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KLEIN Viktor Georgijewitsch (1909–1975), Pädagoge, Schriftsteller, Folklorist, Dichter und Literaturwissenschaftler

Rubrik: Biographische Beiträge (Personalien) / Vertreter des sozialen Bereichs (Bildung, Medizin)

KLEIN Viktor Georgijewitsch (* 29. Oktober 1909 in Warenburg (Priwalnoje), Gouvernement Samara (heute Priwolnoje, RowenskijRajon, Oblast Saratow); † 11. Oktober 1975 in Nowosibirsk), Pädagoge, Schriftsteller, Folklorist, Dichter und Literaturwissenschaftler. Klein wurde in einer Familie russlanddeutscher Bauern geboren. Die Mutter starb im Jahr 1919, bald nach der Geburt des achten Kindes. Der Vater wurde der Beteiligung an dem antibolschewistischen Aufstand in den deutschen Siedlungen der ASSR der Wolgadeutschen im März/April 1921 beschuldigt und durch Erschießung hingerichtet. Sechs der verwaisten jüngsten Kinder kamen zu der Familie der Großmutter mütterlicherseits in Wiesenmüller. Der elfjährige Viktor wurde zusammen mit dem älteren Bruder Alexander in ein Waisenhaus in der Siedlung Seelmann (heute Rownoje im RowenskijRajon, Oblast Saratow) geschickt, wo sie, wie Klein sich erinnerte, während der Hungersnot nur dank der humanitären Hilfe ausländischer Organisationen überleben konnten. Bei der Familie Herdt, bei der er oft zu Besuch war, wurde ihm die Liebe zum Lesen anerzogen. 1924 erschien Kleins erstes Werk, eine Erzählung in der Zeitung „Die Maistube“. Im Jahr 1926 zog K. nach Marxstadt und begann dort eine Ausbildung an der Pädagogischen Fachschule. Dabei genoss er die Unterstützung eines Freundes seines Vaters, der ein Sekretär bei einer Komsomol-Organisation war. Nach dem Abschluss der Pädagogischen Fachschule in Marxstadt im Jahr 1930 arbeitete er als Lehrer für Deutsch und Geografie an den Dorfschulen der Wolgadeutschen Republik. In den Jahren 1933 bis 1937 studierte er an der Fakultät für Linguistik (deutsche Sprache und Literatur) am Deutschen pädagogischen Institut in Engels. 1937 bis 1941 unterrichtete er am Deutschen pädagogischen Institut in Engels Deutsch und ausländische Literatur. Seine Werke wurden in den Zeitungen „Rote Jugend“, „Nachrichten“ und „Der Kämpfer“ regelmäßig gedruckt. 1940 nahm er, zusammen mit dem künstlerischen Leiter des Gesangs- und Tanzensembles der ASSR der Wolgadeutschen Gottfried Schmieder, an einer folkloristisch-ethnografischen Expedition teil. Diese wurde unter der Leitung des Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes der ASSR der Wolgadeutschen Andreas Saks organisiert, mit dem Ziel, Volkslieder und andere Werke der Volkskunst zu dokumentieren und die Dialekte der deutschen Siedlungen zu erforschen. Das Ergebnis der Expedition war die Dokumentation von 93 Volksliedern und 9 instrumentalen Stücken. 1940 wurde K. Mitglied der redaktionellen Kommission, welche die Bearbeitung und Herausgabe von etwa 1200 Liedern plante, die in den Jahren 1928 bis 1929 in den deutschen Wolgakolonien von dem Professor der Saratower Universität Georg Dinges gesammelt wurden. Letzterer wurde 1930 Opfer von Repressionen.

1941 wurde Klein, wie auch Tausende andere Russlanddeutsche, aus der Wolgaregion deportiert. K. befand sich ab 1942 in der Arbeitsarmee im Ussolsker Arbeitslager (ITL NKWD UdSSR; Lagerabteilung Nyrob) in der Oblast Molotow (heute Oblast Perm), wo er bei der Holzernte eingesetzt wurde. Gemäß den Erinnerungen der Arbeitslagerinsassen rettete Klein in seiner Stellung als Brigadier nicht wenigen der, sichim Lager befindenden, Russlanddeutschen das Leben. Ab 1947 unterrichtete er Deutsch an der geologischen Fachschule in Kansk. 1959 zog die Familie nach Nowosibirsk. Hier konnte Klein die Stelle eines Dozenten an der Fakultät für Fremdsprachen am pädagogischen Institut (heute Staatliche Pädagogische Universität Nowosibirsk) erhalten, wo im Jahr 1945 an der Fakultät für Fremdsprachen eine Abteilung für die deutsche Sprache eingerichtet worden war. Als Dozent am Lehrstuhl für die deutsche Sprache war er einer der Initiatoren für Programme zur Ausbildung von Lehrern für Deutsch und Literatur für kompakte Siedlungsgebiete der Russlanddeutschen. Er organisierte ferner Konferenzen und Lesertreffen in den deutschen Siedlungen des SlawgorodskijRajons der Region Altai.

Seit dem Ende der 1950er Jahre begann er sich wieder von neuem dem literarischen Schaffensprozess zu widmen und veröffentlichte seine Texte in Almanachen, Zeitungen sowie in Erzählungs- und Gedichtsammlungen. In den 1960er Jahren führte er seine aktive schriftstellerische Tätigkeit als Prosaist und Dramaturg weiter. Mit der Erweiterung der Möglichkeiten seine Werke zu publizieren, begann er seine Texte in gemeinsamen Sammelbänden des „Progress“-Verlags in Moskau und in der deutschen Redaktion des Verlags „Kasachstan“ herauszugeben.Ende der 1960er und in den 1970er Jahren wurden seine Gedichte, Erzählungen, Entwürfe, literarische Etüden und Essays in speziellen literarischen Teilen der deutschen Zeitungen „Neues Leben“, „Freundschaft“ und „Rote Fahne“ gedruckt. Seine Zeitgenossen bemerkten den Mut seiner Werke, ungeachtet des inoffiziellen Verbots in der deutschen Sowjetliteratur, über Themen der jüngeren Vergangenheit zu schreiben. Nicht alle Werke konnten veröffentlicht werden. So konnte die im Jahr 1961 geschriebene Erzählung „Poslednij Kurgan“ (Der letzte Grabhügel) erst 1988 erscheinen. Außerdem verbrannte, laut den Erinnerungen von Freunden, seine Frau Lidija (geb. Schmidt, verheiratet seit 1933) aus Angst vor erneuten Repressionen mehrere von Kleins besonders heiklen Werken. Der Name Kleins wurde zum Symbol für eine neue sowjetdeutsche Literatur. Aus seiner Feder stammen die Romane „Die Erkämpfte Scholle“, „Synykrestjanskije“ (Bauernsöhne),  „Smena, vperjod!“ (Nachwuchskräfte, vorwärts!), die Erzählungen „Immer in der Furche“, „Wechazhizni“ (Lebenspfeiler) und die Poeme „Chleborob“ (Steppenbauer), Razgovor s wnukom“ (Ein Gespräch mit dem Enkel) und „Vzgljadizokna“ (Der Blick aus dem Fenster). Ab 1966 war er Mitglied des Schriftstellerverbandes der UdSSR.

Klein wurde als Linguist, Kritiker, Publizist und als Experte auf dem Gebiet der Folklore, Geschichte, Kultur und Ethnografie der Russlanddeutschen bekannt. K. leistete einen bedeutenden Beitrag für die Erhaltung von Beispielen deutscher mündlicher Literatur, indem er deutsche Folklore in den Siedlungen der Region Altai und der Oblast Omsk sammelte und  deutsche Dialekte erforschte. Er arbeitete an der Geschichte der deutschen Literatur, ihrer Klassifikation und Periodisierung. Klein veröffentlichte die Volkslied- und Tschastuschka-Sammlungen „Unversiegbarer Born“ (1974) sowie „Schön ist die Jugend“ (1975) und sammelte Sprichwörter, Redewendungen, bildliche Ausdrücke und Rätsel der Russlanddeutschen. Als erfahrener Pädagoge bildete er mehr als 100 Germanisten aus. Er wirkte als Mentor von jungen russlanddeutschen Literaturschaffenden, darunter Viktor Heinz, Wendelin Mangold, Lora Reimer, Hildegard Wiebe u. a. für Schulen, an denen Deutsch als Muttersprache unterrichtet wurde, schuf K. als Autor zahlreiche Lehrbücher sowie didaktische und methodische Hilfsmittel der deutschen Sprache und Literatur (unter anderem in Zusammenarbeit mit Johann Warkentin und Jakob Wall). Klein veröffentlichte seine Werke nicht nur unter seinem eigentlichen Namen, sondern auch unter den Pseudonymen W. Kl., E. E., W. Steppenbauer und Rolf Sturmfeder. K. wurde in Nowosibirsk beerdigt. Seine ehemaligen, nach Deutschland ausgewanderten Studenten stellten am Grab Kleins ein Denkmal auf.

Die in Slawgorod herausgegebene Zeitung „Zeitung für dich“ erklärte das Jahr 1999 zum Jahr V. Kleins. 2011 benannte der Internationale Verband der deutschen Kultur, im Rahmen eines jährlichen gesamtrussischen Wettbewerbs „Russlands herausragende Deutsche“, die Nominierung auf dem Gebiet der Pädagogik nach Klein. Bei den Nominierten für diesen Preis handelt es sich um herausragende Vertreter der Russlanddeutschen, die sich als bedeutende Persönlichkeiten in der Pädagogik profiliert haben.

INHALT

Arbeiten

Die erkämpfte Scholle. М., 1971; Schön ist die Jugend. Sowjetdeutsches Liederbuch. М., 1975; Lesebuch. Ausgewähltes. Алма-Ата, 1986; Lehrbücher für die Klassen 5, 6, 7, 8. Poesie und Prosa sowjetdeutscher Schriftsteller: 8. Klasse; Deutsche Literatur-Lesebücher für die Klassen 8 und 9 и др.

Literatur

Бельгер Г.К. В поисках своего ритма (О судьбе, литературе и культуре российских немцев). Статьи и литературные портреты. Алматы, 2005; Бельгер Г. Помни имя своё. Алматы, 1999; Ерина Е.М. Возвращенное имя: Г.Г. Шмидер (1902–1965) // Немцы России и СССР. 1901–1941 гг.: материалы международной научной конференции. М., 2000. С. 209–216; Зейферт Е.И. Жанр и этническая картина мира в поэзии российских немцев второй половины ХХ – начала ХХI вв. Lage (NRW): BMV Verlag Robert Burau, 2009; Fröschle Н. Die Wolga – Thematik in der Russlanddeutschen Literatur der letzten Jahrzehnte: von Viktor Klein und Dominik Hollmann zu Viktor Heinz // Иностранные языки в контексте межкультурной коммуникации: Материалы докладов VIII Международной конференции «Иностранные языки в контексте межкультурной коммуникации» (25–26 февраля 2016 года). Саратов, 2016. С. 7–26; Heinz V. Leben und Werk. Festschrift zum 70. Geburtstag, Bonn, 2007; Keil R., Herdt W. Über Victor Klein und seine Zeit. Mannheim 1993; Lexikon der russlanddeutschen Literatur. Annete Moritz, Klartext Verlag, 2004; LEXIKON zur Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen“. Herausgegeben von: Hans-Joachim Kathe und Winfried Morgenstern. Erscheint in der Reihe Lindenblätter des Bildungsvereins für Volkskunde in Deutschland DIE LINDE e. V. Berlin 2000; Meine Muse blickt mit offenen Augen ins Leben... Zeitgenossen über Victor Klein. Leben und Werk. Auswahl und Gestaltung: Nina Paulsen. Slawgorod (Altairegion): Zeitung für Dich, 2000; Russland-Deutsche Autoren. Weggefährten, Weggestalter 1764–1990. Нrsg. Reinhold Keil, Mannheim 1994; Russlanddeutsche Literatur. Lesebuch. Wendelin Mangold, Stuttgart, 1999; Victor Klein Lesebuch. Auswahl: Ehrlich K. Alma-Ata, 1986; Warkentin J. Geschichte der rußlanddeutschen Literatur. Stuttgart, 1999.

Autoren: Lizenberger O.A.

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