RU

neue
illustrierte elektronische

SARATOW , im Südosten des europäischen Teils Russlands gelegene Stadt und Verwaltungszentrum des gleichnamigen Gebiets

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Saratow. Kathedral-Platz und lutherischen Kirche an der Nikolskaja-Straße.
Saratow. Postkarte. Deutsche Straße und katholische Kathedrale.
„Saratow-Mehl AG“, Tschernyschewski-Straße Nr. 80. Frühere Dampfmühle der „Industrie- und Handelsgenossenschaft der Brüder Schmidt“ (1900). Foto Je. Moschkow, 2010.
Evangelisch-lutherische Kirche in Saratow (1879). Entwurf: J. Jacobsthal. Architekt: Karl Thieden.
Frühere Stadtvilla von Boreli in der Armenischen Straße. Heute Städtischer Eheschließungspalast. Foto Je. Moschkow, 2014.
Katholische Kathedrale in der Deutschen Straße. Postkarte aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Dampfbetriebene Wurstfabrik der Brüder Kiesner und Glock aus Kamenka (1902). Foto Je. Moschkow,2014.
Katholische St. Peter und Paul-Kathedrale in Saratow. Foto Je. Moschkow, 2014.
Haus des katholischen Bischofs in Saratow. Postkarte aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Katholisches Seminar in der Malaja Sergijewskaja-Straße in Saratow. Postkarte aus dem frühen 20. Jahrhundert.

SARATOW, im Südosten des europäischen Teils Russlands gelegene Stadt und Verwaltungszentrum des gleichnamigen Gebiets. Nach mehreren Verschiebungen befindet sich die Stadt seit 1674 an ihrem heutigen Standort. 1780 erhielt Saratow Stadtrecht. Saratow war die Hauptstadt der Statthalterschaft Saratow (ab 1781), des Gouvernements Saratow (ab 1782), der Region Untere Wolga (ab 1928) und der Region Saratow (1934-36) und ist seit 1936 das Verwaltungszentrum des Gebiets Saratow. Saratow liegt auf dem rechten Ufer der Wolga und ist eine Hafenstadt.

Kurze Geschichte der in Saratow ansässigen ausländischen Siedler. Saratow wurde am 12. Juli 1590 von Fürst O. Sassekin als befestigter Vorposten gegründet, um den Schiffsverkehr auf der Wolga und die östlichen Landesgrenzen gegen Überfälle der in der Steppe lebenden nomadischen Reitervölker zu sichern. Im frühen 18. Jahrhundert verlor Saratow zunehmend die Züge eines reinen Militärstützpunkts und entwickelte sich zu einem Zentrum von Handel und Gewerbe.

Die ersten ausländischen Kolonisten (Lutheraner und Katholiken) kamen im Jahr 1764 aufgrund des Erlasses Katharinas II. vom 4. Dezember 1762 und des Einladungsmanifests vom 22. Juli 1763 („Über die allen nach Russland einreisenden Ausländern erteilte Erlaubnis, sich in den Gouvernements nach ihrem Wunsche niederzulassen, und über die ihnen gewährten Rechte“) nach Saratow. Dank umfassender Bekanntmachung des Manifests und entsprechender Anwerbungsaktivitäten wurden in den Jahren 1763-69 auf dem Territorium des heutigen Gebiets Saratow insgesamt 104 Kolonien gegründet. Am 27. April 1766 wurde in Saratow das Fürsorgekontor für Ausländische Kolonisten eingerichtet.

Das Manifest von 1763 sah vor, in den Städten eigene Handwerkersiedlungen zu gründen, so dass 1764 auch in Saratow auf den hinter dem Glebutschew Owrag gelegenen Anhöhen die sogenannte Nemezkaja Sloboda (Deutsche Vorstadt) entstand. Bis November 1765 wurden 16 für die Übersiedler bestimmte Kasernen errichtet, die aus etwa zwanzig Meter langen, für mindestens zwei Familien bestimmten standardisierten Baracken bestanden, in denen die im Herbst in das Wolgagebiet gekommenen Kolonisten in der Regel den ersten Winter verbrachten. 1769 wurden 134 Einwohner der Deutschen Vorstadt hinter die Stadtgrenze in die Gegend des heutigen Kirow-Prospekts umgesiedelt. Seit den 1820er-1830er Jahren hieß die heute als Fußgängerzone genutzte Straße „Nemezkaja Uliza“ [„Deutsche Straße“].

Die Bevölkerungszahl der Deutschen Vorstadt stieg auch infolge des Zuzugs aus den umliegenden Kolonien stammender, „für den Ackerbau nicht geeigneter“ Handwerker. So schrieb etwa der Forschungsreisende und Naturforscher Johann Peter Falck (Mitglied der Akademie der Wissenschaften): „Viele Kolonisten sind gute Landwirte und kommen zurecht. Nicht wenige haben sich nach und nach wieder so gut sie es noch vermochten zu ihren erlernten Gewerben gewendet und kommen auch fort. In Saratow sind Kolonisten Sattler, Maler, Petschierstecher [Siegelmacher], Goldschmiede, Bildstecher, Hutmacher, Strumpf- und Zeugwirker, Samt- und Seidenweber, Büchsenschäfter usw.“ Zugleich merkte Falck allerdings auch an, dass in den 16 Saratower Kasernen im Jahr 1769 „30 ruinierte Familien lebten, die als Strafe für schlechtes Wirtschaften gezwungen waren, in der Ziegelei zu arbeiten“.

Anfang der 1770er Jahre pflanzten die Kolonisten A. Werde, J. Ruh, I. Stängel und W. Forspecht die ersten Maulbeerbäume an und eröffneten eine Seiden- und Strumpffabrik, die allerdings im August 1774 wie auch die Maulbeerpflanzungen von den Truppen Pugatschows zerstört wurde, als dieser die Stadt plünderte und einige hundert Bewohner tötete. Unter den Opfern waren auch 50 Deutsche, die für das Fürsorgekontor arbeiteten oder als Apotheker, Ärzte und Offiziere tätig waren.

Die bestens in das Kultur- und Wirtschaftsleben Saratows integrierten Deutschen leisteten über viele Jahre einen unschätzbaren Beitrag zur Entwicklung der Stadt. So war es kein Zufall, dass die erste Apotheke der Stadt (1805 von Lindegreen eröffnet, später Apotheke Schmidt), die ersten Geschäfte und Läden (1810), die erste Tabakfabrik Russlands (1820 von K. Staf gegründet), der erste Klub (1840), das erste Fotoatelier (1854 von Werkmeister gegründet), die ersten Hotels und das erste Sommertheater just in der Deutschen Vorstadt entstanden, die sich mit der Zeit zu einem zentralen und überaus wohlhabenden Stadtteil entwickelte. Viele gut gestellte Bewohner der Stadt erwarben auf der Deutschen Straße Wohn- und Geschäftshäuser. 1865 nahm die erste Mühle der Stadt (I.I. Seifert) ihre Arbeit auf, die wenig später von P. Schmidt gekauft wurde. 1876 und 1882 folgten die Mühlen von K. Reineke und E. Boreli. 1888 wurde das Handelshaus „Gebrüder Schmidt“ und 1892 das Handelshaus „E. Boreli“ gegründet. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Teigwaren-Fabrik von Eisele, das Sägewerk von Gering sowie die Motorenfabrik und die Gießerei von Ehrt in Saratow einen guten Ruf. Zeitgenossen erwähnten immer wieder, wie sehr Kultur und Erscheinungsbild der Stadt von den Deutschen geprägt waren. 1911 wurde in Saratow ein deutsches Konsulat eröffnet, das bis 1914 bestand und bei Ausbruch des 1. Weltkriegs geschlossen wurde. Mit Kriegsbeginn wurde die Deutsche Straße in General Skobolew-Straße umbenannt. Von Oktober 1918 an waren die Führungsorgane des Gebiets der Wolgadeutschen zunächst in Saratow angesiedelt, bevor sie im Mai 1919 infolge von Meinungsverschiedenheiten mit der Gouvernementsführung nach Katharinenstadt verlegt wurden. Im September 1941 wurde die gesamte in Saratow ansässige deutsche Bevölkerung (11.300 Personen) nach Sibirien und Kasachstan deportiert.

Schule und Erziehungswesen. Im Jahr 1786 wurde in der Deutschen Vorstadt offiziell eine Kirchenschule eröffnet, die zugleich die erste in der Stadt bestehende Schule überhaupt war. Den Kirchenchroniken lässt sich entnehmen, das der erste Lehrer dieser Schule Markgraf hieß. Im Jahr 1803 errichteten die Lutheraner ein neues Schulgebäude. 1805 wurde eine eigene katholische Schule gegründet, die „in Ermangelung eines eigenen Hauses im linken Flügel des Kirchengebäudes“ untergebracht war. Als Lehrer und Küster der lutherischen Schule waren K. Taler (1803-05) und I. Eichhof (1805-28, 1830-36) tätig. 1821 wurde in der Schule der Posten eines Hilfslehrers eingeführt, der zugleich die Pflichten des Küsters erfüllte, während der Hauptlehrer zugleich auch als Organist tätig war. In den Jahren 1839-50 war A. Klaus an der Schule als Hauptlehrer tätig, der selbst Absolvent dieser Schule war und sich auch als Historiker der Wolgadeutschen einen Namen machte. In den Erinnerungen an seine eigene Schulzeit schrieb er, dass „Stockschläge auf die Hände und endloses Auswendiglernen“ dort die Regel gewesen seien. Von 1852 an wurde in der Schule auch Russisch unterrichtet. Im gleichen Jahr wurde in der Gemeinde eine zweite Kirchenschule eröffnet, die aber aufgrund fehlender Mittel bereits wenige Jahre später wieder schließen musste.

Nachdem Saratow Sitz des römisch-katholischen Bistums Tiraspol geworden war, genehmigte Zar Alexander II. am 11. Februar 1856 die Gründung eines Priesterseminars mit insgesamt 25 Zöglingen, dessen feierliche Eröffnung am 1. September 1857 stattfand . Neben dem eigentlichen Seminar gab es auch ein Vorseminar (Kleines Seminar, Knabenseminar). Rektoren des Seminars waren u.a. F. Zottman, M. Glosner, A. Boos, R. Fleck, I. Kruschinski, I. Antonow und A. Frison. Unterrichtsfächer waren Dogmatik, Homiletik, Hermeneutik, Bibelexegese, Einführung in das Bibelstudium, Kirchenrecht, Kirchengeschichte, Pastoraltheologie, Philosophie, lateinische Literatur, Geschichte Russlands, Literaturgeschichte und Stilistik. Im Vorseminar wurde Religion, Latein, Russisch, Deutsch und Französisch, Mathematik, Weltgeschichte, Physik, Geographie, Kosmographie, Kalligraphie, Kirchengesang, das Spielen eines Musikinstruments und Chorgesang gelehrt. Die Unterrichtssprachen waren Deutsch und Russisch. Liturgie und Sittenlehre wurden in lateinischer Sprache unterrichtet.

Die Zahl der Studenten nahm stetig zu. 1882 war das Seminar auf 43 geförderte Plätze ausgelegt (25 im Vorseminar und 18 im Priesterseminar). Weitere 30 Personen konnten pro Jahr auf eigene Kosten studieren. 1888 lernten insgesamt 120 Personen am Seminar. Die beiden besten Absolventen eines Jahres wurden an die Priesterakademie in St. Petersburg entsandt. In der gesamten Zeit seines Bestehens schlossen 244 künftige Geistliche das Seminar ab. Allein bis zum Jahr 1882 hatte das Seminar 68 Absolventen, unter denen 49 Deutsche, 17 Polen und zwei Georgier waren. Jeweils ein Pole durfte jedes Jahr in das Seminar eintreten, sofern er tadellos Deutsch sprach. An das Seminar war ein wohltätiges Krankenhaus angeschlossen.

Im Jahr 1866 wurde die mit Hilfe der Mäzene K. und I. Seifert und F. Stein bei der evangelisch-lutherischen Gemeinde gegründete Alexander-Maria-Schule feierlich eröffnet, die in einem Neubau in der Armenischen Straße untergebracht war und insgesamt vier Klassen umfasste. 1871 lernten dort insgesamt 121 Schüler, von denen 89 Lutheraner und die übrigen Katholiken und Orthodoxe waren. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wurden die Mädchenklassen 1871 geschlossen. 1872 wurde die Schule dem Kasaner Schulbezirk überstellt und unter der Bedingung zu einer Realschule umgewandelt, dass zwölf deutsche Kinder kostenlos lernen durften und der Religionsunterricht für die protestantischen Schüler erhalten blieb.

In der Kirchenschule lernten 1872 60 Kinder. 1874 wurde mit Unterstützung der Mäzene I. Seifert und F. Stein ein neues Schulgebäude errichtet. Im August 1876 nahm eine zweite weiterführende Gemeindeschule ihre Arbeit auf, deren auf dem Kirchhof errichtetes Gebäude vollständig von Seifert finanziert wurde. An dieser zwei Klassen umfassenden sogenannten „Seifert-Schule“, die bis 1882 bestand, sollten die Kinder Bedürftiger lernen. 1889 eröffnete Pastor Thomson in Form des Deutschen Gymnasiums eine weitere weiterführende Kirchenschule. 1892 wurde diese Sekundarschule für Knaben und Mädchen von über 120 Schülern besucht. 1891 wurde ein neues Gebäude der kirchlichen Grundschule errichtet, die mit der Zeit zu einer „Armenschule“ wurde. Neben diesen beiden Schulen gehörte auch die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts von etwa 130 Kindern besuchte Grundschule der Pokrowskaja Sloboda zur Gemeinde. Nach Stand zum Jahr 1910 hatten die genannten drei Schulen zusammen etwa 1.000 Schüler.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche. Die in Saratow ansässigen Deutschen waren größtenteils evangelisch-lutherischer oder katholischer Konfession. 1770 wurden die ersten beiden offiziellen Kirchengemeinden der Stadt gegründet – eine lutherisch-reformierte, der drei Viertel, und eine katholische, der ein Viertel der Bevölkerung der Deutschen Vorstadt angehörten. Anfang des 20. Jahrhunderts stellten Lutheraner etwa zwei Drittel und Katholiken etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung.

Der evangelisch-lutherische Pfarrsprengel Saratow, zu dem neben der zentralen Gemeinde in Saratow auch die Gemeinden in der Pokrowskaja Sloboda und in Wolsk gehörten, wurde am 12. Juli 1790 offiziell gegründet. Dem 1804 gegründeten katholischen Pfarrsprengel Saratow gehörten die Gemeinden von Saratow und der Pokrowskaja Sloboda sowie Anfang des 20. Jahrhunderts auch einzelne in Nikolajewsk und Nowousensk (Gouvernement Samara) ansässige Katholiken an.

In der ersten Zeit gab es für alle Bewohner der Deutschen Vorstadt ohne Ansehen der Konfession gemeinsame Gottesdienste, die im 1772 errichteten Bethaus abgehalten wurden. Nach den Erinnerungen von Zeitgenossen wurden unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit immer alle Siedler zusammengerufen, wenn aus den Kolonien ein lutherischer oder katholischer Geistlicher in die Stadt kam. Da die Protestanten lange Zeit keinen eigenen Pastor hatten, vollzog der katholische Geistliche A. Fuchs auch für sie unaufschiebbare kirchliche Zeremonien.

Am 11. Juni 1790 fand unter Beteiligung des Generalgouverneurs Nefedow die Grundsteinlegung der ersten in der Deutschen Vorstadt errichteten Holzkirche statt, deren vom Gouvernementsarchitekten A. Triper geleiteter Bau 1793 abgeschlossen wurde. Da die Protestanten in der Vorstadt die Mehrheit stellten, wurde die Kirche am 25. September 1793 als evangelisch-lutherische St. Marien-Kirche geweiht, wurde aber laut Kirchenchroniken nichtsdestotrotz für die Gottesdienste sowohl der Lutheraner als auch der Reformierten und Katholiken genutzt, solange letztere nicht über eine eigene Kirche verfügten. Gemäß einem am 29. September 1804 mit den Lutheranern abgeschlossenen Vertrag erhielten die in der Deutschen Vorstadt ansässigen Katholiken vom Kirchenrat der evangelischen Gemeinde 75 Rubel für den Bau eines eigenen Bethauses, woraufhin die St. Marien-Kirche endgültig allein von den Lutheranern genutzt wurde. Die Kirche bot Platz für 1.000 Betende. 1814 wurde bei der Kirche ein Glockenturm gebaut.

Ein Markstein in der Geschichte des Katholizismus sowohl an der Wolga als auch in Russland insgesamt war die 1802 mit Genehmigung Alexanders I. erfolgte Gründung einer Residenz der Jesuitenmission. Die 31 katholischen Kolonien des Wolgagebiets wurden in zehn Missionen unterteilt, die jeweils von Jesuiten geführt wurden, die am 5. März 1803 nach Saratow gekommen waren. An der Spitze der Missionen standen die beiden Superioren Alois Landes (5. März 1803 - 20. März 1809) und Johann Meyer (20. März 1809 – 20. September 1820). Bis zur per Erlass vom 20. September 1820 erfolgten Ausweisung der Jesuiten aus dem Russischen Reich waren insgesamt 33 Mitglieder des Jesuitenordens in Saratow tätig.

Im Jahr 1805 konnten die Katholiken dank der von dem Kaufmann Felician Edsarski und seiner Mutter gespendeten Mittel auf einem (am heutigen Kirow-Prospekt gelegenen) Grundstück, das ihnen die Witwe Karolina Floret geschenkt hatte, eine Schule eröffnen und den zuvor als Schulhaus genutzten 14x9 Meter großen Holzbau zu einer eigenen Kirche umbauen, die zum höchsten und schönsten Gebäude der Vorstadt wurde. Ein ebenfalls von Edsarski gestiftetes zweites Haus diente als Wohnstätte der Jesuiten und Kirchenangestellten. Um die Kirche herum wurde ein Garten angelegt. Der aus der Kolonie Brabander stammende Jesuit Thaddäus Hattowsky weihte die Kirche im Jahr 1805 im Namen des Heiligen Franz Xaver. Im Jahr 1827 wurde der Kirche unter Superior Putowski ein kleiner im byzantinischen Stil gehaltener Turm aufgesetzt und das Gebäude selbst auf Kosten der Gemeindemitglieder mit rotem Backstein verklinkert, umgebaut und erweitert.

Gemäß der Bulle Papst Pius IV. „Universalis ecclesiae cura“ vom 3. Juli 1848 sollte Saratow Residenz eines der beiden Suffraganbischöfe des 1848 neugegründeten Bistums Cherson (später Tiraspol) werden. 1856 wählte der erste Bischof des Bistums Tiraspol F.G. Kahn (1787–1864) Saratow zu seinem Wohnort, was nur „vorübergehend“ gedacht war, letztlich aber dazu führte, dass Saratow bis 1918 Bistumsresidenz blieb und dadurch nach St. Petersburg und Moskau zum dritten Zentrum der römisch-katholischen Kirche in Russland wurde.

Zur Unterscheidung vom orthodoxen Bistum Saratow behielt das katholische Bistum den Namen Tiraspol auch nach dem Umzug bei. Am 5. November 1856 fand in Saratow die offizielle Eröffnung des Geistlichen Konsistoriums und die Vereidigung seiner Mitglieder statt. 1857 wurden für den Unterhalt des Bistums (Salär des Bischofs und der Mitglieder des Konsistoriums, Gebäudemieten usw.) 24.075 Rubel aus der Staatskasse angewiesen.

Nach der Gründung des Bistums Tiraspol wurde die katholische Kirche der Stadt am 3. März 1856 offiziell zu einer Kathedrale, in der auf höchstes Gebot des Zaren täglich Gottesdienste abgehalten werden durften. Im gleichen Jahr wurde die Kathedrale um einen Chorraum erweitert, in dem sich die Kathedra des Bischofs, die Plätze der Mitglieder des Konsistoriums und Bänke für 60 Seminaristen befanden. Insgesamt waren in der Kathedrale, in der die Reliquien der Heiligen Märtyrer Pazient und Concordia, das berühmte Gemälde Tizians „Gottesmutter mit dem Kind und Johannes“ sowie die Ikonen des Heiligen Xaver, des Heiligen Borja und des Heiligen Loyola verwahrt wurden, sechs Geistliche tätig. Neben der Kirche wurde ein Obstgarten angelegt.

Das römisch-katholische Konsistorium in Saratow, das für die Verwaltung des Bistums, die Aktenführung, die Kontrolle der Kirchenmatrikel und Kassenbücher sowie die über die Geistlichkeit auszuübende Gerichtsbarkeit zuständig war, war zunächst in einem bei dem Kaufmann F.O. Schechtel angemieteten Gebäude in der Sergijewskaja-Straße Nr. 101 und in den Jahren 1867-86 im gleichen Gebäude wie das Priesterseminar (Malaja Sergijewskaja-Straße 76; heute Mitschurin-Straße 86) untergebracht. Da für die Unterbringung der Mitglieder des Konsistorium insgesamt 62 Zimmer benötigt wurden, wurde 1872 für 24.000 Rubel ein weiteres Haus in der Deutschen Straße angekauft.

In den Jahren 1873-80 wurden in allen katholischen Pfarrgemeinden des Bistums Spenden für den Bau einer neuen Kathedrale gesammelt, da die gerade einmal 150 Gläubigen Platz bietende alte Kirche, die zudem über keine großen und hellen Fenster verfügte, dem Status einer Bischofskirche nicht gerecht werden konnte. Bis 1880 wurden 46.000 Rubel gesammelt, weitere 50.000 Rubel kamen aus der Staatskasse hinzu. Im Jahr 1878 wurde die alte Kirche, die 73 Jahre ihre Dienste geleistet hatte, abgerissen und an gleicher Stelle (Deutsche Straße, heute Kino „Pionier“ am Kirow-Prospekt Nr. 11) ein Neubau errichtet, dessen von dem Saratower Gouvernements-Ingenieur, Hofrat und Architekten M.N. Grudistow (1850-1902) geleiteter Bau 1881 abgeschlossen wurde. Der ursprünglich von K. Newski eingereichte, an westlichen Vorbildern orientierte Bauplan wurde von der Gouvernementsverwaltung geändert, da der Kirchturm die Kuppeln sämtlicher orthodoxer Kirchen der Stadt überragt hätte. Die Kathedrale hatte zwei spitze Zeltdachtürme, hohe Spitzbogenfenster und mit Halbrosetten geschmückte Haupteingänge.

Am 20. Mai 1881 weihte Bischof F.K. von Zottman (1826-1901) die neue Kathedrale dem Heiligen Clemens von Rom, der der Legende nach auf der zum Bistum gehörigen Halbinsel Krim den Märtyrertod gestorben war und der Schutzheilige des Bistums Tiraspol war. Die Innenausstattung der Kathedrale verblüffte die Zeitgenossen durch Pracht und Schönheit: ein von einem Baldachin überdachter vergoldeter Altar, zwei aus Paris eingeführte mächtige Gipsstatuen der Schutzheiligen des Bistums Pius V. und Philomena; bunte Glasfenster, ein reich verzierter Bischofsstuhl (Kathedra) und eine im Jahr 1896 in Warschau von Meister Potelski gebaute Orgel. Die Ausmalung der Kirche stammte von den Künstlern Kirejew, Ischenkow und Schidkow, die nach Abschluss der Arbeiten eine Sonderprämie erhielten. 1911 fertigte die Werkstatt des Südtiroler Holzschnitzers F. Stuflesser für die Saratower Kirche mehrere Eichenskulpturen, eine vergoldete Kathedra, neues Gestühl und ein Sakramentshäuschen an.

Ein wichtiger Markstein der Geschichte des Luthertums an der Wolga und in Russland insgesamt war die per Erlass des Obersten Senats vom 25. Oktober 1819 erfolgte Gründung des evangelisch-lutherischen Konsistoriums in Saratow. Zum neuen Konsistorialbezirk, der sich über ein Gebiet mit einer Fläche von 1.113 Quadratkilometern erstreckte, gehörten die neun (später zehn) Gouvernements Saratow, Astrachan, Woronesch, Tambow, Rjasan, Pensa, Simbirsk, Kasan und Orenburg. Aus verschiedenen Gründen konnte das Konsistorium, das in einem in der Konstantin-Straße (heute Sowjetskaja-Straße Nr. 10) gelegenen Haus von K. Ehrt untergebracht war, erst am 23. Januar 1822 (also gut zwei Jahre nach seiner Gründung) offiziell eröffnet werden. Zum Superintendenten des Konsistoriums wurde Ignato Aurelius Fessler ernannt, der auf einen interessanten Lebensweg vom katholischen Kapuzinermönch über die Orthodoxie, das Freimaurertum und die Herrnhuter Bruderschaft zum lutherischen Bischof zurückblicken konnte. 15 Jahre später wurde das Saratower Konsistorium im Jahr 1834 aufgelöst.

Am 15. Juli 1877 fand in der Deutschen Straße (am heutige Standort der Agrarwissenschaftlichen-Universität, Ecke Kirow-Prospekt und Radischew-Straße) die feierliche Grundsteinlegung der neuen lutherischen Steinkirche statt, deren Bau von dem Saratower Architekten Karl Thieden geleitet wurde, der sich wiederum auf Pläne des Berliner Architekten Professor Johann Eduard Jacobsthal (1839-1902, Geheimrat, Rektor der Technischen Universität Berlin-Charlottenburg und Mitglied der deutschen Akademie der Künste) stützte, der für seine filigranen architektonischen Projekte bekannt war und unter anderem auch am Bau der Berliner Stadtbahnstationen Alexanderplatz und Bellevue, der Bahnhöfe in Colmar, Metz und Straßburg sowie des neogotischen Turms der St. Moritzkirche in Mittenwalde beteiligt war.

Im Juli 1873 arbeitete Jacobsthal die Pläne für den Bau der Kirche der deutschen Wolgakolonie Zürich aus, an deren Errichtung auch K. Thieden beteiligt war, der anschließend auch für die lutherische Gemeinde Saratow eine in vielen architektonischen Details nahezu baugleiche Kirche errichtete. So verfügten beide Kirchenbauten über einen eleganten Turmhelm und einen mit Ornamenten geschmückten rechteckigen Glockenturm, dessen doppelte Bogenfenster in alle Himmelsrichtungen wiesen. In einigen anderen Details wurde Jacobsthals Entwurf abgeändert, so dass die Saratower Kirche ihr eigenes unverwechselbares Antlitz erhielt. Auf dem über der Altarwand gelegenen Teil des Daches ragten sieben dreieckige Zinnen hervor, der untere Stock des Glockenturms war in der Breite mit vier Ziegelsteinen gemauert. Das Gebäude hatte ein Kalkmörtel errichtetes Backsteinfundament. Die Chorempore war über eine schmiedeeiserne Treppe zu erreichen. Der Boden der Kirche war mit weißem Stein ausgelegt. Die Saratower Kirche, die Elemente des Historismus und der Neoromanik vereinte, stellte ein herausragendes Beispiel der europäischen bzw. deutschen Baukunst dar. Nachdem die Kirche bereits am 5. Mai 1879 in Anwesenheit des Gouverneurs Galkin-Brasski, der gesamten Stadtführung und der Pastoren zahlreicher Wolgakolonien von Probst K.F. Kossman geweiht worden war, wurde der Bau Anfang August 1879 schließlich vollständig abgeschlossen. Wie schon der hölzerne Vorgängerbau bot auch die neue Kirche Platz für 1.000 Gemeindemitglieder.

Am 1. März 1859 wurde bei der lutherischen Gemeinde eine Hilfskasse zur Unterstützung der evangelischen Kirchen Russlands gegründet. 1888 wurde bei der Kirche eine Wohltätigkeitseinrichtung („Haus der Barmherzigkeit“) gegründet, die sich aktiv an der Bekämpfung von Epidemien beteiligte und Bedürftigen Hilfe leistete. Als das Gouvernement Saratow im Jahr 1891 von einer Missernte heimgesucht wurde, richtete die St. Marien-Kirche ein Hungerhilfekomitee ein, dessen kostenlose Großküche 500 Bedürftige ohne Ansicht der Konfession speiste. 1914 wurden unter dem Dach der Kirche ein Hilfskomitee für Kriegsopfer sowie zwei Lazarette eingerichtet, in denen Verwundete ohne Ansicht der Konfession behandelt wurden. In der Geschichte der Gemeinde spielten Wohltäter und Philanthropen immer wieder eine herausragende Rolle. So wurde der 1881 erfolgte Bau des Pfarrhauses ebenso von Mäzenen finanziert wie die umfassende Restaurierung der in der Armenischen Straße (heute Wolschskaja-Straße) gelegenen Pfarrei in den Jahren 1901-03. 1914 hinterließ J. Boreli der Gemeinde 25.000 Rubel für den Bau einer neuen Kirche.

Nach der Machtübernahme der Bolschewiki wurde die Residenz des katholischen Bischofs beschlagnahmt und zu einem Waisenhaus umfunktioniert. Das Priesterseminar wurde geschlossen und zu einem Lazarett umgewandelt. Die Mitglieder des Ordenskapitels und des Konsistoriums wurden ebenso wie die Professoren und sonstigen Lehrkräfte des Seminars aus ihren Wohnungen vertrieben. Bischof I. Kessler floh ebenso wie die Führung des Bistums und des Seminars am 14. (28.) August 1918 heimlich nach Odessa.

 

Grundlegende Veränderungen vollzogen sich auch in der lutherischen Gemeinde. Gemäß dem Dekret „Über die Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche“ durfte die St. Marien-Gemeinde das Kirchengebäude zwar vorläufig weiter nutzen, aber nicht mehr als Eigentum ansehen. Das Pfarrhaus wurde konfisziert. Zur Zeit der Hungersnot von 1921 wurde in Saratow eine Vertretung der US-amerikanischen „American Relief Administration“ (A.R.A.) eröffnet, die im Wolgagebiet umfassende Hungerhilfe leistete.

1922 wurden die Kirchenschätze der St. Marien-Kirche, die die Gemeindemitglieder im Verlauf von 150 Jahren zusammengetragen hatten, aufgrund der entsprechenden Beschlussfassung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees enteignet. Am 19. Februar 1925 wurde das „Kollektiv der Gäubigen“ aufgrund einer Anordnung des Gouvernementsexekutivkomitees verpflichtet, alle Personen zu melden, an denen religiöse Zeremonien vollzogen wurden. 1930 hatte die St. Marien-Gemeinde in Saratow, der im Jahr 1905 noch 16.400 Gläubige angehört hatten, nur noch gerade einmal 243 Mitglieder. 1931 wurde Pastor Wagner wegen angeblicher antisowjetischer Tätigkeit verhaftet und für 15 Jahre nach Archangelsk verbannt. Im Dezember 1934 wurde auch Pastor Emil Pfeiffer verhaftet und verurteilt. 1935 wurde die evangelisch-lutherische St. Marien-Kirche auf Beschluss des Präsidiums des Saratower Stadtsowjets geschlossen. Von 1936 an waren im Gebäude der früheren lutherischen Kirche zunächst eine Abteilung der Staatsbank und später die Philharmonie sowie das Puppentheater untergebracht. Nachdem die Kirche Anfang der 1970er Jahre zerstört worden war, wurde an ihrem Standort das Gebäude des Agrarinstituts errichtet.

Ein trauriges Schicksal erlitten auch die in Saratow ansässigen deutschen Katholiken. Von 1921 an übte Dechant Avgustin Baumtrog (1883–1937) heimlich die Funktion des katholischen Bischofs aus. 1930 wurde der Apostolische Administrator und letzte in der Kathedrale dienende Geistliche Baumtrog unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet und 1931 zum Tod durch Erschießen verurteilt. Nachdem das Urteil zu zehn Jahren Freiheitsentzug im Arbeitsbesserungslager umgewandelt worden war, starb er im März 1937 auf den Solowezki-Inseln.

Ein ähnliches Schicksal ereilte auch viele andere zu früheren Zeiten in Saratow tätige Geistliche. Der Geistliche und Historiker Gottlieb Beratz, der in den Jahren 1909-11 in Saratow gedient hatte, wurde 1921 angeklagt, sich an dem von Mariental ausgehenden Bauernaufstand in den Kolonien des Bezirks Marxstadt beteiligt zu haben. Die Geistlichen Georg Baier, Raphael Dietrich und Adam Desch wurden 1931 im Zuge eines gegen die deutsche katholische Geistlichkeit gerichteten kollektiven Verfahrens angeklagt und verurteilt.

Im Jahr 1935 wurde die Kathedrale per Erlass des Präsidiums des Saratower Stadtsowjets „auf Bitten der Werktätigen“ geschlossen. Das Kircheninventar, religiöse Kultgegenstände, Bücher sowie Holz- und Gipsskulpturen wurden dem Gebietsmuseum für Heimatkunde zur Aufbewahrung überlassen, wo sie sich bis zum heutigen Zeitpunkt befinden. Im Jahr 1941 wurde das Kirchengebäude von den Leningrader Architekten O.N. Pomorina und O.N. Krestin zu einem Kino umgebaut, das den Namen „Pionier“ erhielt. Im Jahr 1966 wurde das Gebäude nach Plänen der Saratower Architekten W.I. Skorobogatow und G.A. Sacharowa einem weiteren Umbau unterzogen, bei dem man den oberen Teil der Fassade abriss, die Fensteröffnungen zumauerte und einige Anbauten errichtete.

Liste der Pastoren des Pfarrsprengels Saratow: Laurentius Ahlbaum (1773-86). Johann Gottfried Herrmann (1803-16). Karl Limmer (1816-20). Ignatius Aurelius Fessler (1819-32). Adam Christian Paulus Kohlreiff (1820-22). Johann Samuel Huber (1823-34). Johann Gross (1835-53). Konstantin Ferdinand Butzke (1855-65). Karl Friedrich Wilhelm Kossman (1866-88). Gustav Schomburg (1883-87). Gustav Adolf Thomson (1888-1912). Liborius Herbord Behning (1901-25). Felix Coulin (1905-06). Woldemar Lankau (1914-18). Erchardt Torinus (1915-18). Arthur Julius Kluck (1916-18). Eduard Seib (1918-25). Christfried Martin Wagner (1926-31). Emil Pfeiffer (1934).

Liste einiger katholischer Geistlicher der Pfarrgemeinde Saratow: A. Fuchs (1790er Jahre). Aloysius von Landes (1803-09). Johannes Meyer (1809-20). Superior Putskowsky (1820er Jahre). Dekan Carl Jazkovsky (1831(?)-37). Dekan Vicenty Snarsky (1837-55(?)). Antony Baranovsky (1851-?). Dekan Raphael Fleck (1879-93). Dekan Georg Schembeck (1893-1901). Michael Berlis (1897-98). Franz Loran (1898). Georg Baier (1898–1903). Xaverius Klimaschewski (1899–1913). Emmanuel Stang (1901-03). Peter Dygris (1905). Gottlieb Beratz (1909-11). Joseph Lasowski (1910-12). Avgustin Baumtrog (1911-12). Dekan Wladislaus Potocki (1914-18). Xaverius Klimaschewski (1917-20). Raphael Dietrich (1917-21). Adam Desch (1921-31). Avgustin Baumtrog (1926-30).

Entwicklung der Bevölkerungszahlen. Im Jahr 1770 lebten in Saratow 137 Ausländer. Anfang des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der in Saratow ansässigen Ausländer infolge des Zustroms aus den nahegelegenen Kolonien kommender Siedler. Darüber hinaus blieb nach dem Napoleonischen Russlandfeldzug von 1812 ein Teil der französischen, italienischen, bayerischen und hannoveranischen Kriegsgefangenen in Saratow, ließ sich in der Deutschen Vorstadt nieder und nahm die russische Staatsangehörigkeit an. Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Saratow über 12.000 Deutsche.

Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Saratow ging als eine der größten in Russland in die Geschichte der Evangelischen Kirche ein. Im Jahr 1905 lebten 16.400 Gläubige im Pfarrsprengel, davon 12.500 in Saratow, 3.500 der Pokrowskaja Sloboda und 400 in Wolsk.

Im Jahr 1850 lebten in Saratow über 2.000 und in den angrenzenden Kolonien über 20.000 Katholiken. Nach Stand zum Jahr 1856 hatte die Kathedrale in Saratow 2.026 Gemeindemitglieder. Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Saratow über 12.000 Deutsche. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte der katholische Pfarrsprengel Saratow nach der Zahl der Gemeindemitglieder (8.150 Personen im Jahr 1919) nach Odessa, Manglisi, Jekaterinoslaw und Nikolajew zu den fünf größten städtischen katholischen Gemeinden Russlands.

Saratow heute. Die Zahl der im Gebiet Saratow lebenden deutschen Bevölkerung geht unaufhaltsam zurück. Hatten 1989 gemäß den bei der Volkszählung ermittelten Daten noch insgesamt 17.068 Deutsche im Gebiet gelebt (davon 1.453 in Saratow), waren es nach den Angaben der Volkszählung von 2002 nur noch 12.093, also gerade einmal 70,8% der 1989 gezählten Deutschen. Nach den Daten der Volkszählung von 2010 lebten nur noch 7.579 Deutsche im Gebiet, was gerade einmal 62,7% der Zahlen von 2002 entsprach. In den 1990er Jahren wurden in der Stadt die Landsmannschaft der Wolgadeutschen (1993) und die National-Kulturelle Autonomie der Deutschen des Gebiets Saratow (1997) gegründet. In den Jahren 1993-96 waren alle in Saratow aktiven Organisationen der Russlanddeutschen unter dem Dach des Deutschen Hauses vereint.

Die zahlreichen in Saratow erhaltenen deutschen Gebäude sind leicht zu erkennen und fallen ins Auge, fügen sich aber sehr harmonisch in das Stadtbild ein und verleihen diesem ein besonderes Kolorit. Unter den deutschen Architekturdenkmälern sind unter anderem zu nennen: das Deutsche Konsulat (1913) in der Straße der Arbeiter Nr. 22, das Konservatorium (1912) in der Kirow-Straße Nr. 1; das Hotel „Astoria“ (1917) auf dem Kirow-Prospekt Nr. 34 (heute Hotel „Wolga“); die am Wolgaufer gelegenen Dampfmühlen der Brüder Schmidt (kleine Mühle, 1865, große Mühle, 1879), von Reineke (1880) und von Boreli (1876), in der heute eine Textilfabrik untergebracht ist; das ebenfalls am Wolgaufer gelegene dampfbetriebene Sägewerk von König (1896), die Mehllager von Reineke (1900er Jahre, Gorki-Straße Nr. 2) und Schmidt (1890er Jahre); die Wurstfabrik von Kiesner und Glock (1890er Jahre) in der Tscheljuskin-Straße Nr. 58; das Wohnhaus, Kontor und Lager von R. Ehrt (1900er Jahre) in der Sowjetskaja-Straße Nr. 10; das Sarpinka-Handelshaus (1890er Jahre) in der Sobornaja-Straße Nr. 15; die Stadtvilla und das Kontor von Grünhof (1910er Jahre) in der Schewtschenko-Straße Nr. 26; die Elemente der Übersiedler-Architektur aufweisenden, im 19. Jahrhundert erbauten Wohnhäuser in der Moskauer Straße Nr. 115, in der Jablotschkow-Straße Nr. 45, in der Sowjetskaja-Straße Nr. 46, in der Tschernyschewski-Straße Nr. 146, in der Tschapajew-Straße Nr. 67а und in der Bolschaja Kasatschja-Straße Nr. 8; der auf dem Altynnaja-Berg gelegene Herrensitz von Reineke (1900er Jahre); die landwirtschaftliche Versuchsstation (1900er Jahre) in der Tulaikow-Straße Nr. 7; das Römisch-katholische Seminar des Bistums Tiraspol in der Mitschurin-Straße Nr. 86; die katholische St. Clemens-Kathedrale (1880) in der Deutschen Straße Nr. 11 (heute Kino „Pionier“).

Der Erhaltungszustand einiger dieser Gebäude lässt zu wünschen übrig. So sind etwa die im oberen Teil der Fassade des Kinos erhaltenen gotischen Schnitzornamente, die noch bis in die jüngste Zeit ungeachtet des 1966 erfolgten Teilabrisses an die frühere katholische Kathedrale erinnerten, hinter den Schildern einer Bank, eines Cafés und mehrerer Geschäfte verschwunden, die mittlerweile in das Gebäude eingezogen sind, das in den letzten Jahren zudem erheblich umgebaut wurde. Immerhin hat sich die katholische Kirche, deren Gemeinde Ende der 1980er – Anfang der 1990er Jahre wiedererstand und am 14. April 1992 offiziell registriert wurde, mehrfach mit der Bitte um Rückgabe des Gebäudes an die Behörden gewandt.

Die in Saratow ansässigen Lutheraner sind in zwei eigenständigen religiösen Organisationen organisiert – der zur Deutschen Evangelisch-lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten (ELKRAS) gehörenden Gemeinde, und der eine andere Richtung des Luthertums repräsentierenden Gemeinde der Evangelisch-lutherischen Kirche von Ingermanland und Russland.

Literatur

Герман А.А. Немецкая автономия на Волге. 1918–1941. Часть II. Автономная республика. 1924–1941. – Саратов, 1992–1994; Дитц Я. История поволжских немцев-колонистов. – М., 1997; Духовников Ф.В. Немцы, другие иностранцы и пришлые люди в Саратове // Саратовский край. Исторические очерки, воспоминания, материалы. – Саратов, 1893. – Вып 1; Дремова С.В. «…Населены под именем колонистов…» // Из истории культуры немцев Поволжья. – Сб. ст. – Саратов, 1993; Клаус А.А. Духовенство и школы в наших немецких колониях // Вестник Европы. – 1869. – № 5; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. – Часть I; Лиценбергер О.А. Евангелическо-лютеранская церковь Святой Марии в Саратове. – Саратов, 1995; Плеве И.Р. Немецкие колонии на Волге во второй половине ХVIII в. – М., 1998; Полное собрание ученых путешествий по России. Т. VI. Записки академика Фалька. – СПб., 1824; Терехин С.О. Немецкая архитектура в саратовском Поволжье: опыт идентификации // Культура русских и немцев в Поволжском регионе. – Вып. 1. – Саратов, 1993; Hieronymus. Jesuiten an der Wolga // Klemens. 9. Аpril 1903. № 28; Laske F. Geheimer Regierungsrath Professor Joh. E. Jacobsthal in Berlin // Centralblatt der Bauverwaltung. – 22. Jahrgang. – Nr. 3 (11. Januar 1902); Stumpp К. Verzeichnis der evangelischen Pastoren in den einzelnen deutschen und gemischten Kirchspielen in Russland bzw. der Sowjetunion, ohne Baltikum und Polen // Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen. – Bearbeitung J. Schnurr. – Stuttgart, 1978. – Evangelischer Teil; 150 лет со дня основания Саратовско-Тираспольской епархии. Саратов, 1998.

Archive

ГАСО. Ф. 852. Оп. 1. Д. 1–270; Ф. 637. Оп. 2. Д. 434, 1792, 2708, 2709, 2711, 3320, 3766; Ф. 1166. Оп 1. Д. 11,12, 14–16, 18, 27–29, 65–67, 72–74, 80–82, 91–93, 101–103, 114–116, 129–131, 155–157, 171–173, 194–196, 212–214, 233–235, 249–251, 264–266, 278–280, 302–304, 349–351, 374–376. 

Autoren: Lizenberger O.A.

ЗEINE FRAGE STELLEN