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PENNER Pjotr Gerhardowitsch (1899–1937). Ethnograph, Autor der ersten Dissertation zur Ethnographie der Russlanddeutschen, Parteifunktionär, Beschäftigter des Bildungswesens

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

PENNER, Pjotr Gerhardowitsch, * 6. August 1899 im Dorf Tschernosernoje (Amtbezirk Kitschkas, Gouvernement Orenburg), † 2. November 1937 in Sandarmoch (Karelische ASSR). Ethnologe, Autor der ersten der Ethnographie der Russlanddeutschen gewidmeten Dissertation, Partei- und Bildungsfunktionär.

Sohn einer mennonitischen Bauernfamilie, die im Jahr 1910 in den Altai übersiedelte. In sowjetischer Zeit gehörten die Eltern der Kolchose des Dorfs Grünfeld (Deutscher Rayon) an. Die Mutter starb 1926, der Vater 1930.

Am 7. August 1936 wurde Penner von der Parteiorganisation des Instituts für Anthropologie und Ethnologie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR aus der Partei ausgeschlossen. Von 1923 an war er Mitglied der Gewerkschaft der Mitarbeiter des Bildungswesens.

Nach Besuch der dörflichen Siebenklassenschule arbeitete Penner von 1914 an zunächst als Tagelöhner, dann als Arbeiter im Landmaschinenlager (ab Januar 1915) und schließlich von August 1917 bis Januar 1918 im Schlachthof der Stadt Sorotschinsk (Gouvernement Orenburg). Von Januar bis Oktober 1918 war er Hilfsmaschinist einer Mühle im Bezirk Slawgorod (Altai). Im Oktober 1918 wurde er in die Armee A.W. Koltschaks mobilisiert, wo er bis Ende 1919 Sanitätsdienst leistete. Im Januar 1920 desertierte er aus der Weißen Armee und lief bei der Einnahme von Irkutsk zu den Roten über. Bis August 1920 diente er als Sanitäter in der Roten Armee, von August 1920 bis Januar 1921 war er in Slawgorod bei der Arbeitsarmee.

Im Mai 1921 wurde Penner vom Omsker Gouvernementsparteikomitee der RKP(b) für einen viermonatigen Kurs an der Deutschen Sowjet-Parteischule nach Moskau entsandt, wo er anschließend einen Einjahreskurs an der Kommunistischen Ja.M. Swerdlow-Universität (15. September 1921 – 1. September 1922) sowie einen verkürzten Zweijahreskurs am Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut für Volksbildung (September 1922 – September 1924) absolvierte. Von 1923 an war er Mitglied der Gewerkschaft der Mitarbeiter des Bildungswesens.

Im Februar 1921 wurde Penner im Dorf Nikolskoje (Amtsbezirk Orlowo, Bezirk Slawgorod) Kandidat für die Mitgliedschaft in der RKP(b). Im Januar 1925 wurde er in die Partei aufgenommen. Im Herbst 1924 wurde er vom Moskauer Stadtparteikomitee für die Propagandaarbeit unter den aus Deutschland gekommenen deutschen Arbeitern mobilisiert. Von Dezember 1924 bis zur im März 1925 erfolgten Schließung der Fabrik arbeitete er parallel zu seiner unter den Emigranten geleisteten Arbeit als Hilfsschlosser der Moskauer Sokolniki-Maschinenfabrik. Im Frühjahr 1925 wurde er an das ZK der KP(b) der Ukraine überstellt und arbeitete von April 1925 bis September 1929 in verschiedenen ukrainischen Dörfern. In den ersten drei Jahren war er Mitglied des Rayonsparteikomitees des Friedrich-Engels-Rayons (Gebiet Odessa) und arbeitete im Agitprop-Bereich. Im März 1928 wurde er in den Bezirk Korosten (Wolhynien) abkommandiert, wo er ein Jahr lang die unter der deutschen Bevölkerung geleistete Agitprop-Arbeit leitete und in mobilen und stationären Politschulen Gesellschaftskunde unterrichte. Im April 1929 wurde er an das Bezirksparteikomitee Nikolajew überstellt. Von Mai bis September 1929 war er Sekretär des Rayonsparteikomitees des Karl Liebknecht-Rayons, wurde aber wegen „Versöhnlichkeit mit rechten Abweichlern“ abgesetzt. Von September 1929 bis Mai 1930 war er Leiter der Nikolajewer Bezirksabteilung für Periodische Presse beim Ukrainischen Staatsverlag der Ukraine, von Mai bis August 1930 Leiter des Recherchebüros der Redaktion der Zeitung „Für Kommunistische Aufklärung“ (heute: „Lehrerzeitung“).

Von September 1930 an arbeitete Penner als Studienleiter und Lehrkraft für die Geschichte des Klassenkampfes für das 1. und 2. Kursjahr an der Deutschen Pädagogischen Fachoberschule in Leningrad, wo er sich gegen den Umzug der Schule in die Republik der Wolgadeutschen aussprach. An der Fachoberschule arbeitete er mit P.G. Lewen (einem Freund aus Kindertagen, * 1903, † 1937, erschossen), G.F. Wacker (* 1903, † 1937, später Stellvertretender Direktor des Militärhistorischen Archivs in Leningrad, erschossen), W.R. Besner (* 1874) und I.P. Wüst (* 1907, † nach 1934 in Marxstadt) zusammen. Unter Penners Studenten waren G.K. Martens (später Student der Historischen Fakultät der Staatlichen Universität Leningrad, verhaftet im September 1936) und E. Wiebe (später Lehrkraft in Kingissepp). Von Februar 1931 an arbeitete Penner als Sekretär der Parteizelle der Deutschen Pädagogischen Fachoberschule in Leningrad. Vom 15. Dezember 1932 bis zum 15. September 1936 studierte er in der Aspirantur am Institut für Anthropologie und Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR.

Penners wissenschaftliche Forschungsarbeiten sind den Hochzeitsritualen der Russlanddeutschen gewidmet. Seine Arbeit wurde von den Professoren E.G. Kagarow (wissenschaftlicher Leiter), W.M. Schirmunski, B.L. Bogajewski und N.M. Matorin betreut. Neben der deutschen und russischen Sprache beherrschte er auch den Dialekt der Mennoniten, las auf Ukrainisch und lernte Französisch. Seine Feldforschungen betrieb er in den deutschen Dörfern der ASSR der Wolgadeutschen (1933), des Altai (1935) und des Nordkaukasus (1935) sowie in der Umgebung von Leningrad. Unter den deutschen Studenten der Deutschen Pädagogischen Fachoberschule und der Leningrader Universität sammelte er Volkslieder, Sprichwörter sowie Informationen über Alltag und Sitten. Insgesamt trug er etwa 1.000 Tonaufzeichnungen und Hunderte Fotografien zusammen (sind nicht erhalten). Während seines Studiums hielt er auf den Sitzungen des Instituts für Anthropologie und Ethnographie Vorträge zu den Themen „Über einige Aspekte der heutigen deutschen Ethnographie“, „Aus dem Leben der Deutschen in Russland und der Sowjetunion“, „Kulturelles Wachstum und Klassenkampf in den deutschen Dörfern der UdSSR in der aktuellen Etappe“ und veröffentlichte mehrere Aufsätze. Vor Antritt seines Aspiranturstudiums hatte er keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen, schrieb in den Jahren 1925-28 aber aktiv für Zeitungen. In der Aspirantur waren u.a. Ju. P. Awerkiewa (1907–80), A.N. Dalski (1894–?), K.L. Sadychina (1907–69), E.K. Paklar (1908–1938?), T.L. Tjutrjumowa (1905–1987) und der aus Amerika stammende Nez Perce-Indianer Archibald Phinney seine Kommilitonen. Im Mai 1936 veröffentlichte Penner die Thesen seiner dem Thema „Die Spiegelung urtümlicher Eheformen in den Hochzeitsritualen der Deutschen der UdSSR“ gewidmeten Dissertation, die er am 26. Mai 1936 der vom Direktor des Instituts für Anthropologie und Ethnographie Akademiemitglied I.I. Meschtschaninow geführten Kommission zur Erörterung vorlegte, aber infolge seines Parteiausschlusses und der anschließenden Verhaftung nicht mehr verteidigen konnte. Eine im Archiv von E.G. Kagarow aufbewahrte Rohfassung der Dissertation konnte nach Kagarows Tod (1942) zur Zeit der Blockade von Leningrad von Mitarbeitern der Öffentlichen Bibliothek (heute Russische Nationalbibliothek) gerettet werden.

Im Februar 1936 begann Penner, parallel zu seinem Studium als Stellvertreter des Dekans der Fakultät für Naturkunde des Pädagogischen M.N. Pokrowski-Instituts zu arbeiten.

Am 7. August 1936 wurde Penner von der Parteiorganisation des Instituts für Anthropologie und Ethnographie der Akademie der Wissenschaften aus der Partei ausgeschlossen, am 27. August 1936 verhaftet und am 30. Dezember1936 von der Auswärtigen Sitzung des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR in Leningrad nach den Artikeln 17-58-8 und 58-11 des Strafgesetzbuchs der RSFSR zu zehn Jahren Haft verurteilt. Während seiner Lagerhaft in Solowki wurde er erneut angeklagt und am 9. Oktober 1937 von der Sondertroika der Leningrader Gebietsverwaltung des NKWD zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wurde am 2. November 1937 in Sandarmoch (Karelische ASSR) vollstreckt, wo der auch begraben ist. Am 2. Juli 1957 wurde P.G. Penner rehabilitiert.

Zur Zeit seiner Arbeit und seines Studiums in Leningrad lebte er bis zu seiner Verhaftung unter der Adresse Nabereschnaja Mojki, Haus Nr. 76, Wohnung 26.

Penners Ehefrau Lewiskaja, Ida Josifowna (* 1904, † 4. November 1937), geboren in Jelisawetgrad (heute Kropywnyzkyj, 1940-2016 Kirowograd ), jüdischer Herkunft, parteilos, war zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung Leiterin der Ausleihe der Skworzow-Stepanow-Bibliothek und davor Bibliothekarin der Deutschen Pädagogischen Fachoberschule in Leningrad. Am 2. Oktober 1936 wurde sie im Fall ihres Mannes verhaftet. Zur Zeit ihrer Lagerhaft in Solowki wurde sie erneut verurteilt und am 4. November 1937 in Sandarmoch erschossen.

Kinder: Felix (* 1928, † Februar 1942 in Leningrad) und Ernst (* 1933 oder 1934, † 1993). Bei der Verhaftung der Eltern blieben sie bei den Eltern ihrer Mutter Josif Ionowitsch und Sara Naumowna Lewizki, die zur Zeit der Blockade von Leningrad wie auch ihr Enkel Felix ums Leben kamen (begraben auf dem Piskarjowskoje-Gedenkfriedhof). Der jüngste Sohn lebte bis 1993 zunächst in Abchasien und später in Simferopel.

Brüder: Penner, Gerhardt (Dorf Silberfeld, Deutscher Rayon, Altai), Jakob (1917 nach Amerika emigriert), Heinrich (Instrukteur des Gebietssowjets der Gewerkschaften in der ASSR der Wolgadeutschen). Schwestern: Schmidt, Katharina (Dorf Dejewka, Gebiet Orenburg), Dik, Jelisaweta (Dorf Petrowka, Deutscher Rayon, Altai), Miller, Anna (1917 nach Amerika emigriert).

Veröffentlichungen

О состоянии музеев АССР ПН // Советская этнография. 1933. № 5–6. С. 100–102; Отражение первобытных форм брака в свадебных обрядах немцев СССР (тезисы диссертации). [Л., 1936].

Literatur

Черказьянова И.В. Историко-этнографическое исследование советских немцев в Академии наук СССР в 1920–1930-е годы // Миллеровские чтения: К 285-летию Архива Российской академии наук: Сб. науч. статей. СПб., 2013.

Archive

Архив УФСБ СПб и ЛО. Д. П-23716; СПбФ АРАН. Ф. 222. Оп. 2. Д. 866; Ф. 4. Оп. 4. Д. 4686; Отдел рукописей РНБ. Ф. 324. Д. 1141. Гессен М. Последний этап. Люди, приехавшие в Сандормох, скорбят о том, чего не было: о неполученной любви, о неузнанных родных… // http://www.stengazeta.net/article.html?article=2981

Autoren: Tscherkasjanowa I. W.

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