AUTONOMIEBEWEGUNG, eine Bewegung der Deutschen in Russland für politische und nationale Selbstbestimmung, die aus dem Kampf zur Abschaffung diskriminierender Maßnahmen der russischen Regierung während des Ersten Weltkriegs gegenüber der deutschen Bevölkerung des Landes entstand. Sie hatte mehrere regionale Zentren und entwickelte sich je nach Situation in den Regionen. Nach dem Sturz von Kaiser Nikolaus II. und der Bildung der Provisorischen Regierung begann in Russland eine Phase innenpolitischer Reformen, deren Ziel die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung zur Verabschiedung einer Verfassung und zur Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen einer demokratischen Republik war.
Im Rahmen der Durchsetzung gleicher Rechte für alle Bürger Russlands, ungeachtet ihrer nationalen und sozialen Herkunft, versuchten Vertreter der deutschen Bevölkerung im Süden Russlands, der Wolgaregion, Petrograds (heute St. Petersburg) und Moskaus bereits in den ersten Tagen nach dem Fall der Autokratie, Organisationen zur Verwirklichung ihrer Ziele zu gründen.
Am 18. März 1917 fand in Odessa das erste Treffen von Vertretern der deutschen Bevölkerung der Stadt statt, bei dem das Provisorische Organisationskomitee gegründet wurde, das später den Namen Südrussisches Zentralkomitee trug. Das Komitee schickte einen besonderen Appell an die deutschen Siedlungen mit dem Ziel, den Allrussischen Kongress der Vertreter der deutschen Bevölkerung vorzubereiten und einzuberufen. Im Komitee wurden folgende Sektionen geschaffen: Organisation, Politik, Landwirtschaft und Volksbildung. Zum Vorsitzenden des Komitees wurde L. G. Reichert gewählt, dem Komitee gehörten O. K. Walter, E. F. Krause, Pfarrer F. F. Merz, V. G. Reisich, G. I. Tauberger und J. M. Flemmer an. Auf dem 2. Treffen der Deutschen von Odessa am 28. März 1917 wurde beschlossen, aus 17 Regionalkomitees den Gesamtrussischen Verband der Russlanddeutschen zu gründen, der die gesamte deutsche Bevölkerung Russlands vereinen sollte. Das Zentralkomitee des Gesamtrussischen Verbands sollte seinen Sitz in Odessa haben. Die Zeitung „Jeschenedelnik“ (Wochenzeitung) wurde als Organ des Gesamtrussischen Verbands veröffentlicht. Da das lokale Verbot der Verwendung der deutschen Sprache im Druck jedoch weiterhin bestand, erschienen die ersten elf Ausgaben der Zeitung auf Russisch. „Jeschenedelnik“ veröffentlichte Materialien zu aktuellen Problemen der deutschen Bevölkerung, informierte die Leser über die Aktivitäten des Gesamtrussischen Verbands und über die Gründung neuer politischer und öffentlicher Organisationen der Deutschen in Russland.
Die Mennoniten, die nach den Reformen von 1871–1874 einige Privilegien behielten und während des Ersten Weltkriegs die niederländische Herkunft vieler Mitglieder der mennonitischen Gemeinden betonten (um den Liquidationsgesetzen zu entgehen), beteiligten sich auch aktiv am politischen Kampf. Bei einer Tagung am 29. März 1917 in Molotschansk (Gouvernement Jekaterinoslaw) gründeten sie eine Kommission zur Ausarbeitung einer Satzung für eine politische Vereinigung von Mennoniten, die an den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung teilnehmen sollte. Der Allrussische Kongress der Russlanddeutschen fand vom 14. bis 16. Mai in Odessa statt. Die Programmdokumente des Kongresses enthielten Forderungen nach einer demokratischen Republik, Verhältniswahlrecht, Gleichheit und Freiheiten für alle Bürger, dem Selbstbestimmungsrecht aller Völker Russlands, der Wahrung des Rechts auf Privateigentum an Land, der Zuteilung von Land an Landlose und Landarme sowie staatlicher Unterstützung für einkommensschwache Gruppen. Um an Organisationsversammlungen der deutschen Bevölkerung teilzunehmen, entsandte das Provisorische Organisationskomitee ihre Vertreter nicht nur in die Bezirke und Kolonien der Provinz Cherson, sondern auch nach Bessarabien, auf die Krim und nach Saratow.
Moskau wurde ein weiteres Zentrum der Autonomiebewegung der Russlanddeutschen. Im März 1917 brachten Professor K. E. Lindemann, eine Gruppe deutscher Abgeordneter der Staatsduma und andere die Idee vor, einen Kongress der Vertreter der deutschen Bevölkerung Russlands einzuberufen. Der Kongress fand vom 20. bis 22. April 1917 in Moskau in der Michaelskirche statt. Daran nahmen 86 Delegierte aus den deutschen Kolonien Baku, Wolhynien, Jekaterinoslaw, Jelisawetschpol, Livland, Petrograd, Samara, Saratow, Stawropol, Tauriden, Tiflis, Charkow, der Provinz Cherson, dem Donbass und der Region Kuban teil. Zur Vertretung der Interessen der Deutschen in der Provisorischen Regierung wurde ein Ausschuss (später Hauptausschuss) eingerichtet, dem K. Lindemann, J. F. Propp und A. Robertus angehörten.
Der Moskauer Kongress entwickelte ein politisches Programm, an dem sich die Russlanddeutschen bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung orientieren sollten. Das Programm erklärte die Notwendigkeit einer republikanischen Staatsform in Russland, das Recht auf Privateigentum an Land, den Anspruch auf Entschädigung durch den Staat für Verluste durch die Beschlagnahme von Land und anderem Eigentum, die anschließende Verteilung des beschlagnahmten Landes unter landlosen und landarmen Bauern, die Abschaffung der Liquidationsgesetze und den Ausgleich der Verluste, die den Deutschen durch ihre Anwendung entstanden waren, die Verwendung der deutschen Sprache in der örtlichen Büroarbeit und im Schulunterricht sowie die Erlaubnis zur Veröffentlichung von Büchern und Zeitungen in deutscher Sprache.
Ein weiteres Zentrum der Autonomiebewegung entstand in der Wolgaregion. Im Februar 1917, nachdem bekannt wurde, dass die Liquidationsgesetze auf die Wolgadeutschen ausgeweitet würden, fand eine Versammlung der Vertreter der Wolgadeutschen statt, bei der ein achtköpfiger Verwaltungsausschuss gewählt wurde (F. Schmidt, K. Justus, G. Schelhorn, G. Kling, J. Schmidt, A. Seifert, V. Chevalier, I. Borell), der befugt war, die Rechte der Wolgadeutschen (vor allem Landrechte) zu schützen und einen Kongress der Vertreter der Wolosten mit deutscher Bevölkerung einzuberufen (5 Delegierte aus jedem Wolost). Nach der Februarrevolution von 1917 weitete der Ausschuss seine Aktivitäten erheblich aus, vor allem im Hinblick auf die Durchsetzung der Rechte der deutschen Bevölkerung auf Selbstverwaltung in Fragen des kirchlichen Lebens, der Sprache und der Kultur. Am 4. April wurde in Saratow der Provisorische Ausschuss der Siedler-Eigentümer der Provinzen Samara und Saratow (in derselben Zusammensetzung wie der Verwaltungsausschuss) gebildet. Im April und Mai veröffentlichte das Komitee sieben Ausgaben der Zeitung „Flugblatt für die Wolgakolonien“. Am 14. April bildete das Komitee eine Kommission zur Vorbereitung eines Kongresses der Vertreter der Wolosten. Nun sollte jeder Wolost nicht mehr fünf Personen, sondern je eine Person pro 2.000 Personen der deutschen Bevölkerung vertreten. Außerdem wurde eine Kommission gebildet, um ein Programm für eine einheitliche nationale politische Partei der Russlanddeutschen zu entwickeln.
Der 1. Kongress der bevollmächtigten Vertreter der Wolosten mit deutscher Bevölkerung in den Provinzen Samara, Saratow und Sarepta sowie der deutschen Diaspora in Astrachan, Saratow, Samara, Zarizyn und einigen anderen Städten der Wolgaregion fand vom 25. bis 27. April 1917 in Saratow statt. 334 Delegierte nahmen daran teil. Propp war als Vertreter des Petrograder Hauptkomitees anwesend. Die Kongressteilnehmer diskutierten Fragen der Wiederbelebung der nationalen Selbstverwaltung, des Bildungswesens, der Sprach- und Kulturentwicklung sowie der Agrarbeziehungen. Der Kongress kündigte die Gründung einer politischen Partei der wolgadeutschen Kolonisten an. Diese Absicht wurde am Vorabend des 2. Kongresses der Wolgadeutschen in der Kolonie Sosnowka (Schilling) im Namen der Aktionseinheit mit dem Bund der Wolgadeutschen Sozialisten aufgegeben. Das Zentralkomitee der wolgadeutschen Kolonisten wurde gewählt. Ihm gehörten Vertreter aller auf dem Kongress vertretenen Wolosten sowie Mitglieder des provisorischen Ausschusses an. Das Zentralbüro der wolgadeutschen Kolonisten wurde als ständiges Arbeitsgremium gewählt. Es wurde beschlossen, die von Pfarrer I. Schleining herausgegebene Zeitung „Saratower Deutsche Volkszeitung“ herauszugeben. Im Sommer und Herbst 1917 erreichte die Auflage der Zeitung 11.000 Exemplare. Das Zentralbüro trat für die Abschaffung diskriminierender Regierungsgesetze gegen die Russlanddeutschen aus dem Ersten Weltkrieg, für nationale Wiedergeburt und lokale Selbstverwaltung in Fragen der Sprache, Bildung und Kultur ein. Dem Büro gelang es, seinen Einfluss auf das gesamte Siedlungsgebiet der Deutschen in der Wolgaregion auszudehnen, das auch nach der Oktoberrevolution 1917 noch lange bestehen blieb.
Von April bis Mai 1917 wurden in den deutschen Kolonien Transkaukasiens lokale Komitees gegründet. Am 14. Mai 1917 fand in Tiflis eine Sitzung des Regionalkongresses der Delegierten russischer Staatsbürger deutscher Nationalität in Transkaukasien statt, bei der das Transkaukasische Komitee unter der Leitung von E. Bernstein gegründet wurde. Der Kongress sprach sich für die Gründung eines Gesamtrussischen Verbandes der Staatsbürger deutscher Nationalität aus, für die Unterstützung der während des Krieges aus dem Königreich Polen, Wolhynien und den Westprovinzen deportierten Deutschen und erörterte die Taktik für die bevorstehenden Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung. Am 17. Mai 1917 wurde auf einer Delegiertenversammlung der mennonitischen Bevölkerung des Nowo-Molotschansker Wolosts des Gouvernements Jekaterinoslaw ein politisches Programm verabschiedet. Darin wurde die Notwendigkeit einer föderal-republikanischen Struktur Russlands, der Bewahrung der nationalen, kulturellen und religiösen Eigenheiten der Volksgruppen, der Einrichtung eines kostenlosen Schulunterrichts in der Muttersprache und einer Lösung der Agrarfrage auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit, d. h. der Bewahrung des Privateigentumsrechts an Land und des Rechts auf Entschädigung für enteignetes Land, proklamiert. In Molotschansk (Halbstadt) wurde ein Zentralbüro eingerichtet, das an alle mennonitischen Dörfer Russlands eine Broschüre mit dem Titel „Wie organisieren wir Mennoniten uns für die Nationalversammlung?“ verschickte. Am 9. Juni akzeptierten Delegierte der Mennoniten der Provinzen Taurida, Jekaterinoslaw, Charkiw, Cherson, Ufa und der Gebiete der Kuban- und Terek-Kosaken die Bestimmungen dieser Broschüre als Grundlage für ihre weiteren Aktivitäten.
Zeitgleich mit der Mennonitenkonferenz in Nowo-Molotschansk (Neu-Halbstadt) fand am 17. Mai 1917 in Slawgorod ein Treffen von Vertretern der Deutschen und Mennoniten Westsibiriens statt, an dem 1.500 Menschen teilnahmen. Das Treffen beschloss die Gründung eines „Deutschen Komitees“ in Omsk mit neun Mitgliedern (drei Lutheranern, drei Katholiken und drei Mennoniten). Um den Kontakt zur deutschen und mennonitischen Bevölkerung Sibiriens und der Steppenregion aufrechtzuerhalten, wurde ein gedrucktes Organ, „Der Sibirische Bote“, herausgegeben. Einen Monat später, am 18. und 19. Juni, fand in Welikoknjascheskoje (Woldemfürst) ein Treffen von Vertretern der Deutschen und Mennoniten des Nordkaukasus statt, bei dem das „Zentralkomitee der russischen Bürger deutscher Nationalität und der Mennoniten des Nordkaukasus“ gegründet wurde. Parallel zum Konsolidierungsprozess der Deutschen und Mennoniten in Russland war in fast allen Städten und Regionen eine politische Differenzierung zu beobachten. Die Moskauer Gruppe unter der Leitung von K. Lindemann und die Petrograder Gruppe unter Führung des Hauptkomitees vertraten das Programm des „Bundes des 17. Oktober“ (Die Oktobristen, eine gemäßigte konservative Partei, die in den Jahren 1905-1917 in Russland existierte – Anm. d. Üb.). Der Duma-Abgeordnete L. Lutz versuchte, eine Republikanische Demokratische Partei zu gründen, während in Odessa der den Sozialrevolutionären nahestehende Verband der Kleinbesitzer gegründet wurde. Einige Mitglieder des Zentralkomitees von Odessa sprachen sich für eine Koalition mit den Trudowiki oder Menschewiki (linke Parteien – Anm. d. Üb.) aus.
Eine stärkere soziale und politische Differenzierung war in der Wolgaregion zu beobachten. Der Kongress der wolgadeutschen Sozialisten, der am 1. und 2. Juni 1917 in Saratow stattfand, versuchte, die unterschiedlichen politischen Gruppen, die sich an verschiedenen russischen sozialistischen Parteien orientierten, zu vereinen. Den größten Einfluss hatten die Gruppen in Saratow (A. Gil, J. Gil, H. H. König, G. K. Klinger, A. Meierowitsch, W. Schtromberger und andere) und Jekaterinenstadt (A. G. Emich, F. Lederer, G. Kalinitschenko). Der Bund war unter den deutschen Arbeitern aktiv, doch sein direkter Einfluss in den Kolonien war trotz der dort weit verbreiteten Parolen der Sozialrevolutionären Partei sehr gering. Vom 1. bis 3. August fand in Odessa der 2. Kongress des Bundes deutscher Kolonisten der Schwarzmeerregion statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er 7.240 Mitglieder in 45 Hauptgruppen. An dem Kongress nahmen Delegierte der südrussischen und nordkaukasischen Zentralkomitees, der bessarabischen und taurischen Regionalkomitees, drei mennonitische Organisationen und 20 Organisationen der beim Militär dienenden Russlanddeutschen teil. Der Kongress verabschiedete eine Reihe von Beschlüssen zur Landfrage sowie zu Fragen im Zusammenhang mit den Wahlen zum Semstwo und zur Verfassunggebenden Versammlung. Gemeinsamen Aktionen mit den Zentralkomitees der Wolga, des Nordkaukasus, des sibirischen Zentralkomitees und dem Hauptkomitee in Petrograd wurde Vorrang eingeräumt. Diese Beschlüsse wurden von der Sitzung der bevollmächtigten Vertreter der deutschen Wolostkomitees des Bezirks Odessa unterstützt, die am 3. September 1917 in Odessa stattfand und beschloss, an den bevorstehenden Semstwo-Wahlen mit einer einzigen Kandidatenliste teilzunehmen, die den Namen „Liste der Russlanddeutschen“ (später „Liste der russischen Staatsbürger deutscher Staatsangehörigkeit“) erhielt. Das Südrussische Zentralkomitee erhielt das Recht, für jeden Wahlkreis drei Kandidaten vorzuschlagen, die die ersten Plätze auf der Liste erhalten sollten. Ohne Abstimmung mit dem Südrussischen Zentralkomitee fand auf Initiative Lindemanns vom 10. bis 12. September 1917 in Moskau ein weiterer „2. Kongress russischer Staatsbürger deutscher Nationalität“ statt, an dem 53 Delegierte aus 13 Provinzen und Regionen teilnahmen. Die Hauptthemen des Kongresses waren die Vereinigung der Regionalkomitees und die Nominierung gemeinsamer Kandidaten für die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung (nominiert wurden die Staatsduma-Abgeordneten Baron A. F. Meyendorff und L. Lutz sowie der Vertreter der Mennoniten B. G. Unruh).
Diese Position des „Hauptausschusses“ und anderer in den Hauptstädten tätiger Gremien rief auf lokaler Ebene scharfen Widerstand hervor. Insbesondere am Vorabend des 2. Kongresses der Wolgadeutschen (19.-22. September), der in der Kolonie Sosnowka (Schilling) stattfand, kündigten die wolgadeutschen Sozialisten die Möglichkeit gemeinsamer Wahlaktionen mit „sozialistischen Bruderparteien“ an. Auf dem Kongress selbst einigte man sich darauf, in den Provinzen Saratow und Samara ausschließlich deutsche Kandidaten aufzustellen. Zwei Wochen später verletzten die Sozialisten jedoch die Vereinbarung über eine gemeinsame Liste und traten in der Provinz Samara mit einer eigenen Liste an. Bei den Wahlen zu den Wolost- und Kreis-Semstwos versuchten Kandidaten der deutschen und mennonitischen Bevölkerung, durch die Stimmen der Wähler in ihren Siedlungen gewählt zu werden. Anders war die Situation bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung. In allen Wahlkreisen waren die Deutschen in der Minderheit. Aus diesem Grund konnte nur ein deutscher Kandidat, Baron A. Meyendorff (aus dem Taurischen Gouvernement), in die Verfassunggebende Versammlung gewählt werden. Die politische Zersplitterung der deutschen Parteien und Organisationen wirkte sich auch in der Wolgaregion aus. Im Gouvernement Samara wurden über 42.000 Stimmen für die Liste des Bundes der Wolgadeutschen Sozialisten abgegeben, über 47.500 Stimmen für die Liste der „Organisation russischer Staatsbürger deutscher Nationalität der mittleren Wolgaregion“, und im Gouvernement Saratow erhielt die Liste Nr. 7 des Wolgadeutschen Kolonialzentralkomitees etwas mehr als 50.000 Stimmen. Infolgedessen erhielt kein einziger wolgadeutscher Kandidat ein Abgeordnetenmandat.
Die Errichtung der Sowjetmacht auf dem größten Teil des ehemaligen Russischen Reiches, die Abtrennung der nationalen Randgebiete vom Zentrum, der Abschluss des Brester Friedens zwischen der Ukraine und Sowjetrussland mit Deutschland und anderen Ländern des Vierbundes (Februar - März 1918) veränderten die Lage der Russlanddeutschen erheblich. Die repressive Politik der Bolschewiki gegenüber deutschen Nationalorganisationen sowie die deutsche Besetzung der Ukraine bedeuteten den Abschluss der ersten Phase der deutschen Autonomiebewegung. Die Ereignisse der zweiten Phase, die von Januar bis April 1918 nach der Auflösung der Verfassunggebenden Versammlung und der gewaltsamen Liquidierung der rechtmäßig gewählten lokalen Selbstverwaltungsorgane begann, waren in der Wolgaregion am deutlichsten zu spüren. Eine gewisse Rolle spielte in dieser Phase die „Erklärung der Rechte der Völker Russlands“ [2. (15.) November 1917], deren Bestimmungen den Stimmungen der Wolgadeutschen, insbesondere der Intelligenzija, nahe kamen.
Der Warenburger Kongress deutscher Abgeordneter der Semstwo-Versammlungen der Bezirke Nowousensk und Nikolaevsky der Provinz Samara, zu dem Vertreter des Zentralkomitees der wolgadeutschen Kolonisten und des Bundes Deutscher Sozialisten der Wolgaregion eingeladen waren, traf wichtige Entscheidungen zu Fragen der nationalen Selbstbestimmung der Wolgadeutschen. Die Konferenz richtete die Provisorische Zentralverwaltung des Deutschen Bundes an der Wolga unter der Leitung des Verwaltungsrats ein, dem M. Kiesner (Vorsitzender), K. Bruggemann, I. Gross, D. Eirich und D. Tissen angehörten. Bald fanden Verhandlungen zwischen Mitgliedern des Provisorischen Verwaltungsrats und der Saratower Organisation des Bundes Deutscher Sozialisten über die Einberufung eines Kongresses der Räte der deutschen Kolonien statt, auf dem die Sozialisten über die Entscheidung des Provisorischen Verwaltungsrats informiert wurden, eine Delegation nach Moskau zu entsenden, um Verhandlungen mit der Zentralregierung über die endgültige Gründung des Bundes Deutscher Kolonien an der Wolga zu führen. Die Sozialisten, die mehrheitlich gegen diese Art der Autonomie waren, aber befürchteten, außen vor zu bleiben, falls das Zentrum keine Einwände erhob, beschlossen nach langen Debatten, sich der Delegation anzuschließen. Im April reiste die Delegation, der nun drei Sozialisten (G. Klinger, A. Emich und Kellner) angehörten, nach Moskau, wo Kellner, nachdem er die Initiatoren der Autonomie in den Hintergrund gedrängt hatte, Verhandlungen mit dem Volkskommissariat für Nationalitäten I. Stalin führte. Als Ergebnis der Verhandlungen einigten sich die Sozialisten auf die Organisation einer „Selbstverwaltung der deutschen Arbeitermassen nach sowjetischen Prinzipien“ in der Wolgaregion. In Übereinstimmung mit dieser Vereinbarung wurde das Kommissariat für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet gegründet, das „das ideologische Zentrum der sozialistischen Bewegung unter den Wolgadeutschen“ werden sollte. Ihm gehörten A. Emich, G. Klinger, A. F. Moor, G. H. Dinges sowie die aus Moskau delegierten „kommunistischen Internationalisten“ E. V. Reiter und K. G. Petin an. Damit endete die zweite Phase der autonomen Bewegung, die bis dahin eine unabhängige Bewegung des Volkes und seiner Anführer gewesen war.
Die dritte Phase der autonomen Bewegung an der Wolga ist gekennzeichnet durch die Liquidierung der unabhängigen Autonomiebewegung und ihre Unterordnung unter die Ziele der Sowjetisierung unter der Führung des Wolgakommissariats. Infolgedessen wurde am 19. Oktober 1918 die sowjetische territoriale Bildung der Arbeiterkommune des Wolgadeutschen Gebiets proklamiert. Anders verlief die Entwicklung in der Südukraine. Nach dem Einmarsch österreichisch-ungarischer und deutscher Truppen brach in den Reihen des Bundes deutscher Kolonisten des Schwarzmeerraums ein Kampf um die Zukunft der deutschen Bevölkerung der Region aus. Einige Mitglieder des Bundes unter der Führung von Pfarrer I. Winkler bevorzugten die Idee der Gründung einer deutschen Kolonie „Krim-Tawrien“. Der andere Teil sah die Zukunft als Teil des ukrainischen Staates gemäß dem Gesetz über die national-personale Autonomie vom 9. Januar 1918. Auf Versammlungen mit Tausenden von Teilnehmern erhielten beide Gruppen Unterstützung für ihre Konzepte, doch die Entscheidung über die Perspektiven der deutschen Bevölkerung der Region fiel am 2. Juli 1918 im Kronrat des deutschen Oberkommandos und der Regierung. Die Gründung der Kolonie „Krim-Tawrien“ wurde abgelehnt, ebenso die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft an die Kolonisten. Die Mehrheit des Odessaer Zentralkomitees propagierte jedoch die von Deutschland abgelehnten Pläne bis zur Novemberrevolution 1918 und rief ihre Anhänger erst nach dem Fall der Monarchie in Deutschland und der Errichtung einer republikanischen Regierungsform über die „Odessaer Zeitung“ dazu auf, ihre Pflicht gegenüber der Ukraine zu erfüllen.
Trotz der Konfrontation zwischen den beiden Strömungen stärkte das Zentralkomitee von Odessa im Frühjahr und Sommer 1918 seine Struktur und schuf Rechts- sowie Handels- und Wirtschaftsabteilungen. L. Lutz, aus der Provinz Jekaterinoslaw in die Verfassunggebende Versammlung der Ukraine gewählt, und der Vorsitzende des Zentralkomitees von Odessa, L. Reichert, verhandelten mit der Regierung der Zentralen Rada über die Schaffung einer national-personalen Autonomie, die Einrichtung eines Sekretariats der Zentralen Rada für deutsche Angelegenheiten und die Einführung des Postens eines Außerordentlichen Kommissars der Zentralen Rada. Diese Arbeit wurde nach dem Abzug der österreichisch-ungarischen und deutschen Truppen fortgesetzt. Am 19. November 1918 genehmigte ein Vertreter der ukrainischen Regierung die Regeln für die Organisation der Selbstverteidigung in den deutschen Dörfern der Ukraine. Der Bund deutscher Kolonisten der Schwarzmeerregion übernahm somit die Befugnisse der über den Wolost-Regierungen stehenden Exekutive. Es wurde ein Plan zur Organisation der autonomen Verwaltung der deutschen Kolonisten der Schwarzmeerregion entwickelt. Während des Bürgerkriegs blieb der Bund Deutscher Kolonisten eine echte politische Kraft, und Selbstverteidigungseinheiten waren in der Lage, Bandenangriffe auf deutsche Siedlungen abzuwehren und in einigen Fällen sogar bewaffnete Kämpfe mit Einheiten der Roten Armee zu führen.
Nach der Errichtung der Sowjetmacht in der Südukraine arbeiteten einige Mitglieder des Zentralkomitees von Odessa weiterhin in den neuen Vereinen „Kulturverein“ und „Verband der Bürger germanischer Rasse“. In der Provinz Jekaterinoslaw wurde der Verein „Kolonist“ gegründet. Die Mennoniten gründeten den „Verband der Bürger holländischer Herkunft“. Bis Mitte der 1920er Jahre waren diese Vereine in der Schulbildung und Wohltätigkeit aktiv. Die Mennoniten fungierten 1921–1922 als Vermittler bei der Hilfe für Hungernde und konnten in ihren Wolosten ein System lokaler Selbstverwaltung aufbauen, das der Unterwanderung durch die Bolschewiki mehrere Jahre lang Widerstand leistete. Mitte der 1920er Jahre wurden die deutschen öffentlichen Organisationen in der Südukraine geschlossen. In Transkaukasien gewannen Fragen der Bevölkerungssicherheit im Herbst 1917 eine entscheidende Rolle. Am 21. und 23. Oktober 1917 erklärte eine Delegiertenversammlung des Kaukasischen Bundes russischer Staatsbürger deutscher Nationalität, dass alle Kolonien das Recht hätten, Selbstverteidigungseinheiten aufzustellen. Die Zweigstelle Tiflis nahm die vom Moskauer Bund russischer Staatsbürger deutscher Nationalität ausgearbeitete Charta an und reichte sie zur Registrierung ein. Nach der Gründung der Transkaukasischen Föderation setzte der Bund seine Aktivitäten fort. Am 2. Februar 1918 erteilte die Regierung der Transkaukasischen Föderation die Erlaubnis, als Teil des Georgischen Korps ein nationaldeutsches Regiment aufzustellen, um in den deutschen Kolonien für Ordnung zu sorgen und sie vor Bandenangriffen zu schützen. Für den Dienst im Regiment wurden Wehrpflichtige rekrutiert. Am 15. Februar wurde der Nationaldeutsche Rat in Transkaukasien gegründet, der sich aus Mitgliedern des Zentralkomitees und Vorsitzenden lokaler Komitees zusammensetzte. Das deutsche Regiment, das Einheiten in den Kolonien hatte, war der Militärabteilung des Rates unterstellt, die die „Kaukasische Post“ herausgab.
Nach der Gründung der Demokratischen Republik Aserbaidschan erhielt der Nationaldeutsche Rat das Recht, einen Abgeordneten in das aserbaidschanische Parlament zu wählen. Dies war L. J. Kuhn, der sich der Fraktion der „Nationalen Minderheiten“ anschloss.
In Georgien unterhielt das Zentralkomitee des Kaukasischen Bundes Verbindungen zur regierenden Partei der gemäßigten Sozialisten. Die Vertreter der Union Bernstein und P. Bühl wurden mit Unterstützung dieser Partei in die Verfassunggebende Versammlung Georgiens gewählt. Ab Mai 1918 diskutierten Delegiertenkongresse wiederholt die Frage der Schaffung einer deutschen national-personalen Autonomie. Die Fragen des deutschsprachigen Unterrichts und der Finanzierung kultureller und karitativer Einrichtungen gewannen vor allem praktische Bedeutung. Trotz einiger Erfolge bei der Vereinigung der Deutschen Transkaukasiens gelang es nicht, diese zu erreichen. Einzelne Kolonien (Alexanderdorf, Georgstal) hielten sich nicht an die Beschlüsse des Verbandes und verließen dessen Zusammensetzung. Ende 1922 begann die deutsche Sektion der Kommunistischen Partei (Bolschewiki) Georgiens eine bedeutende Rolle bei der Sowjetisierung des Lebens in den deutschen Kolonien zu spielen und verdrängte den Deutschen Nationalrat Georgiens von der politischen Bühne.