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KANTON MARXSTADT

Rubrik: Republik der Wolgadeutschen

KANTON MARXSTADT, eine Verwaltungseinheit des Gebietes (1922–1923) und dann der Republik (1924–1941) der Wolgadeutschen. Das Verwaltungszentrum war die Stadt Marxstadt, 50 km von der Hauptstadt der Wolgadeutschen ASSR – Engels – und dem nächstgelegenen Bahnhof Pokrowsk-Priwolschski entfernt. Das kantonale Zentrum war dem Kanton nicht unterstellt und bildete eine unabhängige administrativ-territoriale Einheit. Er lag im Nordosten der ASSR der Wolgadeutschen. Das Gelände war flach, steppenartig. Das linke Wolgaufer bildete die Nordgrenze des Kantons. Durch das Gebiet des Kantons flossen Flüsse wie Liesel, Maly Karaman, Metschetka und Tymanka.

Der Kanton entstand 1922 durch Zusammenlegung der Kreise Marxstadt und Paninski der Wolgadeutschen Gebietes. 1927 fiel ein Teil des Territoriums des aufgelösten Kantons Krasny Jar, nämlich die Dörfer Krasny Jar, Podstepnoje, Swonarewka, Swonarew-Kut und Ust-Karaman, an den Kanton Marxstadt. 1935 wurde der östliche Teil des Kantons Marxstadt in den separaten Kanton Unterwalden abgetrennt. Ab Juni 1941 grenzte der Kanton Marxstadt im Osten an den Kanton Unterwalden, im Westen an den 1935 neu geschaffenen Kanton Krasny Jar und im Süden an die Kantone Marienthal und Gnadenflur.

In Übereinstimmung mit der administrativ-territorialen Aufteilung der ASSR der Wolgadeutschen im Jahr 1926 umfasste der Kanton 26 Dorfräte: Basel, Bettinger, Boaro, Boregardt, Brockhausen, Wittman, Gattung, Glarus, Gockerberg, Kansk, Kind, Marxstadt, Neb, Niedermontjus, Obermontjus, Orlowski, Paulski, Remmler, Susannahal, Unterwalden, Philippsfeld, Fischer, Zürich, Schaffhausen, Schenchen, Ernestinendorf. Die Hungersnot von 1921-1923 und 1931-1933 hatte tragische Folgen für die Bevölkerung des Kantons. Während der Hungersnot der frühen 1920er Jahre funktionierte hier die humanitäre Mission von der Internationalen Union für Kinderhilfe. Im Jahr 1931 führten die schwierigen Lebensbedingungen zur Entstehung einer Auswanderungsbewegung in mehreren Dörfern des Kantons, die von der OGPU (Vereinigte Staatliche Politische Verwaltung, Unterteil des NKWD in der RSFSR – Anm. d. Üb.) unterdrückt wurde. In den Jahren 1932–1933 war der Kanton durch eine katastrophale Sterblichkeitsrate gekennzeichnet: mehr als 100 pro 1.000 Einwohner.

Im Jahr 1922 lebten im Kanton 62,3 Tausend Menschen. Im Jahr 1926 wuchs die Bevölkerung auf 67,7 Tausend Menschen, davon 32,6 Tausend Männer und 35,1 Tausend Frauen. Gleichzeitig lebten 55,2 Tausend Menschen auf dem Land und 12,5 Tausend in der Stadt. Die Landbevölkerung verteilte sich nach Nationalität wie folgt: 99,4 Prozent waren Deutsche, 0,2 Prozent Russen, 0,01 Prozent Ukrainer und 0,39 Prozent andere. Zu dieser Zeit gab es im Kanton 75 Dörfer.

Am 1. April 1941 war der Kanton bereits in 14 Dorfräte mit Zentren in den Siedlungen Beckerdorf, Boaro, Boregard, Brockhausen, Gockerberg, Kalininsfeld, Kirowskoje, Neu-Brunnenthal, Obermonschu, Orlowskoje, Paulskoje, Perwomajskoje, Philippsfeld und Fischer aufgeteilt. Der Kanton umfasste eine Fläche von 1,1 Tausend Quadratkilometern. Hier lebten 40,6 Tausend Menschen. Die Bevölkerungsdichte des Kantons war die höchste in der Republik – 37 Menschen pro Quadratkilometer. Die Deutschen im Kanton machten 95,5 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Der Rest waren hauptsächlich Russen.

In der landwirtschaftlichen Produktion wurden folgende Feldfrüchte angebaut: Weizen, Gerste, Hafer, Hirse, Hülsenfrüchte, Mais, Sonnenblumen, Hackfrüchte, Silage, Gemüse, Melonen und Kartoffeln. Der Tabakanbau entwickelte sich aktiv: Während der NEP-Jahre (Neue Ökonomische Politik – Anm. d. Üb.) waren 39,8 Prozent der Kantonsbevölkerung in diesem Wirtschaftszweig tätig. 1930 gab es im Kanton folgende Kolchosen: Gebung (Glarus), Vorwärts (Schaffhausen), Wohlauf (Gattung), Rekord (Philippsfeld), Progress (Zürich), Roter Oktober XII. (Basel), Put k sozialismu (Kind) usw.

Im Januar 1931 schloss der Kanton die vollständige Kollektivierung ab. Im April 1933 umfassten die Kollektivfarmen des Kantons 11,5 Tausend Haushalte, während 6,1 Tausend Kollektivbauern in der Umsiedlung waren. Zu dieser Zeit gab es im Kanton vier           Maschinenstützpunkte: Krasny Jar, Marxstadt, Unterwalden und Basel. 1939 wurden 100 Prozent der Bauernhöfe des Kantons kollektiviert. Sie wurden zu 31 Kollektivfarmen zusammengefasst.

Im Jahr 1931 betrug die gesamte Anbaufläche des Kantons 132.040 Hektar, davon 116.887 Hektar Getreide. Im Jahr 1934 umfasste der Landbesitz 113.890 Hektar, davon 82,26 Hektar Ackerland, 9,53 Hektar Weiden und Weideland, 9,28 Hektar Heuwiesen, 4,14 Hektar Wälder und Sträucher, 2,62 Hektar Gehöftland, 1,11 Hektar Gemüsegärten, 0,23 Hektar Obstgärten und Weinberge und 4,72 Hektar sonstiges Land.

Tabelle 1

Ernteerträge der wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen

 

Kultur

Jahr

Fünfjahresschnitt

1935

1936

1937

1938

1939

im Kanton

 

in der ASSR der Wolgadeutschen

 

Getreide insgesamt

5,6

3,3

12,8

6,4

3,6

6,3

5,3

Winterroggen

7,2

3,6

16,4

11,0

1,3

7,9

6,3

Sommerweizen

5,7

3,4

12,6

4,8

4,2

6,1

5,3

Gerste

6,4

2,8

19,3

4,4

4,6

7,5

5,9

Hafer

3,1

1,5

3,5

2,1

5,2

3,1

1,7

Sonnenblumen

2,8,

2,3

4,6

2,4

2,2

2,8

1,8

 

Tabelle 2

Viehbestand (nach Zählung von 1940)

Tierart

Tiere insgesamt

in den Kolchosen

bei Kolchosbauern

in Betrieben und Einrichtungen

Rinder,

davon:

8412

3865

4964

583

Kühe

4265

1223

2780

262

Schafe und Ziegen

16414

3985

11322

1107

Schweine

5555

2405

2312

838

Pferde

1417

1218

199

Kamele

256

256

 

Im Jahr 1934 waren im Kanton 16 Industrieunternehmen mit einer durchschnittlichen Beschäftigtenzahl von 1.427 Personen tätig. In Marxstadt gab es 14 Unternehmen: ein Kraftwerk, die Ziegelei Nr. 4, das Kommunistische Maschinenbauwerk, das Sägewerk Karl Marx Nr. 9, die Tabakfabrik Karl Marx, die Werkstatt des Artels Metalowerk, die Werkstatt des Tischlerwerks Jungsturm, die Werkstatt des Artels Korbflechter, die Werkstatt des Industrienetzweberei-Artels Fishing Flechter, die Industriegenossenschaft Prima, die Werkstatt des Schneiderwerks, das Schuhmacherwerk Shuster, die mechanische Mühle Nr. 2 sowie eine Maschinen- und Traktorenwerkstatt. Darüber hinaus gab es eine Reparaturwerkstatt in Millersfeld und eine mechanische Mühle Nr. 18 in Boaro. Ende der 1930er Jahre war der Kanton Marxstadt einer der industriell am weitesten entwickelten Kantone der Wolgadeutschen ASSR.

Ende der 1930er Jahre gab es im Kanton 12 Grundschulen, 11 unvollständige weiterführende Schulen und 4 Realschulen. Zu den weiterführenden Fachschulen gehörten außerdem die Pädagogische Hochschule Marxstadt (619 Schüler), die Fachschule für Landmaschinenbau Marxstadt (273 Schüler), die Krankenpflegeschule Marxstadt (177 Schüler) und die Musikhochschule Marxstadt (168 Schüler). Bei den Deportationen 1941 wurde die deutsche Bevölkerung des Kantons Marxstadt mit Lastkähnen nach Engels gebracht und anschließend vom Bahnhof Pokrowsk mit dem Zug nach Sibirien geschickt. Ein erheblicher Teil der aus dem Kanton Deportierten wurde in das Gebiet Nowosibirsk sowie in die Gebiete Altai und Krasnojarsk umgesiedelt. Im Zusammenhang mit der Auflösung der Wolgadeutschen ASSR wurde der Kanton Marxstadt 1941 Teil des Gebietes Saratow und in Bezirk Marx umbenannt.

Literatur

Autoren: Maslennikowa A.A.

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