionstage Rußlanddeutsche in Bremen. – Bremen, 1997. – S. 87–95; Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee. Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956 / Alfred Eisfeld, Victor Herdt (Hrsg.). – Köln, 1996. – 455 S. (Der Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung Nr. 453); Deutsche in Rußland und in der Sowjetunion 1914–1941 / Alfred Eisfeld, Victor Herdt, Boris Meissner (Hrsg.). – LIT Verlag, Berlin; Münster; Wien; Zürich; London, 2007. – 480 S. (Geschichte: Forschung und Wissenschaft, Bd. 25); Die Deutschen in Sibirien: Eine hundertjährige Geschichte von der Ansiedlung bis zur Auswanderung / Historischer Forschungsverein d. Deutschen aus Russland e.V., mit Viktor Bruhl, Anton Bosch, Nina Paulsen, Hilde Häuser, 552 S., 2003; Die Neuordnung des Sondersiedlungsregimes und das Dekret vom 28. November 1948 // Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung. Die Jahre 1918 und 1941 bis 1948 in der Geschichte der Deutschen in Russland / Alfred Eisfeld (Hrsg.). – Stuttgart, 2008. – S. 204–222. (Sonderband der Reihe «Heimatbücher der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.»); Findbuch zum Aktenbestand 1831. Dokumentensammlung zur Geschichte und Kultur der Wolgadeutschen (1764–1941) in der Filiale des Staatsarchivs des Gebiets Saratov in Engels / Elizaveta Erina, Victor Herdt (Hrsg.): – Göttingen, 2002. – 133 S.; Gemeinsam getrennt: Bäuerliche Lebenswelten in multiethnischen Regionen des Schwarzmeer- und Wolgagebietes im späten Zarenreich / Victor Herdt, Dietmar Neutatz (Hrsg.): – Wiesbaden, 2010. – 308 S. (Veröffentlichungen des Nordost-Instituts, Bd. 7); Metropolen im russischen Vielvölkerreich. Petersburg und Odessa seit dem 18. Jahrhundert / Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte. N.F., Bd. XII/2003 / Victor Herdt (verantwortlich für das Heft). – Lüneburg: Nordost-Institut, 2004; Politische Strömungen und Konzeptionen in der wolgadeutschen Autonomiebewegung vom Februar 1917 bis zur Einsetzung des Kommisariats für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet im April 1918 // Deutsche in Rußland und in der Sowjetunion 1914–1941 / Alfred Eisfeld, Victor Herdt, Boris Meissner (Hrsg.). – LIT Verlag, Berlin; Münster; Wien; Zürich; London, 2007. – S. 159–173; Politische Strömungen und Konzeptionen in der wolgadeutschen Autonomiebewegung (April 1917–April 1918) // Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung. Die Jahre 1918 und 1941 bis 1948 in der Geschichte der Deutschen in Russland / Alfred Eisfeld (Hrsg.). – Stuttgart, 2008. – S. 28-47. (Sonderband der Reihe «Heimatbücher der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.»); Russifizierung in der Wahrnehmung der nichtrussischen Völker des Wolgagebiets (am Beispiel der Wolgadeutschen und der Tataren) // Gemeinsam getrennt: Bäuerliche Lebenswelten in multiethnischen Regionen des Schwarzmeer- und Wolgagebietes im späten Zarenreich / Victor Herdt, Dietmar Neutatz (Hrsg.). – Wiesbaden, 2010. – S. 195–216. (Veröffentlichungen des Nordost-Instituts, Bd. 7); Schneider, Anton: Aus der Geschichte der Kolonie Mariental an der Wolga / Victor Herdt (Hrsg.). –  Göttingen, 1999. – 142 S. (Veröffentlichung des Göttinger Arbeitskreises Nr. 483); Von der Autonomiedemontage zur Deportation und Entrechtung. Die Rußlanddeutschen in den Jahren 1936–1956 // Referate der Kulturtagung der Deutschen aus Rußland vom 15. bis 17. Oktober 1993 in Würzburg. – Stuttgart 1994. – S. 81–97; Zwischen Revolution und Autonomie. Dokumente zur Geschichte der Wolgadeutschen aus den Jahren 1917 und 1918 / Hrsg. von Victor Herdt. – Köln, 2000. – 547 S. (Veröffentlichung des Göttinger Arbeitskreises Nr. 488); 10 let konferencijam v Anape i Moskve. Voprosy, otvety, perspektivy // Klju-chevye problemy istorii rossijskih nemcev. Materialy mezhdunarodnoj nauch-noj konferencii. Moskva, 18–21 nojabrja 2003 g. – S. 13–28; Vnutrennjaja i vneshnjaja migracija rossijskih nemcev poslednego desjatiletija v zerkale stati-stiki i ocenke politikov // Migracionnye processy sredi rossijskih nemcev: Istoricheskij aspekt. Materialy mezhdunarodnoj nauchnoj konferencii. Anapa, 26–30 sentjabrja 1997 g. M.: Gotika, 1998. –  S. 393–404; Zemel'nyj vopros v nemeckih kolonijah Povolzh'ja v 1917–1918 gg. // Rossijskoe gosudarstvo, obshhe-stvo i jetnicheskie nemcy: osnovnye jetapy i harakter vzaimootnoshenij (XVIII–XXI vv.). Materialy XI mezhdunarodnoj nauchnoj konferencii: Moskva, 1–3 no-jabrja 2006 g. 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Moskva, 19–22 oktjabrja 2000 g. M., 2001. – S. 40–49; Jernst Rojter v Rossii i na Volge // Rossijskie nemcy v inonacional'nom okruzhe-nii: problemy adaptacii, vzaimovlijanija, tolerantnosti. Materialy mezhduna-rodnoj nauchnoj konferencii. Saratov, 14–19 sentjabrja 2004 g. M., 2005. – S. 312–333; Jetnodemograficheskie processy v Saratovskoj oblasti v 1940-e gody // Rossijskie nemcy na Donu, Kavkaze i Volge. Materialy rossijsko-germanskoj nauchnoj konferencii. Anapa. 22–26 sentjabrja 1994 g. M., 1995. – S. 211–222 u.a.

Literatur

Herdt (Gerdt) Viktor // Mezhdunarodnaja associacija issledovatelej istorii i kul'tury rossijskih nemcev. 1995–2010: Spravochnik / Sost. I.V. Cherkaz'janova, T.B. Smirnova. – M.: MSNK-press, 2010. C. 187–190; Chernova T.N. Rossijskie nemcy: otechestvennaja bibliografija 1991–2000 gg. M., 2001; 10 Jahre Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung des Göttinger Arbeitskreises e. V. // 10 Jahre Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung des Göttinger Arbeitskreises e. V. Forschungs- und Publikationsbericht / Red. S. Eichwald. – Göttingen, 2001. S. 21–33. (Der Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung № 506); Die Rußlanddeutschen in der Forschung des Göttinger Arbeitskreises // 50 Jahre Göttinger Arbeitskreis / B. Meissner, A. Eisfeld (Hrsg.). – Göttingen, 1998. – S. 35–46. (Der Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung № 473); Paulsen N. Viele Bereiche der russlanddeutschen Kulturgeschichte mitgeprägt. In: Volk auf dem Weg. Nr. 8–9, 2019. S. 41; Victor Herdt im Interview mit Nina Paulsen: "Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Russlanddeutschen ihrer Muttersprache entfremdet werden sollten". In: Heimatbuch 2020 der Deutschen aus Russland. Stuttgart: Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V., 2020. S. 30–68.

Autoren: Lizenberger O.A.

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